Wie üben wir uns in liebevoller Güte?

Ein Interview mit Ajahn Brahm geführt von Redaktion BUDDHISMUS aktuell veröffentlicht in der 4/2024 unterwegs unter der Rubrik Fragen an einen buddhistischen Mönch.

Der britische Theravada-Mönch Ajahn Brahm ist weltweit bekannt für seine humorvolle, freundliche und gleichzeitig tiefgründige Art des Lehrens. In seinem Buch „Wie hilft der Bär beim Glücklichsein?“ antwortet er auf Fragen von Teilnehmenden eines Meditationskurses. Ein Auszug.

© Bodhinyana-Kloster, Westaustralien

Was ist eigentlich Metta? Ich stehe nämlich noch ganz am Anfang, musst du wissen.

Ajahn Brahm: Was für eine wunderbare Frage! Die Person, von der sie stammt, muss sehr gütig und liebenswürdig sein. Bestimmt stehst du kurz vor der Erleuchtung. Metta nennt man die Art und Weise, wie ich euch behandle: „liebevolle Güte“ – also Fürsorge, Mitgefühl, Akzeptanz, Respekt. Bringst du jemandem Mettaentgegen, respektierst du ihn, bist nett zu ihm, denkst gut über ihn – auch wenn er mitten in der Nacht lautstark schnarcht. Begegnest du anderen Menschen mit liebevoller Güte, stellen sie kein Problem mehr dar. Begegnest du dir selbst mit liebevoller Güte, stellst du für dich auch kein Problem mehr dar. Und begegnest du schließlich jedem einzelnen Moment mit liebevoller Güte, begegnest dem Jetzt mit schöner Metta, befindest du dich auf dem Highway zur Erleuchtung. Und der Weg wird dann ganz leicht.

Ein Grund, weshalb Menschen keinen inneren Frieden empfinden, ist, dass sie zu ihrem Geist nicht gütig genug sind. In Metta hast du Nachsicht mit dir – zwingst dich zu nichts. Du betrachtest deinen Körper und deinen Geist als Freunde, und ihr arbeitet gütig, mitfühlend zusammen.

In meinem Buch „Die Kuh, die weinte” beschreibe ich Metta als die Fähigkeit, die Tür unseres Herzens zu öffnen, gleich was wir erleben, egal was geschieht. Metta ist schönstes, bedingungsloses Wohlwollen. Ein Beispiel: Vielleicht warst du faul und denkst, dass du bestraft gehörst. Das ist nicht Metta. Sei selbst dann lieb zu dir, wenn du faul oder nachlässig warst, etwa die während des Retreats geltenden Tugendregeln gebrochen und am Nachmittag Kekse gefuttert hast. Was auch immer: Sei nachsichtig mit dir. Und bezüglich deiner Mitmenschen: Dass sie alle möglichen störenden Geräusche von sich geben, während du meditieren willst, spielt keine Rolle: „Mögen auch sie glücklich sein und möge es ihnen gut gehen.“

Dieses schöne Gefühl von Metta ist weder vom Tun anderer noch von deinem eigenen Handeln abhängig. Begegne jedem Moment mit Metta. Sei unablässig gütig zu dir, was auch gerade sein mag und wie du es empfindest – ob du dich langweilst, rastlos oder frustriert bist. Anders ausgedrückt: Meine es mit jedem einzelnen Moment gut.

Wie kann ich Metta vergrößern? 

Mit der Metta-Meditation lässt sich allen Lebewesen gegenüber bewusst Wohlwollen erzeugen. Dabei lernen wir, die liebende Güte zu erkennen und weiter auszubauen. Gewöhnlich sagt man sich bei der Metta-Meditation wieder und wieder Worte wie: „Mögen alle Lebewesen glücklich sein und möge es ihnen gut gehen. Mögen alle Lebewesen frei von Leiden sein. Möge ich glücklich sein. Möge ich zu innerem Frieden finden.“ Aber du kannst auch deine eigenen Formulierungen finden. Wichtig ist nur, dass du auf die Lücken, die Freiräume zwischen den Worten achtest. Nach dem „Möge ich glücklich sein und möge es mir gut gehen“ machst du ein Päuschen und räumst deinen Worten damit die Chance ein, ihre Wirkung zu entfalten.

Wie du feststellen wirst, haben Worte Macht. Während der Pause, in der du dich mit dieser Macht verbindest, begreifst du die wahre Bedeutung des „Mögen alle Lebewesen frei von Leiden sein“ und dein Geist beginnt Metta hervorzubringen. Die Worte sind nur das Streichholz, das die Güte entzündet. Das Gefühl, das sich nach den Worten einstellt, ist Metta. Und unglaublich angenehm.

Wiederhole die Worte nur so lange, bis du die Güte spürst. Wann immer du deinem Geist eine Anweisung gibst, beginnt er sich darauf einzustellen. Deine Worte weisen ihn in Richtung Metta. Ist dein Geist erst einmal voller liebender Güte, benötigt er die Worte nicht mehr. Du bist den Wegweisern gefolgt und hast dein Ziel erreicht: Du empfindest Metta. Du kultivierst dieses Gefühl, indem du dich ihm anvertraust und dich gut fühlst damit. So wird es sehr, sehr stark. Und du kannst es bis in einen tief meditativen Zustand hinein vertiefen.

Wiederhole die Worte also so lange, bis du sie spürst. Angenommen, du sagst: „Frieden … Frieden … Frieden.“ Spürst du den Frieden? Empfindest du die Bedeutung des Wortes? Sobald das der Fall ist, sobald sich dein Geist mit Frieden erfüllt hat, brauchst du das Wort nicht mehr auszusprechen. Sag es dir erst wieder vor, wenn seine innere Wirkung nachlässt. Und immer nur, solange es erforderlich ist. Bis du zu innerem Frieden gefunden hast.

So üben wir uns in liebender Güte. Mithilfe von Worten erzeugen wir ein Gefühl; sobald dieses Gefühl stark genug ist, wenden wir uns ihr zu und lassen von den Worten ab. Sie haben ihren Job getan. Wenn du willst, kannst du ein goldenes Licht in deinem Herzen visualisieren. Solche Visualisierungen helfen manchmal.

Ab einem bestimmten Punkt verselbstständigt sich dieser Prozess. Dann musst du nichts mehr sagen, sondern fühlst die Güte einfach – du wirst zu Metta – und es erstreckt sich auf alle Lebewesen. Noch einen Schritt weiter, und du erlebst so viel Glück und Freude, so viel piti-sukha (Freude und subtiles Glück, die Red.), dass in deinem Geist ein schönes Licht aufscheint – ein nimitta (geistiges Bild, die Red.). Dann sitzt du einfach da in aller Glückseligkeit, total entspannt. So ein richtiges Metta-Nimitta ist wunderschön, herrlich, man kann sich leicht darauf fokussieren, und es führt dich in die Zustände der geistigen Vertiefung, die jhanas. Während eines dreimonatigen Retreat sage ich den Mönchen immer wieder das folgende Buddha-Wort vor: Sukhino cittam samadhiyati – „Vor Zufriedenheit und Glück wird der Geist ganz still“. Es ist diese Zufriedenheit, dieses Glück in Metta, das den Geist so unglaublich ruhig macht. Und eben dann kommt es zu Nimittas und Jhanas.

Spüre, wie dein „Mögen alle Lebewesen glücklich sein und möge es ihnen gut gehen“ in dir nachhallt. Sprich die Worte weiterhin aus – und meine sie auch so! Schwelge in den entsprechenden Gefühlen, bis diese sehr, sehr stark werden und sich verselbstständigen. Als wolltest du ein Feuer entfachen und müsstest dafür das Streichholz mehrmals über die Reibefläche ziehen. Ist das Feuer dann einmal entzündet, geht alles wie von selbst. Ähnlich funktioniert auch die Metta-Meditation, und sie ist sehr mächtig.

Ich hatte schon gute Meditationen, bei denen es nur den Atem gab und alles ganz still war. Aber dann frage ich mich: „Wo ist der Geist?“ Denn ich spüre ihn nicht. Ist die Stille vielleicht der Geist?

Du Dummchen – hast mit Denken angefangen! Stör die Stille nicht. Das finde ich merkwürdig: dass die Leute beim Meditieren ganz ruhig werden und die Stille dann selbst unterbrechen. Ich bin mal in Nepal auf einen Berg gestiegen, von dessen Gipfel aus ich einen herrlichen Blick auf den Himalaja hatte. Die Aussicht war so großartig, dass ich unbedingt ein Foto machen wollte. Also rannte ich zum Wagen zurück, um die Kamera zu holen, aber als ich wieder auf dem Gipfel ankam, waren Wolken aufgezogen und ich konnte den Himalaja nicht mehr sehen. Mach du nicht den gleichen Fehler. Hol dich nicht selbst wieder raus, wenn du inneren Frieden empfindest, sondern genieße ihn. Und frag nicht: „Wo ist der Geist?“

Ich bin gelernter Naturwissenschaftler. Mache ich ein Experiment, ziehe ich deshalb keine Schlussfolgerungen, bevor nicht alle Daten erhoben sind. Denn es kann die Ergebnisse verfälschen, wenn die Werte erst zur Hälfte vorliegen und du schon versuchst, dir einen Reim darauf zu machen. Überleg also nicht, wo dein Geist sein könnte oder was da überhaupt Sache ist, bevor du die Meditation nicht beendet hast. Danach kannst du dich fragen: „Was war das denn? Was war denn da los?“ Während der Meditation dagegen bleibst du ganz ruhig und still und erlaubst dir das Sammeln weiterer Daten. Versuch dir keinen Reim auf deine Reise zu machen, während du noch unterwegs bist. Warte damit bis zum Ende.

Mich verwirren die Namen der verschiedenen Meditationstechniken. Was versteht man unter Anapanasati, Vipassana und Samatha?

Anapanasati heißt „Atemmeditation“, vipassana bedeutet „Einsicht“ und samatha „Ruhe“. Unterschiede aber bestehen keine, letztlich bezeichnen sie alle dasselbe. Dazu gibt es eine schöne Geschichte, die ich bei Retreats immer gern erzähle.

Es war einmal ein Ehepaar. Der Mann hieß Sam (Samatha), seine Frau Vi (Vipassana). Eines Tages beschlossen die beiden nach dem Mittagessen, mit ihren beiden Hunden spazieren zu gehen, den Meditationsberg hoch. Der eine Hund hieß Metta, der andere Anapana (Anapanasati). Sam wollte auf den Gipfel, weil es dort so friedvoll war und er diese Stille einfach liebte. Vi ging es um die Aussicht. Deshalb nahm sie ihre neue Kamera mit, die ihr selbst auf große Entfernung unglaublich schöne Aufnahmen ermöglichte. Metta schloss sich an, weil sie die Besteigung des Meditationsberges spaßig fand, und Anapana der guten Luft wegen.

Nachdem sie die erste Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatten, wurde es – sehr zu Sams Vergnügen – friedlich und still. Doch genoss er auch die Aussicht, schließlich hatte er Augen im Kopf. Vi ließ derweil den Blick in die Ferne schweifen und schoss bereits die ersten Fotos. Nicht jedoch, ohne sich ebenfalls an der schönen Harmonie des Augenblicks zu erfreuen. Metta wedelte heftig mit dem Schwanz, weil sie bereits auf halber Strecke so viel Liebe und Güte empfand. Anapana schließlich atmete ganz ruhig – die Luft war hier so gesund und köstlich, dass sie dem Hund wie von selbst in die Nase strömte. Doch genossen beide Tiere auch den Frieden und die Aussicht.

Am Gipfel herrschte vollkommene Ruhe. Auf der Kuppe des Meditationsberges bewegte sich absolut nichts mehr, und Sam hatte sein Ziel erreicht. Aber er genoss auch die Aussicht – er konnte endlos weit sehen, das ganze Universum schien sich vor ihm auszubreiten. Vi hatte so viel Schönes noch nie vor Augen gehabt – so viele Einblicke, so tiefe Einsichten. Aber auch sie fand Gefallen an dem Frieden, der hier herrschte. Metta war unglaublich glücklich. Denn zu der friedlichen Atmosphäre und der schönen Aussicht gesellten sich nun auch die Freude und Liebe der tiefen Meditation. Und Anapana – der war verschwunden! Wohin, wusste keiner. Doch so ist es nun mal: Auf dem Gipfel des Meditationsberges verschwindet der Atem.

Diese Techniken greifen alle ineinander. Zwischen Vipassana, Samatha, Metta und Anapanasati besteht kein Unterschied. Es gibt nur eine einzige Meditationsform: das „Loslassen“. Und die verschiedenen Bezeichnungen sind lediglich unterschiedliche verbale Ausdrücke dafür. Du kannst also loslassen, wie immer es dir gefällt. 


Der Buchauszug wurde von der Redaktion von BUDDHISMUS aktuell zusammengestellt und gekürzt. 

Literaturhinweis

Ajahn Brahm: „Wie hilft der Bär beim Glücklichsein? Fragen und Antworten für den buddhistischen Weg zu einem achtsamen und erfüllten Leben“, ©Lotos Verlag, München 2018, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Übersetzung von Karin Weingart

Ajahn Brahm

Ajahn Brahm hat Theoretische Physik an der Universität
von Cambridge studiert und ist seit mehr als 40 Jahren buddhistischer Mönch. Er lebte viele Jahre in einem thailändischen Waldkloster unter dem Ehrwürdigen Ajahn Chah. Heute ist er Abt des Bodhinyana-Klosters in Westaustralien und weltweit als buddhistische Lehrer bekannt.

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