Myanmar: Religiöse Vielfalt im Umbruch
Myanmar ist ein Vielvölkerstaat und erkennt in seiner Verfassung 135 Ethnien an. Im Land sind Buddhismus, Christentum, Islam, Hinduismus und Animismus vertreten. Doch neue Gesetze erschweren Ehen zwischen Menschen verschiedenen Glaubens und der allgemeine Optimismus nach dem Ende des Militärregimes ist einem teilweise heftigen und gewalttätigen Misstrauen zwischen den Religionen gewichen. BUDDHISMUS aktuell im Gespräch mit der Religionswissenschaftlerin Madlen Krüger, die über religiösen Pluralismus in Myanmar forscht.
BUDDHISMUS aktuell: Was ist für Sie spannend an dem Forschungsthema religiöse Pluralität?
Madlen Krüger: Als Religionswissenschaftlerin bin ich grundsätzlich an Religion sowie der gesellschaftspolitischen Bedeutung religiöser Pluralität in den verschiedenen Kulturen interessiert. Religiöse Vielfalt ist dabei keine Besonderheit der Moderne, sondern schon immer Teil religiöser Wirklichkeit. Das Spannende für mich ist die Frage, wie mit religiöser Pluralität umgegangen wird – insbesondere in einer weitgehend globalisierten und säkularisierten Welt. In der Wissenschaft hielt sich lange die These der Säkularisierung. Sie sah die Religion auf dem Rückzug oder zumindest ins Private verschwinden. Diese Theorie ist inzwischen von der „Pluralisierungsthese“ abgelöst worden.1 Danach beherrscht Pluralität unseren Alltag. Aber wie wird Pluralität, und insbesondere religiöse Pluralität, wahrgenommen oder diskutiert? Wird sie problematisiert oder als Chance gesehen? Wie deuten außereuropäische oder nicht vornehmlich christlich geprägte Kulturkreise religiöse Pluralität?
Diese Fragen haben Sie nach Myanmar geführt – warum gerade dieses Land?
Zunächst einmal war Myanmar lange Zeit vom Westen abgeschnitten, man kann dort erst jetzt ungehindert reisen und forschen. Dann ist es ein Land im Umbruch. Politische, gesellschaftliche, ökonomische und religiöse Veränderungen sind zu beobachten – für eine Forscherin ein spannendes Feld. Auch können auf der Suche nach einem „burmanischen“ Weg zur Demokratie religionspolitische Themen heute öffentlich diskutiert werden. Religiöse Minderheiten können am öffentlichen Raum teilhaben und rollen damit Fragen zu religiöser Pluralität und letztlich Identität neu auf.
Und natürlich ist Myanmar ein Land, wie es diverser nicht sein könnte – viele Religionen, Ethnien, Grenzen zu anderen Ländern. Im Westen liegen Bangladesch und Indien, im Osten China, Laos und Thailand. Diese Vielfalt ist für Myanmar schon lange eine große Herausforderung, mit der je nach Regime unterschiedlich umgegangen wurde. Während der fast fünfzigjährigen Militärdiktatur von 1962 bis 2010 kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Kämpfen des Militärs mit einzelnen ethnischen Armeen, die für mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung kämpften. Religiöse Minderheiten wurden unterdrückt und reguliert und übten ihre Religion im Verborgenen aus.
Der buddhistischen Mehrheit erging es nicht besser …
Das stimmt. Buddhismus und buddhistische Praxis waren zwar in der Öffentlichkeit allgegenwärtig, aufgrund ihres Einflusses innerhalb der Bevölkerung versuchte das Militärregime aber auch immer, buddhistische Mönche zu kontrollieren und zu sanktionieren. Diese begannen dann in den 1980er- und 1990er-Jahren die Demokratiebewegung zu unterstützen. Das im Westen wohl bekannteste Ereignis dieser Art war die sogenannte Safran-Revolution, bei der Tausende Mönche auf die Straße gingen und sich den Protesten gegen das Militär und die Verarmung der Bevölkerung anschlossen. Das wurde blutig niedergeschlagen.
Mit welchen Menschen im Land haben Sie Ihre Forschungsinterviews geführt?
Als Interviewpartner habe ich vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Religionsführer ausgewählt – gerade diese Gruppen haben aufgrund ihres Wirkungsfeldes eine bedeutende und einflussreiche Stellung in der Gesellschaft. Die Kontaktaufnahme hat mir unser Kooperationspartner erleichtert: Das Myanmar Institute of Theology (MIT) in Yangon engagiert sich im interreligiösen Dialog und verfügt über ein Netzwerk aus christlichen, buddhistischen, hinduistischen und muslimischen Religionsführern, die auch im Dialog aktiv sind. Die Religionsführer, mit denen ich gesprochen habe, waren in erster Linie Männer. Zum Beispiel stellte es sich als problematisch heraus, mit Klostervorsteherinnen von Nonnenklöstern zu sprechen, da diese strikter abgeschirmt werden. Auf muslimischer Seite habe ich vor allem mit Frauen, Aktivistinnen, gesprochen. Über diese Kontakte hat sich dann langsam ein eigenes Netzwerk aufgebaut und es kamen über 100 Interviews zusammen. Mir war es wichtig, so viele verschiedene Stimmen wie möglich einzufangen. Ich bin auch viel gereist, um regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen. Während im Norden Myanmars vor allem christliche Minderheiten leben, dominiert die buddhistische Mehrheit den Rest des Landes.
Konkret war es so, dass ich meistens Einzelgespräche geführt habe. Es kam aber auch schon mal vor, dass ich mit mehreren buddhistischen Mönchen zusammensaß. Zu Beginn jedes Gespräches habe ich meinen Interviewpartnern die Gelegenheit zu einer längeren persönlichen Vorstellung gegeben, im weiteren Verlauf dann Fragen zu den Erlebnissen der Religionsgemeinschaft während der Militärzeit im Vergleich zur heutigen Situation gestellt. Was erzählen die Interviewpartner dabei über die Anhängerinnen und Anhänger anderer Religionsgemeinschaften? Das hat mich besonders interessiert, denn daraus lässt sich ihr Verständnis von religiöser Pluralität ableiten. Wichtig war es mir, an die Interviewpartner nicht die wissenschaftlichen Mo- delle religiöser Pluralität heranzutragen, wie Pluralismus, Inklusivismus und Exklusivismus.2
Wie hat sich mit den Umbrüchen im Land der Blick auf Menschen anderer Religionszugehörigkeit verändert?
2015 bin ich zum ersten Mal nach Myanmar gereist. Das war kurz vor den ersten freien Wahlen im November 2015, die ja mit Spannung erwartet wurden und an denen sich mehrere Parteien beteiligten. Vor allem die NLD, die Nationale Liga für Demokratie, und deren Führerin, die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, zogen damals ja viel Aufmerksamkeit, auch internationale, auf sich. Es war eine Stimmung, die hauptsächlich von Hoffnung, Aufbruch und Veränderung zum Besseren getragen wurde. 2015 spielte es keine Rolle, welcher Ethnizität oder Religion die Befragten angehörten – alle schauten mit Zuversicht in die Zukunft. Allerdings war mir bereits 2015 klar, dass Vorsicht geboten ist: Die NLD hatte ja schon einmal haushoch Wahlen gewonnen, im Jahr 1990. Dieser Wahlsieg mündete damals in eine Inhaftierung von Politikerinnen und Politikern und dem jahrelangen Hausarrest von Aung San Suu Kyi.
2019 konnte ich dann schon eine ganz andere Stimmung im Land erkennen. Jetzt wird religiöse Pluralität zunehmend als Problem wahrgenommen und überschattet von einer Diskussion, ob der muslimischen Gemeinschaft der Rohingya rechtmäßig eine Staatsbürgerschaft zustehe. Dieser Diskurs wird religiös instrumentalisiert. Dazu kommen Ausschreitungen – antimuslimische Hasspredigten und Übergriffe buddhistischer Nationalisten prägen den Blick auf den religiös Anderen. Die verschiedenen muslimischen Gruppen fühlen sich von der NLD allein gelassen, buddhistischen und christlichen Ressentiments schutzlos ausgeliefert und vom Militär, das ja sehr einflussreich ist, verfolgt und diskriminiert. Es hat gemäß der Verfassung 25 Prozent der Sitze im Parlament inne und steht drei Ministerien vor. Im Land hat sich eine generelle antimuslimische Stimmung verbreitet, die auch dazu führt, dass sich andere Religionsgemeinschaften verstärkt darüber definieren, nicht muslimisch zu sein. Das soll nicht unterschlagen, dass es im Konflikt auch Übergriffe von muslimischer Seite gegeben hat. Zudem gab es schon nach der Unabhängigkeit im Jahr 1948 verschiedenste separatistische Rebellengruppen der Rohingya, die – teilweise von Bangladesch aus – an den Grenzen Militärposten angriffen. Diese Gruppen hatten allerdings nie die Unterstützung der Gemeinschaft. Mit der zunehmenden Diskriminierung und Verfolgung der Rohingya seit 2012 hat sich das verändert und Gruppen wie die Arakan Rohingya Salvation Army, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, finden mehr Unterstützung.
Mit welchen Erzählungen, welchen Narrationen, rechtfertigen und stärken Buddhisten im Land ihren Wunsch nach Abgrenzung?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Myanmar scheint zwar als Theravada-buddhistisches Land geeint, es gibt aber nicht „die Buddhisten“ Myanmars. Vielmehr ist die buddhistische Identität stark regional und ethnisch geprägt. Das gilt übrigens für alle Religionsgemeinschaften. Ein Mon-Buddhist im Mon-Staat3 hat seine eigene Religionsgeschichte und grenzt sich von Bamar-Buddhisten, also der Mehrheit, oder Rakhine-Buddhisten aus dem Rakhine-Staat ethnisch und religionshistorisch ab. Je nach Region ist entweder die Religion oder die Ethnie identitätsprägend. Generell ist das Verhältnis der Bamar – die meist buddhistisch sind – zu den anderen Ethnien eher spannungsreich. Weil sie die Politik dominieren, wird ihnen von den Minderheiten eine gezielte „Burmanisierung“ vorgeworfen. Damit ist eine von der Politik vorangetriebene Ausbreitung der Kultur der Bamar gemeint.
Das hat zuletzt im Mon-Staat zu Konflikten geführt, als dort vermehrt Statuen des Nationalhelden der Bamar, Aung San, dem Vater von Aung San Suu Kyi, aufgestellt und Brücken nach ihm benannt wurden. Diese Auseinandersetzung schwelt seit der Unabhängigkeit 1948 und geht einher mit der Forderung nach mehr regionaler Eigenständigkeit und Eigenverwaltung in den von anderen Ethnien dominierten Grenzgebieten. Somit grenzt man sich zum einen als Ethnie von anderen Ethnien ab, zum anderen bezieht man Stellung zu den Religionsgemeinschaften in der Region. Die Narrationen sind besonders von einer Unterscheidung zwischen lange schon einheimischen Traditionen, zu denen der Buddhismus zählt, und den so bezeichneten Fremdreligionen geprägt. Dazu zählen das Christentum, als Religion der Kolonialherren, und der Islam, als Religion indischer Einwanderer während der Kolonialzeit.
Anmerkungen
- Peter L. Berger: Altäre der Moderne, Campus 2015
- Erläuterung der Redaktion: Pluralismus: vielen Religionen in ihrer Unterschiedlichkeit einen Zugang zur Wahrheit zugestehen. Inklusivismus: davon ausgehen, dass andere Religionen das Gleiche meinen wie die eigene Religion. Exklusivismus: ausschließlich die eigene Religion für wahr halten.
- Myanmar gliedert sich in sieben Minderheiten-Staaten und sieben, überwiegend von der größten Bevölkerungsgruppe, den Bamar, besiedelten Regionen.
ENDE DER LESEPROBE
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Madlen Krüger
studierte Religionswissenschaft und Indologie an der Universität Leipzig mit einem Fokus auf Theravada-Buddhismus und dem Verhältnis von Religion und Politik. 2015 promovierte sie am CERES, dem Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte sind religiöse Vielfalt in Süd- und Südostasien und Pluralisierungsdiskurse. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu Myanmar an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.