Nachhaltigkeit – Mit dem Ganzen verbunden

Ein Interview mit Helmut Hallier, Evelyne Höhme, Lea W. geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der 2-2025 Resonanz unter der Rubrik Schwerpunkt Resonanz.

Die Erde ist in Bedrängnis, verursacht durch menschliches Handeln. Wie können wir mit der leidenden Natur in Resonanz sein, ohne uns entweder im Schmerz oder im Aktivismus zu verlieren? Drei Buddhistinnen und Buddhisten der EarthHolder erzählen.  

Evelyne Höhme: Zur den EarthHoldern gehöre ich seit fast fünf Jahren und das mit großer Freude. Ich arbeite in der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit. Eigentlich könnte ich bereits in Rente sein, aber meine Arbeit erfüllt mich so sehr, dass ich weitermache. Ich arbeite mit Erwachsenen, die im weitesten Sinne in der Elementarbildung tätig sind, also in Kindergärten oder Grundschulen.

Lea W.: Als Psychologin und Therapeutin arbeite ich mit Menschen als Telefon-Coach und bin ebenfalls von Anfang an bei den EarthHoldern dabei. Außerdem praktiziere ich schon lange in der Tradition der Plum-Village-Schule von Thich Nhat Hanh und habe auch eine Zeit lang in Plum Village in Südfrankreich gelebt. Diese Tradition ist für mich zur spirituellen Heimat geworden, weil sie den engagierten Buddhismus mit sozialpolitischen Themen verbindet. 

Helmut Hallier: Mit 76 Jahren bin ich nach wie vor als Organisationsberater und Coach tätig. Neben meiner Rolle als engagierter Großvater setze ich mich leidenschaftlich für Klimafragen ein. Zu den EarthHoldern gehöre ich seit fünf Jahren, also von Beginn an. In meinem Berliner Kiez arbeite ich eng mit meinen Nachbarinnen und Nachbarn zusammen, engagiere mich im Kiezbündnis am Klausener Platz in Charlottenburg und habe eine Klima-Gruppe ins Leben gerufen, die inzwischen sehr lebendig und tatkräftig ist.

BUDDHISMUS aktuell: Wer sind die EarthHolder und wie sind sie entstanden?

Evelyne: Die EarthHolder sind eine internationale Bewegung, die in der Tradition von Thich Nhat Hanh, also der Plum-Village-Tradition, verwurzelt ist. Die US-amerikanische Earth-Holder-Bewegung hat sich 2015 aus einem kleinen Retreat heraus gegründet. Nach und nach sind weitere Gruppen in vielen Ländern entstanden, besonders im Globalen Süden. Sie setzen sich als Erdschützerinnen und Erdschützer in den derzeitigen Krisen für die Erde ein und engagieren sich für Klimathemen, Artenvielfalt und soziale Gerechtigkeit. In Berlin sind wir derzeit etwa elf Mitglieder. Wir treffen uns einmal im Monat zu einem Austausch und zur Organisation unserer Aktivitäten. Zusätzlich gibt es auch fallbezogene Treffen und gemeinsame Aktionen und Angebote.

Lea: Wir handeln aus einem starken Gefühl der Verantwortung für die gesamte globale Gemeinschaft aller Lebewesen. Unser gesellschaftliches und wirtschaftliches System hat wesentlich dazu beigetragen, dass Menschen in zahlreichen Regionen bereits jetzt unter den Auswirkungen der Krisen leiden. Deshalb setzen wir uns aktiv dafür ein, Lösungen zu entwickeln, die eine positive Veränderung ermöglichen und die bestehenden Strukturen nachhaltig anpassen. Dabei ist es uns wichtig, uns mit anderen Bewegungen, auch international, zu vernetzen und den Austausch zu fördern, um gemeinsam neue Perspektiven und Handlungsansätze zu finden.

Was verbindet ihr persönlich und als EarthHolder mit dem Wort „Resonanz“?

Lea: Unsere Absicht als EarthHolder ist es, dass Menschen wieder mehr in Resonanz gehen, ihre Beziehung zur Erde reflektieren und auch erspüren können. Wir möchten Verbundenheit erlebbar machen und Menschen dazu anregen, ins Handeln zu kommen. Deshalb ist das Thema Resonanz für mich sehr wichtig.

Evelyne: Für mich bedeutet es, in Beziehungen zu gehen, etwas zu geben und auch wieder zurückzubekommen. Der Buddhismus unterstützt mich in dem Bewusstsein, dass alles, was ich tue oder lasse, eine Wirkung hat. Es gibt immer eine Resonanz, das mache ich mir täglich bewusst. Als EarthHolder ist uns tiefes Zuhören und freundliches, wohlwollendes Sprechen miteinander sehr wichtig. Sich wirklich öffnen, nicht nur etwas rausblasen, ohne zu schauen, was bei der anderen Person ankommt. Resonanz ist ein wechselseitiger Prozess: Man berücksichtigt, was von der oder dem anderen kommt, und lässt sich darauf ein.

Helmut: Der Begriff hat auf eine gute Weise mit Kontakt und Beziehung zu tun. Hartmut Rosa unterscheidet in seiner soziologischen Arbeit zu diesem Thema zwischen „Resonanz“ und „Echo“. Echo hieße: einfach nur zurückblasen oder dagegensprechen. Das führt zu einer Verhärtung. Gerade in der Klimakommunikation ist es wichtig zu verstehen: Nur wenn sich zwei Parteien aufeinander einlassen, können sie sich auch gegenseitig verändern. Ganz grundsätzlich ist Resonanz für mich ein sympathischer Begriff, zumal ich gern musiziere und Musik höre. 

Als Menschen sehnen wir uns nach Verbundenheit, Einklang, Miteinander. Warum gehen wir so oft trotzdem nicht in Resonanz?

Evelyne: Wir leben im Kapitalismus, was nach Karl Marx bedeutet, dass wir von uns selbst und der Erde und den sie bewohnenden Lebewesen entfremdet sind. Das nehmen wir oft gar nicht wahr, und selbst wenn – als Einzelne können wir daran nicht viel ändern. Das ruft ein Gefühl von Hilflosigkeit hervor, und weil das schmerzhaft ist, spalten wir es ab.

Lea: Das stellt ein kollektives Trauma dar, dazu kommen für viele Menschen individuelle Traumata. Diese Verletzungen haben Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, in Resonanz zu gehen, ob mit uns selbst oder mit der Erde. Die fatale Dynamik ist: Weil wir uns von der Erde abspalten, wird sie uns fremd – und damit auch gleichgültig. 

Helmut: Mir fällt hier auch der Begriff der Eigenzeit ein. Zeit fließt für uns eigentlich ganz persönlich, langsamer oder schneller, je nach unserem Erleben. Doch heute leben wir in einer von Beschleunigung geprägten Gesellschaft. Der Takt der Zeit wird uns vorgegeben, und der Raum, in dem ich zur Ruhe kommen und auf mein eigenes Empfinden, meine innere Resonanz hören kann, wird immer enger. 

Was kann uns helfen, wieder resonanzfähiger zu werden?

Lea: In unserer formalen Praxis schöpfen wir aus der Plum-Village-Praxis. Wir machen Gehmeditationen, lauschen der Glocke und atmen gemeinsam. Es gibt achtsamen Austausch, sozusagen ein Blumengießen – wir nennen es „das Positive wässern“. Wir teilen unsere Freude, feiern gemeinsam. Aber es gibt auch Praktiken wie die Erdberührungen, die Thich Nhat Hanh angeregt hat. Wir gehen in Resonanz mit der Erde und würdigen auch das, was sie an Leid durchmacht. 

Außerdem haben wir die fünf Achtsamkeitsübungen der Plum-Village-Tradition; darin geht es um Ehrfurcht vor dem Leben, liebevolles Sprechen, achtsamen Konsum. Wir üben uns in ethischen Grundhaltungen, die uns in einen achtsamen Kontakt bringen. 

Evelyne: Die Buddhistin und Umweltaktivistin Joanna Macy hat den interessanten Ansatz der „Arbeit, die wieder verbindet, Arbeiten mit der Verzweiflung“ entwickelt, den wir auch viel anwenden. Er soll Menschen helfen, mit Gefühlen von Trauer, Wut und Hilflosigkeit im Angesicht der ökologischen Zerstörung umzugehen. Wir arbeiten dabei mit der Vorstellung einer Spirale und darin vier Schritten: Der erste Schritt ist Dankbarkeit. Wir machen uns all die positiven Dinge und die Fülle bewusst, in der wir leben. Dankbarkeit ist ein starker erster Schritt, um in den nächsten zu gehen: den Schmerz der Welt würdigen. Joanna Macy hat sich intensiv mit den Abwehrmechanismen beschäftigt, die uns hindern, diesen Schmerz zu fühlen. Aber es ist sehr heilend und gemeinschaftsstärkend, den Schmerz, getragen und gehalten von einer Gruppe, auszudrücken und zuzulassen.

Im nächsten Schritt erweitern wir unsere Perspektive, zum Beispiel indem wir die Perspektiven von Menschen im Globalen Süden oder von Tieren, Pflanzen, Bergen einbeziehen. Und schließlich geht es darum, ins Handeln zu kommen. Wir gehen von der Erkenntnis zum Handeln, zur Veränderung und Heilung der Welt. 

Diese Spirale ist nicht einfach eine Abfolge von Schritten, sondern alles ist miteinander verwoben, und wir fangen immer wieder bei der Dankbarkeit an.

Wie geht ihr persönlich mit den Gefühlen von Frustration, Trauer oder Verzweiflung um, die viele von uns über die politische und ökologische Lage empfinden?

Helmut: Für mich ist es wichtig, mit beiden Seiten in Kontakt zu bleiben: mit dem Schmerz und der Verzweiflung, aber auch mit dem Wunder dieser Welt. Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, aber ich will heute das tun, was mein Herz mir sagt, und ich will heute der Welt gerecht werden. Diese Perspektive gibt mir Kraft. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich mit Menschen zu verbinden, die ebenfalls für die Heilung der Erde arbeiten. Es gibt weltweit unzählige Menschen in Afrika, Südamerika und anderswo, die sich für den Planeten einsetzen. Hier in Deutschland kann ich meinen Teil dazu beitragen, aber ich weiß auch, dass wir es nicht allein schaffen können und müssen.

Evelyne: Ja, das ist ein wichtiger Punkt! Ich sehe die vielen Bewegungen und Initiativen, die ebenfalls aktiv sind. Zusammen mit meiner eigenen Nachbarschaft versuche ich zum Beispiel, unsere Straße nachhaltiger zu gestalten und unsere Gemeinschaft zu fördern. Und wenn ich mich dann nach ähnlichen Initiativen umschaue, bin ich immer wieder erstaunt, wie viele es bereits gibt – auch wenn sie oft nicht so sichtbar sind. Ich suche also ganz bewusst Informationen über positive Aktivitäten und lasse mich davon inspirieren.

Lea: Wenn ich durch die Wälder gehe und die Bäume betrachte, kann ich sehen, wie krank sie sind; ich sehe aber auch ihre Schönheit. Das ist mir wichtig. Da ist der Frühling und viele Bäume leben und blühen immer noch. So ist es im Leben insgesamt: Wir müssen die dunklen wie die schönen Seiten wahrnehmen, um handlungsfähig zu bleiben. Es bringt nichts, sich nur mit negativen Nachrichten zu beschäftigen, wenn sie uns lähmen.

Könnt ihr noch einmal genauer beschreiben, welche Angebote ihr als EarthHolder macht? 

Helmut: Wir ordnen uns der Tradition des engagierten Buddhismus zu und sind davon überzeugt, dass sich unsere Praxis auch in unserem Leben ausdrücken muss, in dem, was wir tun und wie wir anderen begegnen. Sonst wird Meditation leer.

Wir haben Klimacamps wie die von Extinction Rebellion unterstützt – eine internationale, zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich für dringende Maßnahmen gegen den Klimawandel und das Artensterben einsetzt. Sie fordert von Regierungen und Institutionen, die ökologische Krise als Notfall zu behandeln, und setzt auf gewaltfreie direkte Aktionen, um Aufmerksamkeit und Veränderung herbeizuführen. Wir EarthHolder haben den jungen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich schnell verausgaben und verzweifeln, Workshops und Methoden angeboten, mit deren Hilfe sie lernen können, mitfühlend für sich selbst zu sorgen, um nicht auszubrennen und langfristig aktiv bleiben zu können. 

Lea: Die EarthHolder-Gruppen in ganz Deutschland organisieren auch immer wieder öffentliche Gehmeditationen. Das sind Gelegenheiten, in Resonanz mit den Leuten auf der Straße zu kommen. Das gemeinsame Gehen bringt viel Ruhe in umweltpolitische Aktionen. Es zeigt, ganz ohne Parolen und große Lautstärke, eine andere Facette des Engagements.

Eine weitere Praxis, die wir oft einsetzen, ist der Deep Time Walk, eine Wanderung durch die Erdgeschichte. Dabei stellen wir uns vor, mit einem einzigen Schritt eine Million Jahre zu durchmessen. Wir gehen vom Anfang der Erde bis in die Gegenwart, kommen in Resonanz mit unserer Herkunft und erfahren uns als Teil einer langen, langen Geschichte. 

Übungen wie diese haben wir in vielen Kontexten durchgeführt – in Schulen, mit Aktivistinnen und Aktivisten, in Meditationsgruppen und bei Workshops für junge Menschen, etwa bei Wake Up, das sind Jugendgruppen in der Tradition von Thich Nhat Hanh.

Helmut: Im Grunde laden wir Aktivistinnen und Aktivisten zur Meditation ein – und holen Buddhistinnen und Buddhisten ein bisschen vom Meditationskissen ins Handeln. Gruppen der Plum-Village-Tradition gibt es ja in vielen Städten und seit Anfang 2023 bieten wir ihnen Achtsamkeitstage und Workshops an. Wir nennen das unsere „Tournee“: Wir gehen zu den Menschen, statt zu erwarten, dass sie zu uns kommen.

Gibt es abschließend noch etwas, das ihr zum Ausdruck bringen möchtet?

Evelyne: Hat unsere Arbeit ein klares „Ziel“? Nein. Aber eine Haltung und Absicht. Wir wollen Bewusstsein schaffen und Menschen in Resonanz mit der Welt bringen. Wenn sie verstehen, dass sie Teil des Ganzen und nicht getrennt sind, verändert das viel. Wir sind ja nicht nur ein Teil der Erde, sondern wir sind die Erde. Wenn ich das verstehe, hat das Wirkungen auf mein tägliches Handeln, zum Beispiel, dass ich den eigenen Konsum überdenke und bewusster einkaufe. Das mag klein erscheinen, aber es ist ein erster Schritt. Handeln muss nicht immer in großen Aktionen bestehen. Eine Veränderung kann auch im Kleinen beginnen und sich ausweiten.

Lea: Der Begriff des Interseins ist zentral für all unsere Praxis. Das tiefe Schauen, das Erleben von Verbundenheit und Verbindungen ist für uns essenziell. Dann möchten wir auch entsprechend handeln. Thich Nhat Hanh selbst war ja auch ein Reformer, ein Revolutionär auf seine Art. Er hat nie einfach gefordert: „Alles muss anders sein“, sondern er hat tief geschaut, reflektiert und getestet, bevor er neue Ansätze in die Welt getragen hat – und die haben dann auch nachhaltig gewirkt. 

Nach seinem Tod vor drei Jahren führen wir seine Arbeit weiter. Sie ist unser Erbe, und zugleich ist es uns eine große Freude, in seinem Sinne weiterzumachen. Es geht uns darum, Spiritualität und Handeln zu verbinden. Ohne eine spirituelle Basis – nicht unbedingt Religion, sondern eine Verbundenheit mit dem Ganzen – ist nachhaltiges Handeln kaum möglich.

Danke für eure Arbeit und das Gespräch!

Das Gespräch führte Susanne Billig. Bearbeitung von Sarina Hassine und Susanne Billig.

Weitere Informationen

earthholderde.wordpress.com

Helmut Hallier

promovierter Ethnologe, ist seit 2014 Mitglied des Intersein-Ordens mit dem Dharmanamen True Companion of Great Compassion. Er engagiert sich als EarthHolder für soziale und Klimagerechtigkeit, ist mit großer Freude Vater und Großvater und arbeitet gelegentlich noch als Coach und Organisationsberater.

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