Wir wissen es nicht

Ein Interview mit Rei Ryu Philippe Coupey geführt von Jonas Endres veröffentlicht in der Ausgabe 2014/4 Abschied unter der Rubrik Im Gespräch. (Leseprobe)

Ein Gespräch mit dem Zenmönch Philippe Coupey über das Ende von Traditionslinien, über Selbstmord und andere Tode.

© tiefpics / photocase.com

Jonas Endres: Bevor wir über den individuellen menschlichen Tod sprechen, möchte ich auf einen anderen Tod zu sprechen kommen: den Tod des Dharma – das Aussterben der buddhistischen Lehre.

Philippe Coupey: Wenn du nur Schnarchnasen als Schüler hast oder nur Leute, die einfach mit dir sitzen, aber auch mit irgendjemand anderem sitzen könnten, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht; die nichts lesen, mit denen keine Auseinandersetzung stattfindet und die de facto aus falschen Gründen Zazen machen, z. B. nur für das eigene Wohlbefinden … also solche Leute werden nichts weitergeben können, noch nicht einmal die Zazen-Haltung, das Sitzen, die Aus- und Einatmung. Und wenn es da schon aufhört, wird es keine Übertragung, keinen Dharma, kein Großes Fahrzeug und keine Fortdauer geben. Natürlich wird vielleicht eine Weitergabe stattfinden, wie man Roben trägt und Sutras singt, aber keine Weitergabe des Dharma.

JE: Mir scheint, diese Frage der Weitergabe hat die Zen- Meister seit jeher beunruhigt …

PhC: Es hat sie viel mehr beunruhigt, als es mich jemals beunruhigt hätte, das ist sicher. Ich denke da an Bankei, der am Boden zerstört war, als sein erster Schüler starb. Denn für ihn war plötzlich die Weitergabe seiner Unterweisung in Frage gestellt. Das hat mich ein bisschen schmunzeln lassen, weil dieser Typ, Bankei – der Freieste der Freien, der sehr offen war und der nie wollte, dass seine Unterweisung aufgeschrieben wurde – trotzdem so am Boden zerstört war, und ich frage mich, ob der Tod dieses Schülers nicht auch ein Grund dafür sein könnte, warum es die Bankei-Linie heute nicht mehr gibt.

Dann stellt sich natürlich die Frage, was überdauert und was endet: Das Rinzai-Zen starb fast, eigentlich war es schon tot, doch ein Schüler Rinzais, es war der, den er „Idiot“ oder „Esel“ nannte, beschloss, sein ganzes Leben dafür zu arbeiten, das Rinzai-Zen bekannt zu machen. Der Esel schaffte es auch nicht ganz, aber seine Schüler dann, man könnte sagen die Enkel Rinzais, die machten weiter, und es dauerte zwei bis drei Generationen, bis jemand sagte: „Dieser Rinzai, der ist ja tief wie die Hölle“, und plötzlich, 100 Jahre später, war die Rinzai-Linie etabliert. Aber wenn seine Schüler nichts getan hätten, dann wäre das nicht geschehen. Doch was bedeutet es schon, ob sich deine Traditionslinie etabliert oder nicht? Ich denke nicht, dass man so mit dem Kosmos reden kann, indem man sagt: „Ich will, dass meine Linie weitergeht!“ Es liegt am Kosmos, dir zu sagen, ob deine Linie weitergeht oder nicht. Und darum bringt es auch nichts, in Tränen auszubrechen, wenn der Schüler stirbt: „Aber ich wollte doch, dass er es ist, der durch den Kosmos führt.“ Bankei und viele andere, deren Linien nach ihrem Tod ausstarben, werden als sehr unglückliche Meister angesehen, die Armen.

ENDE DER LESEPROBE

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Rei Ryu Philippe Coupey

Rei Ryu Philippe Coupey, Zen-Mönch und Schüler von Taisen Deshimaru, praktiziert und lehrt im Dojo Zen de Paris, im Rahmen der AZI und auf zahlreichen von seinen Schülern der „Sangha ohne Bleibe“ organisierten Sesshins in Frankreich und Deutschland. Er ist Herausgeber von drei Büchern Deshimarus, hat eigene Titel zu Zen-Klassikern sowie Romane unter dem Pseudonym MC Dalley veröffentlicht.

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