Wir sind dann mal offline
Warum nicht nur Buddhistinnen und Buddhisten den täglichen Gebrauch ihres Smartphones überdenken sollten. Ein Appell um fünf vor zwölf.
Wäre der junge Siddharta Gautama nach seiner Flucht aus dem elterlichen Schloss vor rund 2 500 Jahren nicht im alten Indien, sondern direkt im 21. Jahrhundert der digital natives gelandet, wäre er vielleicht umgekehrt und hätte sich lieber im ruhigen Garten von Kapilavastu einen Baum zum Meditieren gesucht.
Zumindest hätten ihn die vielen zombiehaft umherlaufenden Menschen irritiert, die durch emsiges Tippen und Streiche(l)n einem flachen, kleinen Ding Glück und das Gefühl von Zugehörigkeit entlocken wollen. Ihren Status „checken“ und ihr Leben durch Bilder, Bonmots und digitale Herzchen wahr machen wollen.
Für die renommierte amerikanische Soziologin Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology vollzieht sich damit bloß eine logische Kette der Ausbeutung: „Mit dem technischen Wandel gab es zuerst einen Angriff auf unsere Natur. Weil wir mehr und mehr Ressourcen brauchten – und Platz. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, wo Hightech und Apps unterschwellig und getarnt hinter putzigen gelben Lachgesichtern unsere Empathie attackieren.“
Sklavisch verehrter Fetisch
Das Smartphone ist längst vom nützlichen Werkzeug, das legen die Arbeiten von Kritikern des „Always on“ nahe, zum sklavisch verehrten Fetisch mutiert, der mühelos in immer intimere Bereiche der menschlichen Existenz vordringt. In Schulen, Bussen und Bahnen sind Whatsapp und Candy Crush zum digitalen Pausensnack geworden. Statt ihr Nutzerverhalten zu hinterfragen, blenden viele Nutzer Negatives aus und schicken bloß ein „Das Gerät meint es ja nur gut“ vor. Wie der Hundebesitzer, dessen entfesselt wütender Rottweiler „nur spielen will“. Ob Urlaub, Candle-Light-Dinner oder Popkonzerte, die eigentlich schönsten Momente des Lebens spielen sich für einen Großteil der Menschen nur noch durch die „Linse“ der Handykamera ab. Jeder Augenblick wird akribisch festgehalten. I was here! Instagram sei Dank.
Dabei scheinen die Deutschen durchaus ambivalent gegenüber I-Phone und Co. gestimmt zu sein: Laut einer aktuellen Stressstudie der Techniker Krankenkasse setzt 28 Prozent der Befragten die ständige Erreichbarkeit unter Druck. Insgesamt gaben 27 Prozent an, jederzeit per Handy erreichbar sein zu wollen, bei den 18bis 39-Jährigen sind es sogar 40 Prozent. Nur acht Prozent der jungen Altersgruppe benutzen ihr Gerät so gut wie gar nicht. Fragt man Menschen, die offensichtlich sehr viel auf ihrem Smartphone herumwischen und sich ihm widmen, nach dem Warum, lautet die Antwort oft: „Aus Langeweile.“ Warum ist das so? „Weil wir längst daran gewöhnt und vielleicht auch süchtig danach sind, von einem endlosen feed an Informationen, Bildern, Kommentaren und Videos berieselt zu werden“, schreibt Sherry Turkle in ihrem Buch Reclaiming Conversation. Der Microsoft Research Report von 2013 bestätigt diesen Trend. Laut der Studie beträgt die durchschnittliche Aufmerksamkeit eines Menschen gerade einmal acht Sekunden und ist damit eine Sekunde kürzer als die eines Goldfischs.
„Auch wenn ein Smartphone in vielerlei Hinsicht nützlich ist, verschwenden wir doch viel Zeit damit, auf total unwichtige Dinge zu schauen. Das ist pure Ablenkung, die im schlimmsten Fall zu unruhigen Geisteszuständen führen kann“, sagt Thubten Chodron, Gründerin des Klosters Sravasti Abbey im US-Bundesstaat Washington. Während wir mit dem Mobiltelefon ständig und weltweit vernetzt sein können, verengt es doch den Blick auf einen kleinen Bildschirm. Die buddhistische Nonne verweist zusätzlich auf die diversen Shoppingseiten, die zunehmend auch übers Handy angesteuert werden. Wer ständig in der AmazonApp stöbert, kauft dabei womöglich auch mal Dinge, die er gar nicht braucht. Anhaftung entsteht. News-Ticker oder gar GewaltVideos können Ärger auslösen.
Mitgefühl im digitalen Zeitalter
Und obwohl es heute möglich ist, ständig auf verschiedensten Wegen miteinander zu kommunizieren, versteckt sich ein Großteil der Menschen hinter zahllosen Displays voreinander. „Wir laufen an so vielen realen Personen vorbei, die Gefühle haben, und ignorieren sie. Die Mitmenschen verkümmern in unserer Sicht zu beweglichen Objekten“, erklärt Thubten Chodron. Dabei ist das Gespräch von Angesicht zu Angesicht das menschlichste Bedürfnis überhaupt. Sogar ein ausgeschaltetes Telefon, das umgedreht auf dem Tisch liegt, bei einem ersten Date im Restaurant etwa, besitzt erschreckenden Einfluss auf unsere Interaktion. Wie die US-Soziologin Turkle und ihre Kollegen in Studien feststellten, verlaufen Gespräche mit stummem Smartphone im Blickfeld ungleich oberflächlicher. Selbst vom Rücken des Geräts werden wir in unserem Menschsein, als soziales Wesen also, beeinträchtigt. „Solches Verhalten hindert uns daran, echtes Bodhicitta zu entwickeln. Um Mitgefühl und Einfühlungsvermögen zu kultivieren, müssen wir andere Menschen auch bewusst sehen und wahrnehmen“, so Thubten Chodron.
Süchte im neuen Gewand
Auch mit Hinblick auf das Fünfte Laiengelübde scheint dringender Handlungsbedarf angesagt. „Neben Alkohol und Drogen sollten wir alle Substanzen vermeiden, die unseren Verstand trüben könnten. Es wird Zeit zu realisieren, dass die neuen Technologien genau das tun“, erklärt der amerikanische ZenLehrer David R. Loy. In China gibt es mittlerweile boot camps für internetabhängige Jugendliche. Keine Sucht ist im Reich der Mitte weiter verbreitet. „Einerseits dürfen Jugendliche kein Bier kaufen, das Internet ist aber überall zugänglich und kostet fast gar nichts“, sagte Tao Ran, der Direktor der Einrichtung, in einer Fernsehdokumentation. Selbst Hotels und Privatkliniken werben bereits weltweit für Tech Detox, ein Programm nicht nur für gestresste Geschäftsleute. Trotz Horrorszenarien wie diesem bleibt Sherry Turkle optimistisch: Die Macht, die sich I-Phone und Co. angeeignet hätten, könnten wir ihnen spielend wieder nehmen, wenn uns der Ernst der Lage klar werde.
Zurück zur Achtsamkeit
Doch wie können Betroffene mit ihren schlechten Angewohnheiten brechen und wieder häufiger im Hier und Jetzt sein? „Das ist gar nicht so leicht. Achten Sie also darauf, erst gar keine Abhängigkeit von Ihrem Smartphone zu entwickeln. Wenn wir uns die Nachteile deutlich klar machen, kann das helfen, die Finger davon zu lassen“, erklärt Thubten Chodron. Zusätzlich helfe es, Protokoll darüber zu führen, wie viel Zeit man tatsächlich mit dem Handy, am Computer und im Internet verbringe. „Was da an Stunden und Tagen zusammenkommt, wirkt manchmal wie ein heilsamer Schock.“ David Loy empfiehlt eine Achtsamkeitsglocke, zum Beispiel als App, die uns in Abständen daran erinnert, eine Pause zu machen und tief durchzuatmen. „Es ist auch sehr hilfreich, Gewohnheiten auf eine bestimmte Zeit einzugrenzen, entweder auf eine Stunde am Tag oder einen Tag pro Woche. Man kann es sich auch zur Regel machen, keine E-Mails unterwegs auf dem Handy zu lesen. Das Ganze wirkt wie ein mentales Fasten zwischendurch.“
Matthias Luckwaldt
Matthias Luckwaldt studiert Religionswissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Universität Hamburg. Als Journalist schreibt er für verschiedene Publikationen, darunter „Tibet und Buddhismus“, und ist Mitherausgeber des Magazins „Enough“.