Zuflucht nehmen in einem festlichen Rahmen

Ein Interview mit Dagmar Doko Waskönig, Tsunma Jinpa Chodron geführt von Marcel Conrad veröffentlicht in der 1-2025 feiern unter der Rubrik Schwerpunkt feiern.

Die ordinierte Zen-Lehrerin Dagmar Doko Waskönig und die Nonne in tibetischer Tradition Tsunma Konchok Jinpa Chodron bieten einmal jährlich im Rahmen der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) traditionsübergreifend das Ritual der buddhistischen Zufluchtnahme an. Die Zufluchtsformel rezitieren die Teilnehmenden auf Deutsch, Pali, Japanisch und Tibetisch. Im Gespräch mit den beiden Ordinierten hat der Kulturwissenschaftler Marcel Conrad erkundet, wie das Angebot angenommen wird und welche Überlegungen dahinterstehen.

Marcel Conrad: Wie kam es zu der Initiative, eine Zufluchtnahme im Rahmen der DBU anzubieten?

Tsunma Konchok Jinpa Chodron

Tsunma Konchok Jinpa Chodron: Die Initiative kam von den Menschen! Es gab Anfragen, warum die DBU keine Zufluchtnahmen anbietet, da dies erwünscht sei. Wir haben im Rat der DBU darüber diskutiert und entschieden, dass dies eine gute Idee sei. Die Mitgliedsgemeinschaften bieten Zufluchtnahmen bei ihren Lehrern an, aber die DBU kann traditionsübergreifend handeln. Die Zeit war reif, es gab den Bedarf – also haben wir es umgesetzt.

Dagmar Doko Waskönig: Ja, und das erste Mal war gleich ein voller Erfolg. Hätte es nicht funktioniert, hätten wir es sicher nicht fortgesetzt! (lacht)

Jinpa: (lacht) Genau. Wir hatten beide schon vorher ein Seminar zusammen geleitet, das auf großen Anklang gestoßen war. Also bot sich eine Zusammenarbeit auch hier an – und es hat wunderbar funktioniert. Die DBU folgt in ihrem Studienprogramm schon lange dem Prinzip, dass immer zwei Lehrerinnen oder Lehrer aus verschiedenen Traditionen sich eines Themas annehmen – wegen der traditionsübergreifenden Ausrichtung. In Bezug auf die Zufluchtnahme ist dieser Ansatz aber neu.

Doko: Neu ist auch, dass es nicht einfach eine Lehrvermittlung gibt, sondern wir gemeinsam ein Ritual ausführen. Das berührt Menschen auf besondere Weise.

Marcel: Die Zufluchtnahme wird oft als emotionale Erfahrung beschrieben. Wie ist die Atmosphäre bei der Vorbereitung und Durchführung der von Ihnen durchgeführten Rituale?

Doko: Es gibt eine allmähliche Sammlung, eine freudige Anspannung und Dankbarkeit in der Gruppe. Ein ganzes Wochenende mit der Zufluchtnahme zu verbringen ist etwas Besonderes, da sie normalerweise die kürzeste Zeremonie im Buddhismus ist. Doch wir nehmen uns Zeit, um Vorträge zu halten und über die Bedeutung zu sprechen, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tiefer verstehen, warum sie die Zuflucht nehmen. Ja, das Ritual ist emotional, aber es soll nicht nur Hingabe geben – der Dalai Lama spricht von einer „begründeten Zuflucht“. Es geht darum, die Lehren des Buddha zu verstehen und anzunehmen. Ich halte zum Beispiel einen Vortrag über die fünf ethischen Gelöbnisse, um dafür das Bewusstsein zu schärfen. Dennoch bleibt das Herz beteiligt, da es nicht nur eine rationale Entscheidung sein soll.

Jinpa: Ja, es entsteht eine freudige Erwartung, und das Besondere ist, dass wir die Menschen dort abholen, wo sie sind. Die Gruppe wächst zusammen, tauscht sich aus und lernt voneinander. Dieses Gemeinschaftsgefühl, das auf verschiedenen Ebenen entsteht, ist sehr wohltuend und führt zu einem Erleben von Sangha. Eine schöne Mischung aus Belehrung, Meditation und Emotionen.

Doko: Und jedes Seminar ist auch unterschiedlich, je nach Zusammensetzung der Gruppe. Manchmal gibt es ein starkes Bedürfnis, Fragen zur Lehre zu klären, etwa zu Karma und Wiedergeburt. In anderen Gruppen ist es emotionaler. Es ist immer spannend, zu sehen, was sich dabei entwickelt.

Jinpa: Bestimmte Grundlagen der Lehre sind immer eingebaut; gleichzeitig geben wir viel Raum für das, was die Teilnehmenden einbringen.

Marcel: Die Motivation spielt eine große Rolle für dieses Ritual. Was ist eine gute Motivation? 

Jinpa: Eine gute Motivation ist die Herzensöffnung, nicht nur für sich selbst zu wirken, sondern zum Wohle aller Wesen. Auch das Bedürfnis nach Schutz, Kraft oder Bindung an Gleichgesinnte ist wertvoll. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen meist, weil es der nächste Schritt auf ihrem Weg ist, sich tiefer mit der Lehre zu verbinden, und das ist schön.

Doko: Ja, die Zufluchtnahme kann die eigene Motivation verstärken. Sie in einem Sangha zu nehmen ist etwas anderes, als nur für sich allein zu denken, dass man den Buddhaweg geht. Das klärt die Ausrichtung und inspiriert, den Weg mit Ernsthaftigkeit fortzusetzen.

Marcel: Hat die Zufluchtnahme einen seelsorgerischen oder auf andere Weise stärkenden Aspekt?

Doko: Seelsorge wäre zu viel gesagt, da wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht dauerhaft begleiten. Es gibt Einzelfälle, wo Menschen weiter Kontakt halten, aber das ist die Ausnahme. Leidhaftigkeit erfahren zu haben, kann ein Antrieb sein, auf den Weg zu finden, idealerweise gepaart mit einem tiefen spirituellen Bedürfnis. Dieser innere Antrieb aus der Buddhanatur heraus ist wichtig. Interessant ist, dass die Teilnehmenden meist schon lange buddhistisch praktizieren, teils schon 15 Jahre lang verschiedene Lehrerinnen und Lehrer und Kurse besucht haben. Zuflucht ist nicht unbedingt für Anfängerinnen und Anfänger geeignet. Man sollte die Lehre kennen und etwas Praxiserfahrung haben.

Jinpa: Wir erkunden, woher die Menschen kommen, was sie bereits inspiriert und wie es nach der Zuflucht weitergehen kann. Doko ist eine Ansprechpartnerin, man kann auch mich kontaktieren oder aber über die DBU Gruppen finden. Man nimmt also nicht Zuflucht und wird dann allein gelassen. Für die bewusste Entscheidung, tiefer zu gehen, ist es aber hilfreich, wenn man schon eine Basis hat. Unsere tägliche Praxis bereitet uns darauf vor und stimmt uns auf die Zeremonie der Zufluchtnahme ein. Zuflucht nimmt man im Grunde täglich in seinen Gebeten und Übungen.

Marcel: Ist die Zeremonie der Zufluchtnahme so etwas wie eine offizielle Bekräftigung, nachdem man im Rahmen der Praxis bereits innerlich Zuflucht genommen hat?

Jinpa: Eine Bekräftigung, vollzogen im Kontext der Gemeinschaft, die das Gefühl verstärkt, eingebettet zu sein und in ein weites Netzwerk einzutreten, selbst wenn man sich nicht täglich sieht. Auch das Offizielle an der Zufluchtnahme, wie das Zertifikat und die Namensvergabe, trägt auf einer subtilen Ebene dazu bei, dass man das Gefühl hat, eingebunden zu sein, dazuzugehören, vielleicht auch mehr Zugang zu haben und dass sich neue Türen öffnen. Das war auch meine Erfahrung bei der Ordination. Plötzlich tut sich etwas, und das kann man manchmal schwer in Worte fassen. Ein Wort zur Namensvergabe: Diese erfolgt nicht individuell, sondern alle bekommen den Namen „Mitta“ oder „Mitra“ – die gute Freundin, der gute Freund im Sinne des Dharma. Auch das unterstreicht den Gemeinschaftsgedanken und wurde bisher gut angenommen.

Marcel: Kann man sagen, dass die Teilnehmenden oft zwar buddhistische Praxiserfahrung haben, aber nicht auf eine einzelne Tradition festgelegt sind?

Dagmar Doko Waskönig

Doko: Die meisten haben tatsächlich in verschiedenen Traditionen Erfahrungen gesammelt, aber vorher nicht unbedingt Zuflucht genommen. Manche folgen auch einer bestimmten Tradition, haben darin aber bislang keine Lehrerin, keinen Lehrer für eine Zufluchtnahme gefunden und nehmen deshalb unser DBU-Angebot an.

Jinpa: Es ist auch möglich, dass manche die Zuflucht formal schon genommen haben, aber sie bewusster wiederholen möchten, da sie den Prozess nicht bewusst erlebt haben.

Doko: Gerne möchte ich noch etwas zu den verschiedenen Traditionen sagen. Im tibetischen Buddhismus wird die Zuflucht bei tantrischen Einweihungen mit einbezogen, ansonsten aber auch separat durchgeführt. Im Zen nimmt man meist keine separate Zuflucht, sondern gleich die Bodhisattva-Weihe, die die Zuflucht mit einschließt. Lange nach meinen Anfängen im Zen habe ich bei Dagyab Kyabgön Rinpoche, meinem tibetischen Lehrer, Zuflucht genommen – ganz spontan; als andere es taten, habe ich mich eingereiht. Das war sehr emotional und ganz anders als das, was ich aus dem Japanischen kannte. In meiner Organisation biete ich selbst schon länger Zufluchtnahmen an, als ersten Schritt für Menschen, die nicht sofort die Bodhisattva-Weihe nehmen möchten. Das habe ich übernommen, weil ich es sehr sinnvoll finde.

Marcel: Gibt es Verpflichtungen, die aus der Zufluchtnahme entstehen, besonders im Hinblick auf die fünf Tugendregeln?

Doko: Ich würde nicht von Verpflichtungen sprechen, auch ungern von Gelübden, sondern ich spreche von Gelöbnissen. Man gelobt, etwas zu tun, und nimmt es als Richtschnur im Leben an – als Teil des Übungsweges. Mit welcher Ernsthaftigkeit die Teilnehmenden dann weiter praktizieren, welche Schwerpunkte sie sich setzen – alles das können wir nicht vorschreiben, obwohl ich beides empfehle. Doch es liegt ganz individuell bei den Teilnehmenden, wie sie die Gelöbnisse künftig im Blick haben und entfalten und welche Erfahrungen sie damit machen möchten und können.

Jinpa: Die erste Tugendregel, niemandem zu schaden, sollte jedoch eine Grundhaltung sein. Das gehört zum Kernbestand der Lehre.

Marcel: Wie sehen Sie das Lehrer-Schüler-Verhältnis bei der traditionsübergreifenden Zufluchtnahme? Haben Sie noch Austausch mit den Menschen, die bei Ihnen Zuflucht genommen haben?

Doko: Sicher sehen manche Traditionen es anders, aber ich verstehe die Zufluchtnahme nicht als Bekräftigung eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Wir nehmen Zuflucht zu den Drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha – nicht zu einem Lehrer. Was den Kontakt angeht, so habe ich ihn nur zu den Menschen, die sowieso schon in meinem Umfeld sind. Viele gehen zu anderen Lehrerinnen und Lehrern, das suchen sie sich ganz frei aus. Sie können natürlich auch zu uns beiden kommen, wenn das Angebot für sie passt – auch das steht ihnen frei.

Jinpa: Ja, die Zufluchtnahme ist ein Schritt auf dem Weg der Teilnehmenden. Wie der Weg dann weiter aussieht, entscheiden alle selbst. Ich habe kein Zentrum und lebe recht abgelegen am Bodensee, daher habe ich auch keinen weiteren Kontakt zu den Menschen, die Zuflucht genommen haben, wäre aber natürlich offen, wenn jemand Kontakt suchen würde, oder kann über die DBU wirksam sein.

Marcel: Welche Erfahrungen aus Ihrer eigenen Zufluchtnahme haben Sie in das Ritual und Seminar eingebracht?

Doko: Wir wollten einen festlicheren Rahmen schaffen und haben diesen auch selbst konzipiert. Ein besonderer Aspekt ist die viele Zeit, die wir uns nehmen – ein ganzes Wochenende, wo die Zuflucht dann gegen Ende des Seminars genommen wird. Bei uns bereitet Jinpa Geschenke vor, die am Ende verteilt werden. Wir entzünden eine große Kerze, und jeder, der Zuflucht nimmt, zündet ein Teelicht an und erhält eine Urkunde von mir. Danach geht man zum Tisch mit den kleinen Geschenken. Abschließend sitzen wir im Kreis, feiern und tauschen uns aus, damit die Erfahrung sinken und wirken kann. Die Zufluchtnahme selbst ist schlicht, hat aber einen festlichen Abschluss und Rahmen, der uns wichtig ist.

Jinpa: Wir schätzen die Vielfalt, bilden aber trotzdem eine Gemeinschaft – innerhalb dieser Vielfalt. Das gehört zu den Bildern und Assoziationen, mit denen wir arbeiten und die wir aus unseren Erfahrungen schöpfen. Für mich sind die Vergabe der Namen und die Geschenke – tsa-tsas, kleine Relieffiguren aus dem Vajrayana-Buddhismus – eine Erinnerung an meine eigene Zufluchtnahme. Aus Erfahrung weiß ich, dass körperliche Handlungen eine Vertiefung bewirken. Eine Kerze anzuzünden prägt sich ein und führt zu dem Gedanken, dass wir unser eigenes Licht anzünden. Schließlich brennen im Kreis alle Lichter, die wir später hinaustragen in die Welt. Anders gesagt, möchten wir die Elemente der Zufluchtnahme hinaustragen und Lichter im Dunkeln sein. Solche Assoziationen sind wichtig.

Marcel: Sehr schön! Stehen Ort und Datum der nächsten Zufluchtnahme schon fest?

Doko: Wir machen es wieder bei uns im Zen Dojo Shobogendo. Das liegt gut erreichbar in Hannover. Als Datum haben wir den 27. bis 29. Juni 2025 festgelegt.

Marcel: Ich bedanke mich von Herzen für das Gespräch.

Weitere Informationen

Anmeldung zur Zufluchtnahme-Zeremonie der DBU gerne über Dagmar Doko Waskönig: