Buddhist*innen äußern sich zu Protesten gegen rassistisch motivierte Ungerechtigkeit und Polizeigewalt

9. Juni 2020

Seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd am 25. Mai 2020 in Minneapolis (Minnesota, USA) reißen die Proteste gegen rassistisch motivierte Ungerechtigkeit und Polizeigewalt nicht ab. Buddhistische Lehrer*innen und Gruppen haben sich öffentlich dazu geäußert.

Foto: Andrew Mercer (www.baldwhiteguy.co.nz) / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Buddhistische Lehrer*innen und Gruppen haben sich zu den Protesten geäußert, sich gegen jede Gewalt ausgesprochen und gleichzeitig ihre Mitglieder aufgefordert, die eigene Beziehung zum Rassismus zu reflektieren und buddhistische Theorien auf die konkreten Ereignisse zu beziehen. 

Die Tergar-Gemeinschaft ist eine Gruppierung, die sich aus der Verbindung der tibetischen Karma-Kagyü- und Nyingma-Linie entwickelt hat und deren Leiter Yongey Mingyur Rinpoche ist. Die lokale Gruppe in Maddison (USA) zeigt sich in einem Facebook Post vom 3. Juni 2020 solidarisch mit der internationalen Bewegung, die unter dem Hashtag #blacklivesmatter (Schwarze Leben zählen) Proteste und Aktionen gegen Rassismus organisiert. In dem Post wird aus einem Brief ihres spirituellen Oberhauptes zum Thema an die Mitglieder zitiert.

Mingyur Rinpoche betont einerseits, dass Meditation und die Entwicklung der eigenen geistigen und spirituellen Qualitäten wichtig sei als Voraussetzung dafür, andere wirkungsvoll unterstützen zu können. Andererseits seien Gebete und Meditation in solchen Zeiten aber nicht genug; sie müssten von mitfühlenden Aktionen begleitet sein. Der Lehrer zieht eine Parallele zu den Zeiten in denen der Buddha lebte. Der habe in einer Gesellschaft des Kastensystems mit großer Ungerechtigkeit und viel Gewalt gelebt und habe sogar selbst Vorteile durch dieses System gehabt. Trotzdem habe er nicht gezögert,  sich gegen dieses ungerechte System zu stellen. 

„Als der Buddha seine eigene Gemeinschaft gründete, stellte er die uralten Traditionen des Kastensystems auf den Kopf und öffnete die Sangha für Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Auch wenn das noch nicht perfekt war – Frauen wurde zum Beispiel nicht der gleiche Status zuerkannt wie Männern – war es zu dieser Zeit doch eine Revolution. Er betete nicht einfach dafür, dass das Leiden des Kastensystems ein Ende habe, sondern er nutzte seinen Einfluss, um das Gesellschaftssystem seiner Zeit zu verändern.“

Ebenso müssten wir verstehen, dass Leiden nicht nur individuelles Leiden sei, sondern sich auch in den größeren und kleineren Bezügen ausdrücke, in die wir verflochten seien. Mit diesen Geflechten aus gegenseitiger Verbundenheit müssten wir uns auseinandersetzen, um dem Leiden mit Weisheit und Mitgefühl begegnen zu können. Entsprechend dem Beispiel, welches der Buddha vor 2500 Jahren gegeben habe, müssten wir unsere Position nutzen, um anderen zu helfen. Dennoch, so Mingyur Rinpoche weiter: 

„Damals wie heute gab es keine einfachen Antworten. Samsara ist kompliziert und wir können nur unser Bestes tun. Auch wenn wir mit Sicherheit Fehler machen werden, obwohl wir uns von Weisheit und Mitgefühl leiten lassen, werden wir einer Welt näher kommen, in der das eine Leben nicht mehr höher geschätzt wird als das andere.“

Eine mitfühlende Botschaft drückt die Einsichtsmeditations-Lehrerin Sabene Selassie auf Instagram aus. Sie ermutigt Schwarze zur Selbstliebe: 

„Schwarze Menschen, lasst uns uns selbst lieben, indem wir uns sehr, sehr, sehr gut um uns selbst kümmern.
Ruht euch aus. Esst etwas Gutes. Trinkt Wasser. Meditiert. Bewegen euch. Tut etwas, was euch Freude macht.
Spürt eure Gefühle, aber lasst euch nicht von den sozialen Medien und den Nachrichten diktieren, wie ihr euch fühlt.“

Auch der Dalai Lama hat sich zu den Vorfällen geäußert. Zu Beginn der 2 Tage dauernden Avalokiteschvara Ermächtigung, die am 30. Mai 2020 zum ersten Mal online stattfand, sagte er:

„Unter den sieben Milliarden Menschen sucht nicht einer das Leiden; wir alle suchen das Glück. Und doch sehen wir, wenn wir Nachrichten im Fernsehen sehen, Berichte über Rassendiskriminierung und sogar über Menschen, die anscheinend Freude am Töten haben.“

Er betonte die Wichtigkeit der Entwicklung von Mitgefühl und dem Beobachten negativer Emotionen wie Ärger und Neid. Seine eigenen Bodhisattva- und tantrischen Gelübde erneuere er täglich und er lasse sich nicht von selbstsüchtigen Gedanken wegtragen, sondern sei entschlossen, allen fühlenden Wesen zu dienen. 

Im Internet haben viele weitere buddhistische Meditationslehrer*innen und Gruppen Stellung bezogen. Kosen Gregory Snyder und Shingetsu Laura O’Loughlin, Lehrer*innen des Brooklyn Zen Center in New York, haben jeden Tag um 20 Uhr, trotz Ausgangssperre, eine Erklärung abgegeben und ihre Gemeinschaft aufgefordert, “moralischen Mut“ zu beweisen:  

„Für uns Buddhistinnen und Buddhisten reicht es nicht aus, von Gier, Hass und Verblendung in einer abstrakten Art und Weise zu sprechen. Die 3 Geistesgifte müssen in ihrem konkreten historischen Kontext benannt werden, so wie sie sich in den Leben der Menschen dieses Landes ausdrücken. Wir müssen die weiße Vorherrschaft ganz klar als eine verblendete Form des Hasses erkennen, von der die Mächtigen in unserer rassistisch geprägten Gesellschaft profitieren und die deren Gier weiter anheizt.“

Ein buddhistischer Zen-Lehrer fordert auf Instagram alle religiösen Führer auf sich zu äußern:

 „Hier gibt es keine Neutralität. Was sagt Ihr Dharma-Zentrum, Ihr Lehrer, Ihre Kirche, Ihre Synagoge, Ihr Pastor, Ihr Rabbiner, Ihr Pfarrer, Ihr Yoga-Zentrum, Ihr Ashram, Ihr spirituell-nicht-religiöser Meditationsleiter über das Leben der Schwarzen?
Und seien Sie sich klar darüber: Wenn sie nichts sagen, dann ist das auch eine Aussage!“