Netzwerk Weltkloster – Die Ebene der inneren Erfahrung

Ein Beitrag von Alexandra Mann veröffentlicht in der 2-2025 Resonanz unter der Rubrik Interreligiöser Dialog.

Das religionsübergreifende Netzwerk „Weltkloster“ mit Sitz in Radolfzell am Bodensee bringt Nonnen, Mönche und Geistliche verschiedener Religionen in Austausch. Es unterstützt Klöster und religiöse Zentren, ihr geistiges Erbe authentisch weiterzugeben und ihr resilienz- und empathieförderndes Potenzial sichtbar zu machen. Die Religionswissenschaftlerin Alexandra Mann konzipiert und leitet die Weltkloster-Arbeit. Im Interview mit BUDDHISMUS aktuell erläutert sie Philosophie und Praxis ihres Engagements.

Warum richten Sie sich so stark auf den Dialog von Nonnen und Mönchen aus?

Das Zweite Vatikanische Konzil Anfang der 1960er-Jahre leitete in der katholischen Kirche umfangreiche Reformen ein, unter anderem öffnete sich die Kirche für den Dialog mit anderen Konfessionen und auch nicht christlichen Religionen. 

Seitdem erforschen Pioniere des interreligiösen monastischen Dialogs das Spirituelle anderer Traditionen und die Praktizierenden bemühen sich darum, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Wichtige Zusammenschlüsse sind hier die Allianz für das Internationale Mönchtum (AIM) sowie das Komitee Dialogue Interreligieux Monastique/Monastic Interreligious Dialogue (DIM/MID). Letzteres gehört dem Dikasterium für den Interreligiösen Dialog an, das die Aktivitäten der römischen Kurie im Dialog mit anderen Religionen koordiniert. AIM und DIM/MID fördern seit rund 50 Jahren Austauschprogramme zwischen Mönchen und Nonnen verschiedener Religionen.

Kontemplative Praxis und Selbstreflexion stehen dabei im Zentrum und ermöglichen eine authentische Dialogkultur jenseits dogmatischer Theologie. Durch gemeinsame Erfahrung entsteht Vertrauen, das echte Annäherung erst ermöglicht. Diese Offenheit setzt zugleich die Verwurzelung in der eigenen spirituellen Tradition voraus und schafft Raum für die Wertschätzung dessen, was dem Gegenüber heilig ist.

Was waren die wichtigsten Veranstaltungen von Weltkloster in der letzten Zeit?

Im Rahmen friedenspolitischer Bildungsarbeit haben wir zum Beispiel mit der Katholischen Akademie des Bistums Fulda kooperiert und uns im November 2024 an der Eröffnung der Ausstellung „Religionsfreiheit unter Druck – Christen in Gefahr“ beteiligt, an der auch Bischof Gerald Mamman Musa aus Nigeria teilnahm. 2023 wurde er als erster Angehöriger der ethnischen Gruppe der Hausa, die mehrheitlich Muslime sind, zum Bischof ernannt und bemüht sich sehr um den muslimisch-christlichen Dialog. Auf der Veranstaltung thematisierten wir religiösen Fundamentalismus, Nationalismus und autoritäre Regime als Herausforderungen für den interreligiösen Dialog.

Unsere jährliche Begegnungswoche im Europakloster Gut Aich in St. Gilgen stand im Juni 2024 unter dem Motto „Rückbindung an uns Tragendes, Türen zu inneren Räumen öffnen – ins Außen wirken“. Vertreter buddhistischer, hinduistischer, islamischer und christlicher Traditionen traten nach internen Begegnungstagen in den Dialog mit dem Publikum und gestalteten ein interreligiöses Konzert. Videozuschaltungen von Repräsentantinnen und Repräsentanten islamischer, jüdischer, christlicher und bahaischer Traditionen erweiterten die Diskussion um gesellschaftspolitische Herausforderungen. Besonders bereichernd war die Teilnahme des Benediktinermönchs Bruder David-Steindl-Rast, der mit seiner Expertise und herzlichen Zugewandtheit wertvolle Impulse setzte.

Welche konkreten Gemeinsamkeiten und Werte sehen Sie in den verschiedenen religiösen Traditionen – und wie können sie im Dialog genutzt werden, um Brücken zu bauen?

Über 80 Prozent der Weltbevölkerung versteht sich als religiös – ein Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach Glauben und Spiritualität. Ein zentraler Wert aller Traditionen ist das Streben nach Mitgefühl, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, verbunden mit empathischem Verstehen.

Leitlinien wie der Achtfache Pfad, die Zehn Gebote oder die Fünf Säulen des Islam dienen der moralischen Orientierung und praktischen Lebensgestaltung. Gemeinschaft, Solidarität und Vergebung helfen, Konflikte zu überwinden.

Auch die Verantwortung für die Schöpfung beziehungsweise Um- oder Mitwelt spielt eine Rolle und ist ein Schlüssel im Kampf gegen Umweltzerstörung. Organisationen wie Religions for Peace arbeiten hier religionsübergreifend. Werte wie Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit sind in vielen Lehren verankert. 

Das gilt auch für die berühmte Goldene Regel: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Wenn wir uns der Bedeutung dieser Regel bewusst werden, wächst unser Einfühlungsvermögen. Wir knüpfen an unseren eigenen Erfahrungsschatz an, nehmen die damit verbundenen Emotionen wahr und setzen uns mit den Erfahrungen der anderen in Verbindung. Auf diese Weise entstehen Verständnis und friedensfördernde Kräfte.

Kann man im interreligiösen Dialog auch der Gefahr von Extremismus und Fundamentalismus entgegenwirken?

Religionen können für egoistische oder extremistische Zwecke missbraucht werden, aber auch konstruktiv wirken. Menschen, die anfällig für radikale Ideologien sind, werden oft von manipulativen Emotionen und autoritären Vorgaben beeinflusst. Die buddhistische Beschreibung der drei Geistesgifte Hass, Gier und Unwissenheit trifft es gut. Der Dalai Lama betont die Bedeutung des frühkindlichen Bezugs zur Mutter für das Urvertrauen. Fehlt er, suchen Menschen oft lebenslang nach etwas, das diese Lücke füllt.

Unsere Aufgabe ist es, diese Erkenntnisse auf gesellschaftspolitisches Engagement zu übertragen. Dabei lassen sich Methoden wie die achtsamkeitsbasierten Techniken von Jon Kabat-Zinn oder das verhaltenstherapeutische Konzept der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) nutzen. Mit ihrer Hilfe können Menschen Resilienz aufbauen, sodass sie nicht in fundamentalistischen Strukturen Halt suchen müssen.

Fundamentalismus, ob aus dem Laienprotestantismus in den USA oder der islamischen Revolution im Iran, birgt eine ausgrenzende Weltsicht, die wissenschaftliche Erkenntnisse häufig ablehnt. Statt dessen werden, mit manipulierender Absicht, Zitate aus den heiligen Schriften einseitig herausgegriffen oder wörtlich ausgelegt, um gezielt Ängste zu schüren, welche Menschen voneinander fernhalten und trennen sollen. 

Im Christentum und Islam gibt es jedoch eine lange Tradition reflektierter Textauslegung, an die wir anknüpfen können. Wir sollten uns der eigenen Schriften im Hinblick auf unheilsame Assoziationen gewahr werden und lernen, sie in hilfreiche Bilder zu übersetzen.

Gibt es für Sie auch Grenzen der Religionsfreiheit? 

Wir sollten grundsätzlich auf grenzüberschreitendes Verhalten verzichten, das andere in ihrer Würde verletzt – unabhängig von eigenen Überzeugungen. Das gilt für Religion ebenso wie für politische Ideologien. Ausgrenzung und Absolutheitsansprüche führen dazu, dass Menschen sich nicht ernst genommen fühlen, was bereits verletzend wirkt.

Monotheistische Theologien begünstigen oft Deutungsansätze, die Radikalisierung fördern. Bewegungen wie der interreligiöse Dialog und entscheidende Weichenstellungen wie das Vatikan-Dokument „Nostra Aetate“ (lateinisch für „In unserer Zeit“), das 1965 die Öffnung der katholischen Kirche hin zum Dialog auch mit nicht christlichen Religionen einläutete, konnten dieser Entwicklung teilweise entgegenwirken. Auch das katholische Missionsverständnis hat sich gewandelt; evangelikale Strömungen, beispielsweise in den USA, zeigen dagegen leider teils problematische Ausprägungen.

In unseren Dialogtreffen respektieren wir, dass jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer die eigene Religion individuell vertritt. Wir begegnen einander also nicht als offizielle Repräsentantinnen und Repräsentanten. Wichtig ist auch: Man muss die Tradition der und des anderen nicht bereits kennen – entscheidend ist, aus ihren Erfahrungen zu lernen, anstatt zu belehren oder zu überzeugen.

Begegnung Sr. Canisa Mack und Dolpo Tulku Rinpoche

Es geht also um Bildung, nicht um Bekehrung. Welche Bildungsziele verfolgt denn das Weltkloster-Netzwerk?

Unsere Bildungsangebote zielen darauf ab, die Zusammenhänge geistiger Zustände und der äußeren Welt bewusst zu machen. Im ursprünglichen religiösen Sinne hängt ja das Innere mit dem Äußeren zusammen – es geht also in erster Linie um die innere Arbeit.

In diesem Sinne möchten wir Gläubige und Nichtgläubige auf der Ebene ihrer inneren Erfahrungen abholen und gemeinsam konstruktive Lösungen erarbeiten. Wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer unserer Veranstaltungen diese Prozesse bei den Geistlichen erleben, können sie das emotional begreifen. Sie können eigene Bezüge herstellen und kontextualisieren, wodurch neue Blickwinkel und Einsichten entstehen. 

Können Sie an einigen Beispielen erklären, wie die interreligiöse Arbeit von Weltkloster konkret zu mehr Frieden und nachhaltiger Entwicklung beitragen kann? 

Ich erlebe oft, dass Dialogpartnerinnen und -partner nach den Treffen weiterhin in Kontakt bleiben und ihre Erfahrungen in ihren Gemeinden teilen. Dies erweitert die Sicht auf bestimmte Themen und wird bei nächsten Treffen besprochen. Geistliche fungieren als Multiplikator:innen und bringen neue Anregungen in ihre Arbeit ein. Bei öffentlichen Treffen spüren Zuschauerinnen und Zuschauer die Verbindung und wohlwollende Haltung untereinander, was unsere Formate von regulären Podiumsdiskussionen unterscheidet.

Wir planen derzeit, jugendliche Mitglieder religiöser Zentren einzuladen, um für sie sichtbar zu machen, wie stark sich ihre geistlichen Vertrauenspersonen einander verbunden fühlen. Außerdem halten wir Vorträge in Schulen. Es freut uns, zu merken, wie frei und neugierig die Schülerinnen und Schüler in ihrem Denken und Fragen dabei werden. So möchten wir jungen Menschen helfen, Berührungsängste abzubauen. Religion wird in den Medien ja oft recht einseitig negativ dargestellt. Wir können ihnen helfen, eine Ahnung von dem zu bekommen, was mit Religion ursprünglich gemeint sein könnte.

Wie geht man im interreligiösen Dialog mit unauflösbaren weltanschaulichen Differenzen um?

Zuallererst: Wir müssen nicht alles auflösen, von dem unser menschlicher Geist denkt, dass es nicht zusammenpasst. Es geht nicht darum, die „einzig“ richtige Wahrheit zu finden, denn bei so vielen unterschiedlichen Erfahrungen der Lebewesen wird wohl keine „Wahrheit von Wirklichkeit“ der anderen in Gänze gleichen.

Wenn wir Anknüpfungspunkte zwischen der eigenen Erfahrung und der des anderen Menschen suchen, haben wir eine Basis, von der aus wir miteinander ins Gespräch kommen können. Oft ist es die Begegnungsebene hinter den Konzepten, die trägt.

Es ist die eigene Einstellung, die aufrichtige Annahme oder Ablehnung signalisiert – ungeachtet der Worte, die man spricht. Und diese Einstellung lässt sich schulen; sie lässt sich zum eigenen und zum Wohl des anderen verändern. Wichtig ist dabei die eigene Selbsterkenntnis, und das bedeutet auch, einen gesunden Selbstwert zu festigen. 

P. Christian Rutishauser SJ, Bhikshu Tenzin Peljor, Edward Espe Brown, Hüseyin Haybat,
Alexandra Mann, Br. Jakobus Geiger OSB, Br. David Steindl-Rast OSB, Br. Thomas Hessler OSB,
Dervish Shems, Br. Antonius Huber OSB

Welche Zukunftsvision haben Sie für die Arbeit des Weltkloster-Netzwerks? 

Unser Trägerverein möchte das Netzwerk weiter ausbauen und die Stärken traditioneller Geistesschulung verschiedener Traditionen sichtbarer machen, um religionsübergreifende Lösungsansätze zu erarbeiten. Dafür planen wir Kooperationen mit Mönchen, Nonnen und Ordinierten auch nicht benediktinischer Klöster und Zentren. Zusätzlich sollen Wissenschaftler:innen von Universitäten einbezogen werden.

Religiöse Akteure möchten wir ermutigen, sich für Freiheit im Glauben und in der spirituellen Praxis einzusetzen, auch für ihre gläubigen Geschwister mit einem anderen Glaubenssystem. Zudem wollen wir den Missbrauch religiöser Heimat durch politische Systeme, Ideologien und destruktive Akteure verhindern.

Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die sich für interreligiösen Dialog und Friedensarbeit interessieren? 

Reflektiert euch selbst, erforscht eure Beweggründe und eure Reaktionen auf andere Meinungen. Es gibt viele Möglichkeiten, Religionen kennenzulernen und Fragen zu stellen. Jeder Mensch möchte glücklich sein und trägt einen Kern von Liebe und Güte in sich. Der Dalai Lama nennt dies elementare menschliche Spiritualität.

Bei Zweifeln an der Redlichkeit bestimmter Akteure informiert euch über sektenartige Strukturen innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft. Wir beraten da auch gerne. Denkt nicht, ihr habt die „einzige Wahrheit“ gefunden. Weise Lehrende können über sich selbst lachen, neugierig und offen bleiben. Der Film „Joy“ über die Freundschaft zwischen dem Dalai Lama und dem katholischen Erzbischof Desmond Tutu zeigt dies schön. Freundschaft hilft uns, gemeinsam etwas für die Zukunft zu erreichen – in Freude!

Das Interview führte Susanne Billig.

Alexandra Mann

Alexandra Mann M. A. studierte Vergleichende Religionswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt mit Schwerpunkten in asiatischer Religions- und Philosophiegeschichte. Inspiriert von Begegnungen mit tibetischen Mönchen, die großes Interesse am interreligiösen Dialog zeigten, christlichen Ashrams in Indien sowie Persönlichkeiten wie dem Dalai Lama und Bruder David Steindl-Rast, setzt sie sich dafür ein, das Verständnis zwischen den Religionen zu vertiefen. Ihre Studien führten sie mehrfach nach Indien, wo sie am Projekt „Science meets Dharma“ mitwirkte, das den Austausch zwischen Wissenschaft und buddhistischer Lehre fördert. Seit 2008 engagiert sie sich bei Weltkloster e. V., wo sie Veranstaltungen mit Ordinierten verschiedener Religionen konzipiert und leitet. Ihr Fokus liegt auf den Potenzialen monastischer Traditionen für den interreligiösen Austausch.

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