ERMUTIGUNG: In ungewissen Zeiten den Dharma praktizieren

Ein Beitrag von Jack Kornfield veröffentlicht in der Ausgabe 2019/1 Wachsen unter der Rubrik Aktives Mitgefühl.
Die großen Bäume als Verbündete | © Jon Bunting

„Jetzt ist der Zeitpunkt sich einzusetzen“, sagt Dharmalehrer Jack Kornfield in diesem aktuellen Newsletter, über dessen Verbreitung er sich freut. „Was immer auch deine politische Perspektive ist, jetzt ist der Zeitpunkt für Wichtiges einzustehen: sich Hass entgegenstellen, sich für Respekt und den Schutz der Verwundbaren einsetzen, sich um die Natur kümmern.“

Glaube nicht, dass Meditation und Kontemplation die Vollendung des buddhistischen Weges sind. Innerer Friede, Freiheit und Freude entwickeln sich nur gemeinsam mit den äußeren Lehren von Tugendhaftigkeit, Respekt und gegenseitiger Aufmerksamkeit. Die Basis des Dharmas gründet auf Beziehungen, aufgebaut auf Großzügigkeit, Tugendhaftigkeit und Mitgefühl.

Der Weg zum menschlichen Glück und zur Befreiung beruht auf:

Im Mahaparinirvana Sutta, einem Text aus Buddhas letzten Lehren, heißt es:

„So lange eine Gesellschaft häufig und regelmäßige Versammlungen abhält und sich in Harmonie und gegenseitigem Respekt trifft, kann davon ausgegangen werden, dass sie gedeiht und nicht verfallen

So lange eine Gesellschaft lang eingehaltenen Weisheitstraditionen folgt, ihre Älteren ehrt, kann davon ausgegangen werden, dass sie gedeiht und nicht verfallen wird.

So lange eine Gesellschaft die Frauen und Töchter und die Verletzbaren schützt, kann davon ausgegangen werden, dass sie gedeiht und nicht verfallen wird.

So lange eine Gesellschaft sich um die Schreine und heiligen Stätten in der Natur kümmert, kann davon ausgegangen werden, dass sie gedeiht und nicht verfallen wird.“

„Solange eine Gesellschaft Versammlungen abhält, wird sie gedeihen“ | © Peter Kenny

Der Buddha griff ein

In seinem Leben griff der Buddha ein um zu versuchen, Kriege zu stoppen. Er beriet Könige und Minister und leitete seine Umgebung zu Frieden und Respekt an. In der Neuzeit schloss sich Maha Ghosananda von Kambodscha dem Friedensprozess der UNO an und leitete während Jahren die Friedensmärsche der liebenden Güte durch Kriegszonen und Schlachtfelder in Kambodscha. Thailändische Äbte weihten die ältesten Bäume mit ihren Gewändern als Älteste des Waldes, um das ganze Ökosystem vor dem Abholzen zu schützen. Burmesische Mönche und Nonnen marschierten in den Straßen, um Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor der harten Militärdiktatur zu schützen. In Sri Lanka gewann A.T. Ariyaratne Hunderttausende für einen 500-Jahre-Friedensplan. Vietnamesische, chinesische und tibetische Mönche standen für Frieden, Gerechtigkeit und Mitleid ein, indem sie sich sogar opferten, um die leidbringenden Handlungen um sich herum zu stoppen.

Gandhi erklärt: „Diejenigen, die sagen, dass Spiritualität mit Politik nichts zu tun hat, wissen nicht, was Spiritualität wirklich bedeutet.“

Hier geht es nicht um Rot oder Blau. Es geht darum, für die einfachsten menschlichen Grundprinzipien einzustehen, für moralische Handlungen und die Verhinderung von Schaden. Das ist der Ausdruck von Dharma inmitten der weltlichen Schwierigkeiten.

Du bist nicht allein. Du hast Generationen von Vorfahren im Rücken. Du hast den Segen der Wechselbeziehung und der Gemeinschaft. Du hast die großen Bäume der Wälder als loyale Verbündete. Du hast die Wiederkehr der Jahreszeiten und die Erneuerung des Lebens als deine Musik. Du hast den riesigen Himmel der Leere, der alles gütig vereint.

„Diejenigen, die sagen, dass Spiritualität mit Politik nichts zu tun hat, wissen nicht, was Spiritualität wirklich bedeutet.“ | © Jim Forest

Du hast dich lange vorbereitet

Seit langem hast du dich darauf vorbereitet. In der Praxis hast du gelernt, deinen Geist zu beruhigen und das Herz zu öffnen. Du hast Leere und gegenseitige Abhängigkeit gelernt. Jetzt ist die Zeit vorzutreten, und der Welt deinen Gleichmut, deinen Mut, deine Weisheit und dein Mitgefühl zu geben. Ein Bodhisattva zeigt den Weg, um das Leiden inmitten von allem zu lindern.

Wie Zen-Meister Thich Nhat Hanh erklärt: “Als die überfüllten vietnamesischen Flüchtlingsboote auf Stürme oder Piraten stießen, wären alle verloren gewesen, wenn alle in Panik geraten wären. Es genügte aber, wenn nur eine Person an Bord ruhig und zentriert blieb. Das zeigte allen den Weg zum Überleben.“

In der gegenwärtigen Zeit von Unsicherheit und Angst müssen wir gemeinsam in Ruhe und Klarheit auftreten. Unsere buddhistischen Gemeinschaften können mit Friedlichkeit und gegenseitigem Respekt zu Zentren des Schutzes und zu einer Vision werden.

Schutz kann viele Formen annehmen. Schutz kann sein, denen, die in Gefahr sind, eine Zuflucht zu bieten. Schutz kann sein, geschickt denjenigen entgegenzutreten, deren Handlungen den Verwundbaren unter uns schaden würden. Schutz kann sein, sich für die Umwelt stark zu machen. Schutz kann sein, aktiv Verbündete/r zu werden für alle, die das Ziel von Hass und Vorurteil sind.
Vision heißt, die Lampe des Dharmas tragen.
Es bedeutet, die Wahrheit zu verteidigen – wie auch immer:

„Hass endet nie durch Hass, durch Liebe allein wird er geheilt.“
„Gier, Hass und Unwissenheit schaffen Leiden. Großzügigkeit, Liebe
und Weisheit bringen Glückseligkeit.“
„Der Geist ist Wegbereiter. Sprich und handle mit reinem Geist und Glück wird folgen.“
„Pflanze Samen der Güte und Wohlergehen wird wachsen.

Jetzt ist eine Zeit des Wandels gekommen.
Wir müssen tief hineinhören, bekennen, alle ehren und unsere Handlungen weise und mutig wählen.
Sorge dich nicht, wenn dir die Richtige Handlung noch nicht klar ist.
In der Ungewissheit warte mit Achtsamkeit und einem klaren Herzen.
Bald wird die richtige Zeit kommen und du wirst aufstehen können.
Dort will ich dich treffen.

Jack Kornfield

Jack Kornfi eld ist einer der bekanntesten Lehrer des Theravada-Buddhismus im Westen. Er ging 1967 nach Thailand und wurde dort Mönch in der Waldtradition bei Ajahn Chah. 1975 begründete er gemeinsam mit Joseph Goldstein und Sharon Salzberg die Insight Meditation Society in Massachusetts und später das Spirit Rock Center in Kalifornien. Er ist Autor zahlreicher Bücher.

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