Heimatlose Wanderer
„Als buddhistische Nonne bin ich in die Hauslosigkeit gezogen. Ich habe Familie, Freundinnen und Freunde, einen guten Job, Hobbys und alles Materielle zurückgelassen und gegen die Weite und Offenheit getauscht, von der die Suttas sprechen.“ Ayya Vimalanyani über das Wandern als Weg zur Befreiung.
Ein Haushälter hört das Dhamma, erlangt Vertrauen in den Tathagata und reflektiert: „Das Leben eines Haushälters ist eng und staubig; das Leben in der Hauslosigkeit ist weit und offen. Während man zu Hause wohnt, ist es nicht leicht, das heilige Leben zu führen, das zutiefst vollkommen und rein ist, wie eine polierte Muschel.“
Majjhima Nikaya (Mittlere Lehrreden), „Die kürzere Lehrrede von der Elefantenspur“
Als buddhistische Nonne habe ich mich entschieden, mein Leben vollkommen dem Dhamma zu widmen. Denn der Buddha lehrt die drei fundamentalen Eigenschaften von allem, was existiert: Alles ist vergänglich, leidbehaftet und sowieso nicht „meins“. Ich möchte diese Einsicht vollkommen verwirklichen, darum macht für mich nun kein anderes Leben mehr Sinn.
BUDDHISMUS TRADITIONSÜBERGREIFEND WERTSCHÄTZEN UND FÖRDERN
Als traditionsübergreifende Zeitschrift weiß sich „BUDDHISMUS aktuell“ sowohl den buddhistischen Schulen mit ihrer teils viele Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte verpflichtet – wie auch jüngeren, westlich-buddhistischen Strömungen.
Die Deutsche Buddhistische Union (DBU) und ihre Zeitschrift „BUDDHISMUS aktuell“ sind einzigartige Projekte im deutschsprachigen Raum: traditionsübergreifend, nicht-kommerziell, allein vom Geist der gegenseitigen Wertschätzung und Großzügigkeit getragen.
Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer SPENDE. Bitte mach unsere Arbeit auch zukünftig möglich mit deinem ABBONNEMENT oder Eintritt in die DBU.
Vielen Dank!
Ich schreibe diesen Artikel am zehnten Jahrestag der Zeremonie, bei der meine Haare geschoren wurden und ich die braune Robe angelegt habe. Eine Dekade ist vergangen, seitdem ich das Laienleben hinter mir gelassen habe. Inzwischen habe ich noch weitere Ordinationen erhalten, intensives Training im Ordensleben durchlaufen und neben den fünf Übungsregeln für Laien noch viele hundert weitere Schulungsregeln auf mich genommen. Ich habe auf vier Kontinenten gelebt und in vielen Gemeinschaften verschiedener Traditionen praktiziert, habe ein Jahr als Wandernonne in Australien verbracht, in Sri Lanka in einer kleinen Meditationshütte im Wald gelebt, in Europa Klöster mit aufgebaut, viel gelernt und selbst auch viel gelehrt. Aber alles mit einem einzigen Ziel: die Entwicklung der Freiheit des Geistes, die Auflösung von Gier, Hass und Verblendung, die vollständige Erleuchtung.
Sicherheiten loslassen
Der buddhistische Pfad ist ein graduelles Training. Er beginnt mit der Achtsamkeit im Alltag: Durch die Übungsregeln entsteht Reinheit des Geistes. Gier und Ärger werden nach und nach abgeschliffen und durch heilsame Qualitäten ersetzt. Durch Sinneszügelung entsteht Geistesstille. Wenn wir Musik, Filme, Bücher, Unterhaltung weglassen, kommen wir zur Ruhe und wirre Gedanken legen sich mit der Zeit. Durch das Loslassen alles Materiellen entsteht Weite im Geist. Anhaftungen machen ihn eng und dunkel. Je mehr wir auf Dinge verzichten können, desto unabhängiger, klarer, heller, weiter wird der Geist. All das bereitet uns auf die tiefe Meditation vor.
Die Suttas vergleichen unsere Gewohnheit, uns an Dingen festzuhalten, mit dem „Bauen von Häusern“. Wir suchen Sicherheit in den Dingen, in anderen Menschen, im Außen. Wir suchen ein Heim, den Ort, zu dem wir gehören und wo wir uns geschützt fühlen. Dort erschaffen wir immer und immer wieder die Illusion von einem „Selbst“.
Häuser sind unbeständig – wieder und wieder, Leben um Leben. Ich habe nach dem Hausbauer gesucht – schmerzhaft ist Geburt, wieder und wieder. Ich habe dich gesehen, Hausbauer! Du wirst kein weiteres Haus mehr bauen. Deine Dachsparren sind alle zerbrochen, dein Firstbalken ist zerschmettert. Mein Geist ist von Grenzen befreit: In diesem Leben wird er sich auflösen.
Theragatha (Lieder der älteren Mönche) 2.32
Ein langwieriger Prozess
Wer sein Leben ganz der Praxis widmen möchte, zieht in die Hauslosigkeit. Man lässt alles Materielle und die vorgebliche Sicherheit, die sich dort findet, zurück und konfrontiert sich mit der grundlegenden Unsicherheit des Lebens im Samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburten. Wenn man im Außen alles aufgibt, sieht man genau, woran man innerlich noch anhaftet. Es gilt, das loszulassen, was loszulassen uns schwerfällt, weil unsere Gedanken noch darum kreisen und das Loslassen Ängste hervorruft. Diese inneren Verklebungen sind es, die uns an das Rad der Wiedergeburten fesseln und die wir durch die Praxis auflösen wollen. Dazu muss man sie allerdings erst einmal genau erkennen. Das ist nicht so leicht, denn unsere Verblendung verzerrt unsere Wahrnehmung und lässt uns nicht klarsehen. Wir gestehen uns nicht gerne unsere schlechten Angewohnheiten ein und wir setzen uns nicht gerne schmerzhaften Emotionen aus. Aber nur wenn wir sie vollkommen erkennen, können wir sie verstehen und letztendlich loslassen. Dieser Prozess kann anstrengend und langwierig sein. Die Praxis ist nicht immer angenehm. Aber Schritt für Schritt wird unser Geist reiner und klarer, bis er am Ende von allen Anhaftungen völlig befreit ist.
Die Achtsamen setzen sich ein,sie genießen kein Heim. Wie ein Schwan, der aus dem Sumpf herausgekommen ist, lassen sie ein Heim nach dem andern zurück.
Dhammapada, Vers 91
Diese Hauslosigkeit, in der die Ordinierten leben, ist also ein innerer wie auch ein äußerer Prozess. Wenn wir Nonne oder Mönch werden, tauschen wir nicht einen Laienhaushalt gegen ein Kloster und suchen dann Sicherheit, eine Heimat und einen Ort, zu dem wir gehören, hinter den Klostermauern. Mönche und Nonnen sind heimatlose Wanderer. Wir treten nicht in ein bestimmtes Kloster und eine bestimmte Ordensgemeinschaft ein, sondern wir ordinieren in die „Sangha der zehn Himmelsrichtungen und der drei Zeiten“, wie es traditionell heißt; gemeint ist damit die Sangha weltweit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wir sind überall und nirgends zu Hause. Klöster gehören uns nicht, sondern werden nur von den dort lebenden Mönchen und Nonnen treuhänderisch für die weltweite Sangha verwaltet. Im Laufe unseres Ordenslebens ziehen wir von Ort zu Ort, Land zu Land, frei und ungebunden, „wie das Reh im Wald“, wie die Suttas es formulieren. Nur wenige Ordinierte verbringen ihr ganzes Leben im gleichen Kloster.
Gerade so wie ein Vogel, der, wohin er auch fliegt, nur mit seinen Flügeln als Gepäck fliegt, so begnügt sich auch der Bhikkhu mit Roben, um seinen Körper zu schützen, und mit Almosenspeise, um seinen Magen zu füllen, und wohin er auch geht, nimmt er nur diese mit. Weil er diese Ansammlung edler Sittlichkeit besitzt, erlebt er in sich eine Glückseligkeit, die ohne Tadel ist.
Majjhima Nikaya (Mittlere Lehrreden) 27
Der Buddha wanderte Zeit seines Lebens und dieses Wanderleben wurde über die Jahrhunderte und Jahrtausende von den Ordinierten weitergeführt. Auch in moderner Zeit gibt es noch viele Mönche und Nonnen, die ihre Klöster verlassen und für kürzere oder längere Zeit auf carika (Pali) oder thudong (Thai), also auf Wanderschaft, gehen. Ich selbst war ein Jahr in Australien unterwegs und habe kürzere Wanderungen in Europa gemacht. Diese äußere Ungebundenheit führt auch zu innerer Freiheit, Genügsamkeit und Zufriedenheit mit wenigen materiellen Dingen, denn auf Wanderschaft kann man nur mitnehmen, was man tragen kann. Mit leichtem Gepäck lässt es sich angenehmer reisen, deshalb wird alles Unnötige zurückgelassen. Und es macht uns innerlich stärker, zu wissen, dass wir nichts brauchen, was wir nicht bei uns tragen können. Selbst wenn man im Kloster lebt, ist es angenehm, zu wissen, dass man jederzeit seine wenigen Habseligkeiten packen und fortgehen könnte. Mit dieser Einstellung steht einem die Welt offen. Und sie macht uns innerlich unabhängiger von den Wirren, Sorgen, kleinen und großen Ärgernissen des Alltags.
Herausforderungen beim Wandern
Die Wanderschaft konfrontiert uns aber auch mit einer Welt, der wir schutzlos ausgeliefert sind, ohne die Illusion von Sicherheit, die uns ein Haus oder Klostermauern vermitteln. Als wandernde Nonne oder als wandernder Mönch ist man unterwegs, egal ob es regnet, schneit, hagelt oder die Sonne scheint. Man weiß nicht, woher man die nächste Mahlzeit bekommt oder ob man an diesem Tag überhaupt essen wird. Man weiß nicht, wo man übernachten wird. Ob man freundliche oder feindselige Menschen treffen wird. Der Körper wird krank von den Strapazen des Wanderns. Es ist ein guter Test für unsere geistige Reife. Wenn Gier, Ärger oder Ängste im Geist sind, werden sie offensichtlich. Und wir entwickeln Resilienz und Durchhaltevermögen.
Auf Carika weiß man nie, was einen im nächsten Moment erwartet. Der furchteinflößendste Kerl kann einem mit Tränen in den Augen eine Mahlzeit spenden. Die harmloseste Großmutter kann eine wandernde Nonne plötzlich mit einem straußeneigroßen Stein angreifen. Menschen können uns als Verrückten oder als Engel wahrnehmen. Fremde öffnen einem Mönch die Tür zu ihren Häusern und bieten eine Unterkunft für die Nacht an. Andere rufen die Polizei.
In westlichen Ländern kommt hinzu, dass wir oft nicht als buddhistische Ordinierte erkannt werden. Menschen halten uns für Künstlerinnen oder Künstler, die in Verkleidung eine öffentliche Performance aufführen. Häufig werden unsere Almosenschalen als Trommeln wahrgenommen. Andere glauben, wir seien Maskottchen, die für ein Event werben. Dann kommen sie, um uns anzufassen, uns zu umarmen oder Fotos zu machen. Manchmal werden wir als Muslime gesehen und beschimpft, oder als Hare Krishnas verspottet. Nur wenige erkennen, dass wir Lebensmittel brauchen und spenden etwas.
Wenn man in Europa auf Wanderschaft ist, sind Unterkünfte für die Nacht oft die größte Schwierigkeit. Im Wald zu übernachten ist in Europa vielerorts verboten. Kirchen, die Pilgernde aufnehmen, sind oft verschlossen und verwaist, denn es gibt keine Pfarrerinnen oder Pfarrer mehr vor Ort. Und an anderen Orten werden Wandernde von der Polizei vertrieben.
Wanderschaft als spirituelle Praxis
Trotz oder gerade wegen dieser Herausforderungen ist Carika auch in der modernen Zeit noch eine wichtige spirituelle Praxis. Generation um Generation von Nonnen und Mönchen nimmt diese Übung auf sich, um den Geist zu testen, zu trainieren, zu reinigen und schließlich vollständig zu befreien.
Wir alle wandern schon seit anfangslosen Zeiten durch die Runde der Wiedergeburten von Leben zu Leben. Es ist an der Zeit, dieses sinnlose Spiel zu beenden. Wer das klar sieht, wird mit großer Freude das heimatlose Leben wählen und auf die letzte Wanderschaft gehen, um dem Umherwandern ein Ende zu setzen.
Das Umherwandern hat keinen bekannten Anfang. Ein Anfangspunkt für das Umherstreifen und Umherwandern der Lebewesen, die von Unwissenheit eingehüllt und von Verlangen gefesselt sind, ist nicht gefunden. So lange Zeit habt ihr Leiden, Qual und Verderben erfahren und die Leichenfelder aufgefüllt. Eben das reicht völlig aus, dass ihr in Bezug auf alle Bedingungen ernüchtert werdet, dass eure Leidenschaft schwindet und ihr davon frei werdet.
Samyutta Nikaya (Gruppierte Sammlung) 15.1
Ayya Vimalañani
Arbeitete als Diplomatin an der Deutschen Botschaft in Kuala Lumpur, als sie dort 2011 mit dem Dhamma in Kontakt kam. 2014 wurde sie ordiniert, lebte weltweit in verschiedenen Klöstern und zeitweise als wandernde Nonne. 2018 erhielt sie die höhere Ordination als Bhikkhuni und unterstützt seit mehreren Jahren den Aufbau eines Bhikkhuni-Klosters in Europa.