Mit dem Erleuchtungsbegriff ist es ein wenig wie mit der Pizza

Ein Beitrag von Almut-Barbara Renger veröffentlicht in der Ausgabe 2017/4 Erleuchtung unter der Rubrik Erleuchtung. (Leseprobe)

Die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger hat sich intensiv mit der Religions- und Kulturgeschichte des Begriffs Erleuchtung beschäftigt und ein Buch zu diesem Thema herausgegeben. Im Gespräch mit Ursula Richard beschreibt sie die Wurzeln dieses Wortes, wie die „Erleuchtung“ überhaupt Eingang in asiatische Religionen fand und warum der Begriff einem tieferen Verständnis des Buddhismus eher im Wege steht.

Woher kommt der Begriff „Erleuchtung“?
Der Begriff ist fest in der Kultur- und Religionsgeschichte des mittelmeerisch-europäischen Raums verwurzelt. Er ist in ihr seit Platon in erkenntnistheoretische und theologische Zusammenhänge eingespannt – und zwar in Aufnahme der frühgriechischen und hebräischen Anschauung des Lichts als Symbol für Leben und Heil. Auch im Deutschen hat er historische Tiefe. Von „Erleuchtung“ war schon in der ältesten schriftlich bezeugten Form der hochdeutschen Sprache die Rede. Aus dem althochdeutschen arliuhtan wurde dann im Verlauf der Bildung von Sprachvarietäten im Hochmittelalter erliuhten, was wir im Neuhochdeutschen als erleuchten kennen. Dass die deutsche Wortgruppe Erleuchtung – erleuchten ab dem 16. Jahrhundert sehr viel häufiger belegt ist als für das Mittelalter, erschließt sich vor dem Hintergrund, dass Latein sich als die Liturgie- und Literatursprache nicht mehr halten konnte. Der Trend ging vielmehr zu den sogenannten Volkssprachen, die nun als Gottesdienst-, Schrift- und Verkehrssprachen gebraucht wurden. So bediente man sich häufig der deutschen Wortgruppe, wo im Lateinischen illuminatio – illuminare und im Altgriechischen photismos – photizein Anwendung gefunden hatten.

Können Sie etwas zur Bedeutung dieser antiken Wörter sagen, vielleicht auch ein paar Beispiele nennen?

Dazu lässt sich viel mehr sagen, als es der hier gegebene begrenzte Rahmen zulässt. Denn die überlieferten Texte, in denen die Wörter vorkommen, umspannen einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren. Und die ihnen innewohnende Lichtmetaphorik – das griechische Äquivalent zu lux, „Licht“, ist phos – hatte verschiedenste kontextgebundene Konnotationen und Implikationen. Am besten lässt sich der komplexe Sachverhalt wohl darauf herunterbrechen, dass die genannten Wortgruppen je nach Kontext Verschiedenes im Sinne von „etwas erhellen, bzw. erleuchten“ bezeichneten und häufig in übertragenem Sinne verwendet wurden, um erkenntnis- und erfahrungsbezogene Aspekte des Menschseins in seinem Bezug zur Transzendenz zum Ausdruck zu bringen. Das gilt vor allem für philosophisch- und religiös-bildhaftes Sprechen. Hier entstand eine Lichtmetaphorik, die sich seit ihrem frühen Gebrauch im Hebräischen und Altgriechischen durch besondere Flexibilität und Nuanciertheit auszeichnete. Platon etwa stellte unter Verwendung solcher Lichtbezüge eine Theorie zu Erleuchtungserfahrungen auf, die besagt, dass diese durch rationale Arbeit ermöglicht würden. Und in der christlichen Bibel zum Beispiel sowie in verschiedenen nachneutestamentlichen und gnostischen Zusammenhängen findet sich die Terminologie wiederholt im Zusammenhang mit Aussagen über Gott und das Verhältnis des Menschen zu ihm.

Im Buddhismus wird ja oft der Begriff des „Erwachens“ verwendet, als Übersetzung des Sanskritbegriffs „bodhi“; Buddha ist demnach der Erwachte. Wie fand der Begriff „Erleuchtung“ überhaupt Eingang in den Buddhismus?
Dass Buddhistinnen und Buddhisten den Begriff „Erleuchtung“ verwenden, ist eine relativ junge Erscheinung. Es ist das Phänomen einer Moderne, die von akteursgebundenen Globalitätserfahrungen geprägt ist. Eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung des Begriffs in buddhistische Kontexte spielten – neben westlichen Intellektuellen und Künstlern sowie asiatischen Immigranten in Amerika und Europa – Wissenschaftler wie der Gründer der Pali Text Society, T. W. Rhys Davids, die in der Kolonialzeit als europäische Regierungsbeamte nach Asien versetzt worden waren. Durch ihr Wirken kam es ab dem späten 19. Jahrhundert vermehrt zur Publikation asiatischer Texte und deren Übersetzungen, in denen der europäische Erleuchtungsbegriff verschiedentlich Anwendung fand – und von denen sich auch Künstler und Intellektuelle inspirieren ließen. Denken Sie etwa an Hermann Hesses Siddhartha aus dem Jahr 1922. Darin bescheinigt die Hauptfigur dem historischen Buddha, „Erleuchtung“ gefunden zu haben, und durchläuft selbst einen Prozess des „Erwachens“. Dieser Text ist ein beispielhaftes Produkt seiner Zeit, in der die Welt aufgrund weltwirtschaftlicher und -politischer Vernetzung zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden war, die sich von Kulturen am anderen Ende des Globus fasziniert zeigte und dabei eine Vielzahl von Abgrenzungs- und Aneignungsprozessen durchlief. Hesse schöpfte aus neu übersetzten asiatischen Quellentexten, die er seiner Bibliothek einverleibte. Dabei konnotierte er den Erleuchtungsbegriff mit Aspekten einer Alleinheitserfahrung, indem er Elemente der Upanischaden-Lehre und des Buddhismus mit solchen des Daoismus und der Tiefenpsychologie engführte – und das in einer vom Pietismus geprägten Sprache.

Heißt das, es war maßgeblich Hesse, der den Begriff berühmt gemacht hat?
Das würde ich so nicht sehen. An der Popularisierung des Begriffs waren viele verschiedene Akteure beteiligt. Mindestens ebenso großen Einfluss hatten zum Beispiel die erfahrungsbetonten Deutungen des japanischen Buddhisten D. T. Suzuki, die den Zen aus seinem sozialen, kulturellen und moralischen Zusammenhang als monastische Tradition hoben und einen an westlichen Modellen orientierten Erleuchtungsbegriff publik machten. Auch lassen sich etliche weitere Gelehrte und vor allem Angehörige alternativreligiöser Szenen um 1900 und ab 1960 anführen. Hesse allerdings war insofern besonders wirkmächtig, als er weit über buddhistisch oder alternativreligiös interessierte Kreise hinaus als Schriftsteller in der Breite der Gesellschaft anerkannt war: Nicht nur machte das New Age seinen Siddhartha zur Ikone. Ein Teil seines Oeuvres ging auch in den Kanon der Weltliteratur ein und wird noch heute in Schulen und an Universitäten studiert. Dennoch, Hesses Werk ist nur einer von vielen Kanälen, über die der Begriff popularisiert und mit nachhaltiger Wirkung in buddhistische Zusammenhänge eingeschleust wurde.

Ein Hauptkanal lässt sich demnach nicht ausmachen, eine andere Person zum Beispiel oder ein Buch?
Ich würde eher von einem multiplen Gebilde verflochtener Kanäle sprechen. Damit meine ich den transkulturellen Austausch und Fluss zwischen Asien, Europa und Nordamerika, zu dem es infolge von christlicher Missionstätigkeit, Kolonialismus, einer allgemein zunehmenden Mobilität und neuen Kommunikationstechnologien ab dem späten 19. Jahrhundert kam. Ohne diesen komplexen transcultural flow hätten Hesses Siddhartha samt seiner Verfilmung durch Conrad Rooks Anfang der 1970er-Jahre oder Texte der Beatniks wie Jack Kerouacs Roman The Dharma Bums von 1958 nie entstehen und so großen Erfolg haben können. Hesse und Kerouac trafen den Nerv ihrer Zeit: Im Zuge der komplexen Dynamiken zwischen Kontinenten, Nationen und Kulturen bildeten sich nicht nur Produktionsketten, die in allerlei Verflechtungen um den Globus liefen. Auch Akteure und Texte und mit ihnen religiöse und philosophische Begriffe, Ideen und Vorstellungen waren „on the road“. Sie reisten durch die Welt und gingen dabei netzwerkartige Verbindungen ein. „Erleuchtung“ durchlief im Zuge dieser Austausch- und Verflechtungsprozesse einen Wandel von einem antik-philosophisch und christlich geprägten Begriff der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte zu einem global geläufigen Terminus der religiösen Selbstbeschreibung, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine besondere Konjunktur im New Age erlebte.

Erleuchtung und Erwachen sind ja von ihren Konnotationen her nicht deckungsgleich, sollen aber doch wohl das Gleiche beschreiben? Geht das überhaupt?
Sie haben Recht, von Deckungsgleichheit kann keine Rede sein. Man könnte darüber nachdenken, ob es überhaupt sinnvoll ist, den Erleuchtungsbegriff auf buddhistische Zusammenhänge anzuwenden, auch wenn er sich im 19. und 20. Jahrhundert erst im Englischen und dann im Deutschen durchgesetzt hat. Denken Sie, dass er dabei hilft, die buddhistische Lehre bestmöglich zu durchdringen? Ich bin da eher skeptisch. Die Beliebigkeit, mit der er heute zur Anwendung kommt, und sein mythisierendes Potenzial, wie es zum Beispiel Menschen, die sich selbst zu Gurus erklärt haben, gerne nutzen, zeigen, wie verunklarend er wirkt. Vor allem lenkt er von der ausgeprägten Heterogenität dessen, was mit ihm bezeichnet wird, ab – zugunsten einer Essentialisierung. Als ausgesprochen unscharfer Sammelbegriff, zu dem er geworden ist, trägt er nicht zu einem tiefer gehenden Verständnis der historisch gewachsenen und soziokulturell geformten Traditionen, die unter „Buddhismus“ zusammengefasst werden, bei. Vielmehr lädt er dazu ein, diese auszublenden und Dekontextualisierungen und Homogenisierungen vorzunehmen, sodass es zu Aussagen wie „Wer sich für Buddhismus interessiert, strebt nach Erleuchtung“ kommt. Das aber ist eine Komplexitätsreduktion, die an den Dingen vorbeigeht.

Buchtipp: Erleuchtung, Kultur- und Religionsgeschichte eines Begriffs. Hrsg. von Almut-Barbara Renger, Herder Verlag 2016

ENDE DER LESEPROBE

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Almut-Barbara Renger

Almut-Barbara Renger ist Professorin für Antike Religion und Kultur sowie deren Rezeptionsgeschichte an der FU Berlin. Sie arbeitet über die Entstehung, Verbreitung und Verwandlung von Mythen, Legenden, Idolen und Ikonen in Überlieferungen seit der griechischen Antike sowie in kulturellen Austauschprozessen zwischen Asien, Europa und den USA. Am Buddhismus interessieren sie insbesondere kulturelle Transformationen seit 1900.

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