Generationswechsel in der Altbäckersmühle: Ein großer Schritt

3. Mai 2023

Kann mensch mitten in Europa ein spirituelles Amt erben? Vom eigenen Vater respektive den eigenen Eltern? Mensch kann. Und ja, leicht ist das nicht unbedingt, schließlich betreten alle Beteiligten einzeln und gemeinsam Neuland –  Vorbilder Fehlanzeige, Anfängergeist unumgänglich, weil es, anders als in Japan, hierzulande ganz und gar nicht üblich ist, der Dharma-Nachfolger der leiblichen Eltern zu werden. In der Altbäckersmühle, einem von KyuSei und Genki Österle vor mehr als 30 Jahren mutig gegründeten Zen-Zentrum im Taunus ist genau das vor drei Jahren geschehen – die beiden gaben das räumliche und spirituelle Erbe an ihren Sohn HoKai weiter. Dieser Vorgang, Abt einer „geerbten“ Sangha zu werden, brachte und bringt nicht nur spirituelle Herausforderungen mit sich. So verließen KyuSei und Genki zwar die nicht besonders alterstaugliche Altbäckersmühle als Wohnstatt, beendeten aber ihre Tätigkeit als praktizierende Zen-Meister und -Meisterin nicht. Warum auch? Beide leiten bis heute Sesshins, Bogentage und Yogakurse, begleiten ihre Schüler:innen, sind spirituell präsent, aber nicht mehr führend verantwortlich.

KyuSei und Genki Österle,
© Altbäckersühle

Die Besonderheit dieser spirituellen Übergabe berührt: Es waren KyuSei und Genki, die sich trauten, ihrem Sohn vor fünfunddreißig Jahren ein Sitzbänkchen und ein Zen-Buch in Herz und Hände zu geben, als dieser, für einen Pfarrerssohn ziemlich unpassend, in der Justizvollzuganstalt einsaß. Der unheilsame Umgang mit allerlei Substanzen, juristische gesprochen ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, führte HoKai nicht nur in die Enge einer Zelle, sondern auch auf den tiefen Weg der Befreiung. Denn obwohl Zen im Hause Österle auch vorher schon eine Rolle gespielt hatte, war es eben diese mitfühlende elterliche Geste, die für HoKai alles verändern und ihn zum Zen-Übenden und letztlich irgendwann zum Zen-Meister werden lassen sollte. Genau hier begann die tiefe Erforschung des Selbst, genau seitdem sind Zen-Meditation und der Dojo spiritueller Weg und Heimat. HoKai ist dabei den Substanzen, die das Zeug haben, unser Bewusstsein in Richtung All-Einer Verbundenheit zu erweitern, treu geblieben – dies verbindet ihn tief mit Vanja Palmers, seinen spirituellem Lehrer, Freund und Mentor. Er assistierte Vanja während der gesamten Studie 2014 & 2015 am Felsentor, bei der über die kurz- und langfristige Wirkung von Psilocybin1 bei Menschen mit langjähriger Meditationserfahrung geforscht wurde.

Pia und HoKai Österle,
© Altbäckersmühle

Neben der spirituell-familiären Wurzel ist HoKai in der Phoenix-Wolken-Sangha von Kobun Chino Roshi ordiniert und mit Vanja Palmers, siehe oben, spirituell verbunden; er hat mit vielen bekannten und unbekannten Lehrer:innen praktiziert und das elterlichen Erbe auf seine Weise transformiert. Diese Familien-Geschichte ist nicht ganz alltäglich – und sie ist zum Glück nicht zu Ende erzählt, sondern ein Anfang. Denn neben den inneren Wagnissen und der ungewohnten Navigation in der alten Sangha, machten äußere Umstände die Übernahme der Altbäckersmühle zu einer besonderen Herausforderung. Wer hätte Anfang 2020, als HoKai und seine Frau Pia, ebenfalls Zen-Lehrerin, zuversichtlich ans Werk gingen, Haus, Hof und Sangha künftig zu führen, ahnen können, dass eine Pandemie auch die Zen-Welt zum Stillstand bringen würde. Und dass die nach und nach entdeckte schadhafte Bausubstanz, die vom Keller bis zum Dach und zurück reichte, den beiden sehr viel Geduld, die sprichwörtliche Gelassenheit, besondere Begabungen im Beschaffen immer neuer Geld- und Handwerkerressourcen und sehr viel Humor abverlangen würde.

Nach drei Jahren intensivem Bemühen und Üben auf allen Ebenen, ist die Mühle auch für viele der „alten“ Schüler:innen von KyuSei und Genki zur neuen Heimat geworden, sie wird mitgetragen und gestaltet von „alten“ wie neuen Sangha-Menschen, die teilweise seit vielen Jahren im Förderverein der Mühle hilfreich wirken – das Erbe ist angenommen und wird mit großer Freude vital belebt.

Mit Zen und Bogen und darüber hinaus

© Altbäckersmühle

Was aber ist neu in der Mühle? Und was ist geblieben? Titel und Claim auf der Homepage zeigen beides: der ursprüngliche Name Zen Zentrum Altbäckersmühle ist geblieben, ihm wird die (hoffentlich) selbsterklärende Unterzeile: Meditation-Körpererfahrung-Heilung hinzugefügt. Es reicht also ein Blick, um zu erkennen: Hier geht es um Zen. Und mehr. Bei den Österles bildete die Übung des Zen verbunden mit Körperübungen wie Bogenschießen oder Yoga die Basis der Tagespläne, Sesshins beinhalteten immer beides, Meditation & Körperarbeit. Diese Kombination war und ist etwas Besonderes – wer die Freude am Bogenschießen oder am entspannten Yoga kennt, weiß, wie sehr das Zazen dadurch bereichert wird. HoKai und Pia geht es darum, auf dieser Basis die tatsächlichen wie spirituellen Räume in jeder Beziehung zu weiten, ohne an Tiefe zu verlieren. So ist Meditation weiter gefasst als Zazen, Stille kann auch Klang beinhalten und Heilung wohnt jeder wahren spirituellen Übung zentral inne. Klar, dass die Formen der Übung in der Altbäckersmühle vielfältiger sind als vorher, und dass mehr Menschen als Lehrende aktiv sind. So finden neben der ursprünglichen Übung von Zen & Bogen/Yoga diverse buddhistische und kontemplative Methoden und verschiedene Formen achtsamer Körperarbeit wie Shiatsu, Yoga oder Qigong ihren Platz. Der rote Faden aller Angebote liegt in der Betonung der unmittelbaren Erfahrung, im achtsamen Tun – da fügen sich neben Meditation und Körpererfahrungs-Seminaren auch Kalligrafie oder Klang nahtlos ins aktuelle Mühlenangebot ein. 

Beliebig ist das alles aber nicht – HoKai und Pia loten sorgfältig aus, was Tiefe hat, was die Mühle gleichermaßen zu einem Ort der tiefen heilsamen Erfahrung, der Erkenntnis und ganz sicher auch zu einem Ort der (spirituellen) Lebens-Freude macht. Die Basis war, ist und bleibt Zen – das zeigt sich in den meisten Tagesplänen und beispielhaft im Tenzo-Training, das dieses Jahr erstmalig vom veganen Koch und KyuSei-Schüler Roland Rauter geleitet wurde. In der Sangha gibt es viel Interesse, die Kunst des einfachen und schmackhaften veganen Kochens als Tenzo im Sesshin zu erlernen – statt wie früher von einem Catering beliefert zu werden, schwingen seit Jahresbeginn engagierte Sangha-Tenzos Messer und Löffel; die so verwöhnten Übenden in den Sesshins sind begeistert, was bekanntlich der Übung guttut. Und beinahe nebenbei wird der Sangha-Spirit verbundenheits-genährt.

Der neue Dojo: Nichts als weiter Raum

Ganz frisch und als in jeder Hinsicht zentral zu bezeichnen ist der Umzug des Dojo. Vom eher dunklen und sehr geschützt liegenden Raum zu ebener Erde geht’s seit April ab unter die Weite des Haupthaus-Daches. Lichte Fenster, viel Platz nach oben und zu allen Seiten – der Dojo ist einfach großartig geworden. Geübt wird jetzt in mehr räumlicher Weite, mitten in den Kronen der Bäume und klangvoll begleitet vom Murmeln des Hasenbaches. Der Name des Dojo, NyuShinDo, sanfter Herzgeist Tempel, erzählt die ganze Geschichte in einem Wort. Neben Freude an der Erfahrung und damit verbundener Tiefe in der Erkenntnis spielt Schönheit in der neuen-alten Altbäckersmühle für HoKai und Pia in der Tat eine große Rolle. So sind die ziemlich kleinen Zimmer des 2022 frisch renovierten Gästehauses natürlich nicht größer geworden, aber durch die zenmäßig- schlichte Ausstattung wirken sie irgendwie großzügiger und über das rein Zweckmäßige hinaus schöner. Gleiches gilt für die frisch gestrichenen Türen, Fenster und Terrassenhölzer, für die bequemen und schönen Sitzgelegenheiten, die überall auf dem Mühlengelände verteilt sind. Der gesamte Ort mit Gästehaus, Haupthaus und Gartenanlage ist von ruhiger Klarheit, von kleinen Schönheitsimpulsen geprägt – das macht nicht nur Freude, sondern mag unruhigen Geister durchaus helfen, stiller zu werden.

Ökologischer Umbau

@ Altbäckersmühle
© Altbäckersmühle

Neben der spirituellen und räumlichen Weitung geschieht in der Mühle auch auf ökologischer Ebene viel: Photovoltaik auf dem Dach, baubiologische Wärmedämmung, Holz-Pelletheizung für das Haus, ein Ofen im neu ausgebauten Dojo unterm Dach, der auf energiesparende Weise den wichtigsten Raum im Haus heizen wird – die ökologische Restaurierung ist in vollem Gange. Dass in der nächsten Praxiswoche geplant ist, einen Backofen fürs Mühlenbrot zu bauen, während die Teilnehmenden gleichzeitig das Sutra von der Grasdachklause studieren, zeigt mindestens viererlei: die tiefe Verwurzelung im traditionellen Zen, die Verbindung der spirituellen Übung mit dem Backen als existenzieller Alltagskunst, die Verbundenheit im gemeinsamen Tun und die ökologisch gelebte Verbundenheit mit allen Wesen – das Backen braucht wenig Energie und die wächst ums Haus herum nach.

Ob spirituell, architektonisch oder sozial: die Altbäckersmühle ist ein moderner, offener Ort, an dem tiefe Übung, große Freude am Tun und sanfte Offenheit des Geistes auf vielfältige Weise gelebt und geübt werden. Sie wird mehr und mehr als „guter“ Ort von anderen Sanghas geschätzt und genutzt, was dem Spirit spirituell wie wirtschaftlich guttut.

Conny ItaiDo Dollbaum-Paulsen für die Altbäckersmühle

Copyright: Das Copyright für alle Bilder liegt bei der Altbäckersmühle

Links

Website der Altbäckersmühle: 
https://zen-zentrum-altbaeckersmuehle.de

1Wissenschaftlicher Beitrag über die Nutzung von Psilocybin:
Characterization and prediction of acute and sustained response to psychedelic psilocybin in a mindfulness group retreat

© Altbäckersmühle
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