Nonnen & Yoginis. Die Tsoknyi-Nonnen von Nangchen – eine Tradition gelebter weiblicher Spiritualität

Ein Beitrag von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2014/3 Ist Buddhismus eine Religion? unter der Rubrik Reportage. (Leseprobe)

Diese Frauen verkörpern einen unglaublichen Reichtum an Liebe, Mitgefühl und buddhistische Weisheit in seiner weiblichen Form. Dies erachte ich als sehr kostbar. Sollte das Licht dieser Tradition von der Erde verschwinden, werden auch die Wärme und der Segen der lebendigen Tradition dieser Frauen, deren Zeugen wir sind, für immer verschwunden sein. Selbst wenn uns ihre Texte erhalten bleiben.

In der abgeschiedenen Weite der Berge von Nangchen in Osttibet existiert eine einzigartige spirituelle Linie. Gelebt, bewahrt und weitergeführt wird sie von über 2 000 Nonnen und Yoginis unter sehr schwierigen physischen, materiellen und klimatischen Bedingungen. Viele dieser Frauen haben mittlerweile Jahrzehnte in strenger spiritueller Klausur verbracht. Die Nonnen von Nangchen werden in ganz Tibet auch von großen buddhistischen Meisterinnen und Meistern für ihre tiefgründige Yogi-Praxis und Meditation geschätzt.

Diese Nonnen sind Teil einer lebendigen Tradition. „Tsoknyi Rinpoche I, ein Meditationsmeister des 19. Jahrhunderts, war ein Yogi und sah die Fähigkeiten der Frauen“, so Drubwang Tsoknyi Rinpoche, der dritte in dieser Linie, bei einem Gespräch im April dieses Jahres. Nonnen erhielten damals nicht die gleiche Bildung und konnten nicht die gleiche Praxis ausüben wie Mönche, denn Männer hatten Vorrang. Deshalb kümmerte er sich um bessere Lebensbedingungen für diese Nonnen. Aus dem Mutterkloster kamen später mehr als 3 000 Nonnen.

Tsoknyi Rinpoche I war davon überzeugt, dass Frauen, die sich für ein monastisches Leben entscheiden, zu außergewöhnlichen spirituell Praktizierenden heranreifen könnten – vorausgesetzt, man ermöglichte ihnen ähnlich optimale Rahmenbedingungen, wie sie für Mönche in der Regel gegeben waren. Welch eine Vision in einer Zeit und einem Land, in dem Frauen im Allgemeinen und Nonnen im Besonderen nicht viel galten! Damals bestand der allgemeine Konsens, das Beste, was einer Frau passieren könne, sei, so viele Verdienste anzusammeln, dass sie als Mann wiedergeboren werde. Bis heute gibt es im tibetischen Buddhismus keine volle Nonnenordination, und erst allmählich entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, wie wertvoll und unabdingbar der Beitrag von Frauen zum gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Leben ist, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich in diesen Bereichen frei zu entfalten.

ENDE DER LESEPROBE

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Ursula Kogetsu Richard

ist Verlegerin der edition steinrich, Autorin und Übersetzerin. Sie war viele Jahre Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell und wurde im Herbst 2020 von Tanja Palmers zur Zen-Priesterin in der Phönix-Wolken-Sangha ordiniert.

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