Vertrauen in guten und in schlechten Zeiten

Ein Beitrag von Sylvia Wetzel veröffentlicht in der Ausgabe 2017/1 Vertrauen unter der Rubrik Vertrauen.

Sylvia Wetzel beschreibt in ihrem Beitrag drei Arten des Vertrauens. Diese brauchen wir, um das Leben in seinem Auf und Ab wertzuschätzen, wenn es gut läuft, und auszuhalten, wenn es schlecht läuft.

Goldener Buddha | © Tawatchai Chajit

Wir brauchen Vertrauen wie die Luft zum Atmen. Und meist haben wir genug Vertrauen für ein Leben ohne große Krisen. Wir schlafen in Ruhe ein, im Vertrauen darauf, dass wir am Morgen wieder am gleichen Ort aufwachen werden. Wir vertrauen, zum Glück meist unbewusst und mühelos, auf die Beständigkeit unserer kleinen Welt und können uns so den Aufgaben widmen, die zu unserem Alltag gehören.

Was aber ist Vertrauen, und wie entsteht es, und was können wir tun, wenn es durch die kleinen und großen Schmerzen und Veränderungen, die zum Leben gehören, erschüttert wird: unangenehme Gefühle, Verlust und Kritik, Ungewissheit und Armut, Umbrüche und Krisen, Krankheit, Alter und Tod?

Vertrauen beinhaltet:

* Vertrauen zu anderen Menschen
* Vertrauen zu uns selbst und
* unerschütterliches Vertrauen ins Leben

In der Vormoderne kannten die meisten Menschen vor allem zwei Arten des Vertrauens: das zu anderen und das ins Leben, ins große Ganze. In der Moderne liegt der Schwerpunkt auf dem Vertrauen zu uns selbst. Das zumindest ist das große Ideal, das Ideal der autonomen Persönlichkeit, die alle überkommenen Werte infrage stellt und sich zutraut, den Lauf der Welt zu verändern. Das nennen wir Fortschritt.

Die meisten Menschen spüren und schätzen ein gewisses Maß an Vertrauen in andere, viele vertrauen auch sich selbst und wohl alle sehnen sich nach unerschütterlichem Vertrauen und verzweifeln, wenn sie es in Krisen und Umbrüchen nicht finden können. Können wir das Vertrauen, das uns fehlt, stärken, und falls ja, wie?

Ich glaube nicht, dass wir das stabile Vertrauen der Vormoderne ins Leben, in religiöser Sprache das Gottvertrauen, wiederfinden können. Für Menschen, die kulturell nach der Aufklärung leben und sich gerne ihres eigenen Verstandes bedienen, scheint tiefes Vertrauen ins Leben erst möglich, so meine These, nach einer tiefen Erschütterung des Vertrauens in sich selbst und in andere. Diese tiefe Erschütterung tut weh, aber sie bietet die Chance zu einem tieferen Vertrauen, das uns auch in schweren Zeiten tragen kann.

Die drei Arten der Zuflucht

Bei der Beschreibung der drei Arten des Vertrauens habe ich mich von den buddhistischen Lehren über die Zuflucht inspirieren lassen.

Alle buddhistischen Traditionen empfehlen zwei Arten der Zuflucht:

Die tibetischen Traditionen lehren drei Dimensionen der Zuflucht:

Zunächst nehmen wir Zuflucht zum äußeren Buddha als einem Symbol für die unendlichen Möglichkeiten des Menschseins. Wir nehmen Zuflucht zum äußeren Dharma, das heißt zu seinen Lehren und den vielen Übungen, die uns helfen, unsere Möglichkeiten kennenzulernen und zu entfalten und die vielen Hindernisse auf dem Weg zu erkennen und abzubauen. Und wir nehmen Zuflucht zur äußeren Sangha, zur Sangha der Edlen Wesen, die ihre Möglichkeiten erkannt und zumindest so weit entfaltet haben, dass sie uns lehren und begleiten und unser Vertrauen stärken können, damit wir den Weg zur Befreiung von Gier, Hass und Verblendung in ihren vielen Varianten und zur Entfaltung aller guten Fähigkeiten selbst gehen können.
Wir brauchen ein gewisses Maß an Vertrauen in die Drei Juwelen im Außen, damit wir das nötige Selbstvertrauen entwickeln, um selbst unseren Weg zu gehen. Das ist die innere Zuflucht. Bezogen auf die Drei Juwelen können wir die innere Zuflucht so verstehen: Wir vertrauen in unser eigenes Potential zu erwachen, auf den inneren Buddha. Durch die regelmäße Übung verwandelt sich das Dharma der Schrift und der Lehren in das Dharma der Einsicht: Das ist das innere Dharma. Und wenn wir den Weg, gut begleitet, selbst gehen und Liebe, Kraft und Einsicht entwickeln, werden wir selbst zur Sangha: Das ist die innere Sangha. Die meisten Unterweisungen zum Thema Zuflucht enden beim Zusammenspiel von äußerer und innerer Zuflucht. In Zeiten des Umbruchs scheint sich für viele Menschen aber die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Zugangs zu einer tieferen Zuflucht zu eröffnen, zu einem tieferen Vertrauen, das nicht primär auf anderen Menschen oder den eigenen Fähigkeiten beruht und auch nicht auf schönen Erfahrungen und klugen Theorien. Dieses Tor scheint sich nur in individuellen oder kollektiven Krisen zu öffnen, wenn das, was wir als Menschen allein und zusammen können, nicht mehr ausreicht.

Vertrauenskrise als Chance

Was geschieht, wenn wir im Laufe unseres Lebens in eine tiefe Krise geraten, ausgelöst durch äußere Umstände – Krankheit, Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes, politische Ereignisse – oder innere Zweifel? Bezogen auf den spirituellen Weg fragen wir uns vielleicht, ob der Buddha wirklich gelebt hat. Ob das, was wir kennengelernt haben, auch authentische Lehren sind, und ob sie auch für westliche Menschen anwendbar sind. Was geschieht, wenn sich „unser“ Roshi, Lama oder Thera, unsere Lehrerin oder unser Lehrer nicht so verhält, wie sie oder er das unserer Meinung nach tun müsste? Wenn sie oder er ungesund isst, unsere Probleme nicht versteht oder politisch unmögliche Ansichten äußert oder sogar Alkohol trinkt, Drogen nimmt, schnelle Autos oder teure Kleider liebt, viel zu viel Geld verdient oder Affären mit Schülerinnen oder Schülern hat?

„Wir brauchen ein gewisses Maß an Vertrauen in die Drei Juwelen im Außen, damit wir das nötige Selbstvertrauen entwickeln, um selbst unseren Weg zu gehen.“

Was geschieht, wenndie Entfaltung wunderbarer Fähigkeiten auf sich warten lässt? Was geschieht, wenn wir bemerken, dass unser Leben in einigen Bereichen vielleicht etwas runder läuft, aber wir trotz aller Übung krank werden, immer noch mit nahen Menschen streiten, alte Muster uns immer wieder das Leben schwer machen, wir manchmal keine Lust zum Üben haben und in politischen oder spirituellen Weltschmerz verfallen?
Irgendwann dämmert uns, dass unsere im Prinzip sehr geschätzten Lehrerinnen und Vorbilder nicht perfekt sind und auch wir uns einfach nicht so verändern, wie wir das erwarten. Manche verabschieden sich an dieser Stelle ganz von einem spirituellen Weg und versuchen ihren Alltag mit seinen Freuden und Leiden so gut es geht zu genießen. Andere probieren es mit einer anderen spirituellen Tradition und einem anderen Lehrer oder einer anderen Lehrerin. Und wieder andere erleben eine spirituelle Krise.

Auf eine Krisenvariante möchte ich ausführlicher eingehen, denn sie geschieht auch in nicht spirituellen Kontexten und sie kann zu unerschütterlichem Vertrauen führen. Die Kurzfassung findet sich im Zen. Dort spricht man von den Drei Pfeilern: große Entschlossenheit, großer Zweifel und großes Vertrauen. Mit großer Entschlossenheit gehen wir den Weg, der uns in große Zweifel führt, und wir geben uns dem Zweifel mit Leib und Seele hin und finden so das große Vertrauen, das uns trägt, was immer auch geschieht.

Die dunkle Nacht der Seele

Eine sehr anschauliche, tiefgründige und zugleich sehr poetische Beschreibung dieser Krise stammt von dem spanischen Mystiker San Juan de la Cruz, Johannes vom Kreuz, aus dem 17. Jahrhundert, also aus dem Anfang der Moderne. Johannes vom Kreuz setzte sich zusammen mit Teresa von Avila für die Reform des Karmeliterordens ein und wurde aus diesem Grund von seinen Ordensbrüdern neun Monate ins Gefängnis gesteckt. In dieser Zeit schrieb er sein bekanntes Gedicht über die „Dunkle Nacht“ (La noche oscura) der Seele und des Geistes. Das Bild von der dunklen Nacht wurde zu einem kraftvollen Symbol für existenzielle Krisen, die zum spirituellen Erwachsenwerden gehören.
In der dunklen Nacht der Seele spüren wir eine Art Langeweile auch angesichts angenehmer Gefühle. Schöne Erfahrungen sind wichtig, aber nicht hinreichend, merken wir mehr und mehr, nicht einmal für ein gelingendes Leben ohne spirituelle Sehnsüchte. In der buddhistischen Tradition nennt man die Folge der dunklen Nacht der Seele, dieser ernüchternden Erfahrungen und Einsichten, „Entsagung“. Entsagung ist kein Abstinenzlerprogramm für sinnenfrohe Menschen, sondern die Folge der Einsicht, dass Sinnesfreuden zwar angenehm und wertvoll sind, es aber mehr Dinge im Leben gibt, die Glück schenken: zum Beispiel ein offenes Herz und Wohlwollen für uns und andere, die Freude der Sammlung und Hingabe an Dinge, die uns am Herzen liegen, und schließlich begriffliche und tiefe Einsicht in die Gesetze des Lebens. Um diese Art der Entsagung zu entdecken, braucht man nicht unbedingt einen spirituellen Weg. Wenn man ein paar Jahrzehnte gelebt und die Freuden der Sinne genossen hat, weiß man, dass das nicht alles ist. Und dann wendet man sich anderen Dingen zu, ohne Sinnesfreuden abzuwerten oder zu leugnen, denn sie gehören zu einem gelingenden Leben dazu.

Die dunkle Nacht des Geistes

Über die zweite dunkle Nacht, die dunkle Nacht des Geistes, wird sehr viel seltener gesprochen und geschrieben, denn diese Erfahrung stellt alle Ansichten und Meinungen, Ideologien und Konzepte infrage, auch die der erhabensten Religion. Die dunkle Nacht des Geistes erleben wir als tiefen Zweifel an allen Gewissheiten. Plötzlich erscheinen uns all die vielen klugen Ansichten und Meinungen, spirituelle und politische Visionen und Theorien als reines Wortgeklingel, selbst wenn sie von ehrenwerten und geschätzten Koryphäen, von anerkannten Autoritäten und Vorbildern geäußert werden. Uns dämmert wie Faust: Und grau ist alle Theorie. Wir bezweifeln alle Ansätze, ein Konzept nach dem anderen fällt in sich zusammen, und plötzlich begreifen wir mit Leib und Seele, dass wir nichts wirklich wissen und auch nie wissen können. Natürlich können wir meist trotz dieser Zweifel weiterhin unseren Alltag regeln und auch unsere vertrauten Aufgaben erfüllen, aber wir wissen nicht mehr, was das Ganze soll. Und jede Theorie oder Ideologie, die uns sagt, was richtig und falsch ist, wirkt nur noch lächerlich. Die buddhistische Philosophie nennt diese Erfahrung Einsicht in Leerheit. Wir begreifen dann, dass alle Interpretationen und Vorstellungen, alle Meinungen und Ansichten lediglich Zuschreibungen sind, bestenfalls Finger, die auf den Mond zeigen, aber nie die Sache selbst.

„Die dunkle Nacht des Geistes lehrt uns Einsicht in Leerheit, dass auch die Freuden des begriflichen Verstehens Grenzen haben. Keine Theorie trägt uns, wenn es wirklich schwierig wird.“

Manche Menschen machen aus der Einsicht in die Relativität aller Konzepte wieder eine Theorie, und die erfolgreichste nennt man seit Nietzsche in Europa Nihilismus. Doch schon vor zweieinhalbtausend Jahren hat der Buddha den Nihilismus als eine der falschen Ansichten bezeichnet, die ein verantwortliches Leben und auch das Erwachen aus dem Gefängnis der Verblendungen verhindern. Was können wir tun, wenn alle Ansichten und scheinbare Gewissheiten wie Kartenhäuser zusammenbrechen? Manche meiner langjährigen WeggefährtInnen im Buddhismus haben mir in solchen Phasen geraten, einfach mehr auf meine LehrerInnen und die Überlieferungslinie zu vertrauen, denn die wüssten schon, was richtig ist. Sie verwiesen mich auf das bereits erschütterte Vertrauen in andere, in die äußere Zuflucht. Leider funktionierte das für mich nicht. Nichts im Außen – weder Menschen noch Texte – konnte meine Zweifel auflösen oder auch nur verringern. Mein Vertrauen in mich und andere zeigte in dieser Zeit tiefe Risse.
Was tun? Johannes vom Kreuz rät uns, bei der Übung zu bleiben, die uns bis an diesen Punkt geführt hat. Wir meditieren weiter über Liebe und Mitgefühl, spüren den Körper, achten auf den Atem oder auf alle Erfahrungen, Sinneswahrnehmungen und Gefühle, Gedanken und Urteile, bemerken und beobachten sie, ohne automatisch darauf zu reagieren. Wir üben weiter und reden nach Möglichkeit ab und zu mit Menschen, die diese Erfahrungen kennen. Besonders in solchen Zeiten sind Gespräche mit Menschen, denen wir vertrauen, Mitübende oder Lehrerinnen und Lehrer, sehr hilfreich. Ich übte also weiter: stilles Sitzen, die Praxis der Grünen Tara, und ich hielt weiter Vorträge, in denen ich den Zweifel zum Thema machte, und sprach mit den Lehrerinnen und Kollegen, die mein Anliegen verstanden und aus eigener Erfahrung kannten. Übertragen auf einen nicht spirituellen Kontext könnte das bedeuten, wir tun das, was wir bislang getan haben, weiter, sofern es niemandem schadet und diese Zweifel nicht erstickt oder deckelt: kreatives Tun, Ehrenämter, soziale Arbeit, Einsatz in der Zivilgesellschaft und so weiter, und wir sprechen mit Menschen, die solche tiefen Zweifel kennen, ohne darin zu versinken.

Vertrauen miteinander

Vertrauen miteinander | © Goa Shape | Unsplash.com

Und wie geht es nach der dunklen Nacht weiter?

Aus meiner Erfahrung und der vieler Menschen aus der europäischen und buddhistischen Tradition weiß ich: Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten (Ton, Steine, Scherben). Oder: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch (Hölderlin). Oder: Mut zum Sein, trotz Schicksal, Schuld und Sinnlosigkeit (Tillich). Vertrauen zu anderen Menschen ist und bleibt unverzichtbar, aber wenn es überzogen ist, führt es in die Irre. Dann glauben wir: „Die Lösung kommt von außen. Es gibt Menschen, die es wissen und mir sagen können. Es gibt einen richtigen Weg, und zwar für alle.“ Auch brauchen wir immer Vertrauen zu uns selbst, auch darauf, dass wir alle Gewissheiten hinterfragen dürfen und können. Aber wenn wir erwarten, am Ende des Weges des kritischen Hinterfragens neue fassbare Gewissheiten zu finden, enden wir in Verzweiflung und Nihilismus.
Die dunkle Nacht der Seele lehrt uns Entsagung, die Einsicht, dass schöne Erfahrungen schön sind, aber letztlich nie zufriedenstellen können, weil sie unbeständig und bedingt sind. Angenehme Erfahrungen kommen und gehen. Und bedingte Zustände auch. Und das, was kommt und geht, ist nicht die Lösung unserer Probleme, auch nicht die Lösung von Zweifeln. Die dunkle Nacht des Geistes lehrt uns Einsicht in Leerheit, dass auch die Freuden des begrifflichen Verstehens Grenzen haben. Keine Theorie trägt uns, wenn es wirklich schwierig wird.

Was lässt uns leiden?

Das Leben ist tragisch und erhaben, wunderbar und schrecklich zugleich. Und das Leiden gehört zum Leben: Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind Teil des Lebens; verlieren, was man liebt; nicht bekommen, was man will; bekommen, was man nicht will, und schließlich – die achte Art des Leidens aller Menschen – sind wir nie sicher vor dem Leid, wie gut es uns auch gerade gehen mag. Das sind für den Buddha die natürlichen Schmerzen und Leiden – das erste der drei Daseinsmerkmale. Zusätzlich leiden wir, wenn wir das natürliche Leiden ablehnen, es dramatisieren oder ausblenden.

Warum leiden wir überhaupt? Nicht weil wir von Natur aus gierig, wütend und verblendet sind. Nein. Wir leiden, weil das Leben unbeständig ist und so komplex, dass niemand es kon- trollieren kann. Das sind die beiden anderen Daseinsmerkmale: Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit, traditionell und sehr missverständlich „Nicht-Ich“ genannt. Die Vision des Buddha, Erwachen oder Nirvana, wird möglich, wenn wir Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit akzeptieren können. Wenn wir sie ablehnen, leben wir im Kreislauf des sich ständig wiederholenden Leidens, in Samsara. Auf diesen einfachen Punkt bringt es der zeitgenössische japanische Zen-Meister Shohaku Okumura.

Ja zur Unbeständigkeit und Unkontrolliertheit des Lebens sagen

Eigentlich ist es also ganz einfach. Wir brauchen keine grauen oder bunten Theorien. Wir schauen uns das Leben an, wie es ist, erkennen, dass es unbeständig und unkontrollierbar ist, und sagen Ja dazu. Dann erleben wir zwar das natürliche Leiden des Lebens, schaffen uns aber kein zusätzliches Leiden, weil wir es nicht mit reaktiven Emotionen verstärken. Um das zu lernen braucht es alle drei Arten des Vertrauens: in andere, in uns und das bedingungslose und unfassbare Vertrauen ins Leben.

„Das Leben ist tragisch und erhaben, wunderbar und schrecklich zugleich.“

Wir brauchen Vertrauen zu anderen: Menschen, die Ja zum Leben sagen, auch mitten im Leid, und dabei nicht ihre Freude am Leben verlieren, können uns Mut machen, wenn wir wehleidig werden, und uns ernüchtern, wenn wir uns vorschnell an klugen begrifflichen Einsichten festhalten wollen. Das ist traditionell die Rolle der Lehrenden im Buddhismus: ermuntern und ernüchtern. Dieses Vertrauen in andere ermutigt uns, die Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit des Lebens selbst zu erforschen. Wir können die drei Daseinsmerkmale Leiden, Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit – annehmen und bejahen, wenn wir tiefes oder bedingungsloses Vertrauen zum Leben entdecken. Und das entdecken wir, wenn wir die Grenzen des Vertrauens in andere und in unsere eigenen Kräfte spüren. Das geschieht in den beiden dunklen Nächten: der Seele und des Geistes. Leider reicht das begriffliche Wissen, dass das so ist, nicht aus. Wir müssen diese dunklen Nächte erleben und aushalten. Und dabei helfen uns drei Ressourcen, die alle schon erwähnt wurden:

All das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Diese Ressourcen tragen dazu bei, dass wir die Erfahrung der dunklen Nächte annehmen und überstehen. Mit Vertrauen in andere, mit Selbstvertrauen und mit bedingungslosem Vertrauen ins Leben. Möge es in uns und allen reifen. Zum eigenen Wohl und dem aller. 

Emaho. Wie wunderbar. Alles geschieht von selbst.

Sylvia Wetzel

Sylvia Wetzel befasst sich seit 1968 mit psychologischen und politischen Wegen zur Befreiung und seit 1977 mit dem Buddhismus. Sie unterrichtet seit 1986 Entspannung, Meditation und Buddhismus im deutschsprachigen Raum und in Spanien. Ihr besonderes Interesse gilt der Reflexion von kulturellen Bedingungen und Geschlechterrollen. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher. Sylvia Wetzel ist auch Ehrenrätin der Deutschen Buddhistischen Union, in deren Rat sie 15 Jahre aktiv mitgearbeitet hat, davon 9 Jahre im Vorstand. Sie ist Mitbegründerin und war zwölf Jahre Redakteurin der Zeitschrift „Lotusblätter“, die später in BUDDHISMUS aktuell umbenannt wurde.

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