Handeln wir mit Mut, Furchtlosigkeit und Engagement
Was können wir als spirituelle Menschen und Gemeinschaften tun, um klug mit dem Klimawandel umzugehen? Die Dharma-Antwort auf den Klimawandel bedeutet, dass jede und jeder Einzelne engagiert und aus einer Haltung der Liebe und Fürsorge für die Erde handelt, betont der Vipassana-Lehrer James Baraz im Gespräch mit Sabine Jaenicke.
Sabine Jaenicke: Gehört der Klimawandel im Kontext des Dharma auf die Tagesordnung?
James Baraz: Der Buddha lehrte mit dem ausdrücklichen Ziel, dem Leiden mit Weisheit zu begegnen. Wir befinden uns momentan in einer Krise beispiellosen globalen Leidens. Ein Klimaexperte, der auch praktiziert, sagte mir einmal, um klug mit dieser Situation umzugehen, sei der Dharma der Schlüssel.
Dharmaprinzipien wie Intersein, ethisches Handeln, das Verstehen von Ursache und Wirkung und der kraftvolle Wunsch, eine Veränderung zu bewirken, sind für den Bewusstseinswandel, den die Menschheit zur Bewältigung dieser Krise benötigt, ganz entscheidend. Hinzukommen muss ein weiteres wichtiges Dharmaprinzip, nämlich mitfühlendes Handeln.
Anstatt die Natur und alle lebenden Arten auszubeuten, um unsere Gier zu stillen, können wir wie weise Älteste in der Familie aller Lebewesen sein, um andere Arten vor dem Aussterben zu schützen. Ich habe kürzlich eine interessante Statistik über die Biomasse aller Säugetiere auf diesem Planeten gelesen. Der Gewichtsanteil des Menschen an der gesamten Säugetierbiomasse beträgt 36 Prozent. Nutztiere zur Ernährung des Menschen machen 60 Prozent der Gesamtmasse aus. Und alle anderen Säugetiere ¬wie Elefanten, Löwen, Zebras, Wale und viele mehr, ¬ machen 4 Prozent aus. Was haben wir getan? Was ist jetzt unsere Verantwortung? Der Dharma kann uns helfen, eine klare Sichtweise und eine kluge Antwort zu finden.
Dieses Jahr habe ich an einem Retreat mit dem Ehrwürdigen Analayo Bhikkhu teilgenommenen. Er ist einer der angesehensten Gelehrten und Meditationsmeister der Theravada-Tradition. Nach einer Woche intensiver Unterweisungen über das Anapanasati-Sutta sagte er am letzten Tag: „Heute möchte ich über den Klimawandel sprechen. Einige Leute denken, dies sei kein angemessenes Thema in einer Dharmahalle. Ich möchte, dass ihr wisst: Es ist vielleicht das Wichtigste, worüber wir sprechen können.“
Viele Menschen sind davon überzeugt, dass Technologie das Problem nicht lösen wird. Wir alle müssen unseren Lebensstil ändern. Siehst du das genauso?
Völlig! Technologie kann zum Guten oder Schlechten eingesetzt werden. Die meisten von uns sind wie hypnotisiert und schlafwandeln durchs Leben, abhängig von allen möglichen Geräten. Sicherlich wird die Technologie einige bahnbrechende Lösungen bieten können, doch ist eine Veränderung des Bewusstseins dringend erforderlich, um die Gier, die unser Handeln bestimmt, zu verändern.
Die Industrieländer sind die Hauptverursacher des Problems mit ihrem unersättlichen Appetit, Bedürfnisse zu befriedigen, was kontinuierliche Ausbeutung nach sich zieht. Unser Erfolg wird ausschließlich an der Steigerung der Rentabilität gemessen und am stetigen Wachstum im Vergleich zum Vorjahresquartal. Unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und unsere ganz offensichtliche Missachtung des empfindlichen Gleichgewichts der Ökosysteme müssen jedoch aufhören, wenn wir das, was unsere Gier geschaffen hat, wirklich umkehren wollen. Der Buddha sprach von nekkhama – Entsagung oder Zufriedenheit, die auf Einfachheit basiert – als der Quelle wahren Glücks. Solange wir dies nicht verstehen und verkörpern, werden wir unseren süchtig machenden, selbstzerstörerischen Weg fortzusetzen.
Viele Menschen fühlen sich überfordert. Thich Nhat Hanh sagte 2012 in einem Dharmagespräch, es könnte möglich sein, dass es in einhundert Jahren auf diesem Planeten keine Menschen mehr gebe. Er sagte dies mit großer Gelassenheit und Liebe. Wie kann man mit schwierigen Gefühlen wie Angst oder Traurigkeit umgehen, die der Klimawandel mit sich bringt?
Zuerst müssen wir den ganzen Schmerz der Situation spüren – auf so geschickte Weise wie möglich. Der Buddha machte sehr deutlich, dass wir so lange von unserem Leiden betäubt sein werden, bis wir uns ihm ganz öffnen. Dies kann manchmal bedeuten, dass wir von unserem Leiden, unserem dukkha, immer nur so viel zulassen, dass es uns nicht überwältigt. Selbstmitgefühl hilft uns, all die schmerzhaften Gefühle zu halten. Achtsamkeit ist wesentlich, um unseren Kummer zu verwandeln. Kollektiv zusammenzuarbeiten hilft uns, die Tragweite der Situation anzunehmen. Unser Mitgefühl und unsere Fürsorge müssen mit Gleichmut ausbalanciert werden – Gleichmut, der anerkennt, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Je mehr wir zentriert bleiben und all diese Gefühle auf geschickte Art halten können, desto effektiver werden unsere Handlungen.
Der Buddha lehrte, jeden Tag darüber zu kontemplieren, dass wir alt werden, krank werden und sterben, dass wir von allem und jedem getrennt werden, was uns lieb und teuer ist, und dass wir die Besitzerinnen und Besitzer unseres Karmas sind. Er riet uns, dies täglich zu tun, nicht um uns zu deprimieren, sondern damit wir uns an die Wahrheit gewöhnen und wertschätzen, was wir bereits haben.
Das Gleiche gilt, wenn wir uns für den Klimawandel öffnen. Wir müssen der Wahrheit klar und mit Gleichmut begegnen, damit unser mitfühlendes Handeln und unsere tiefe Fürsorge für diesen Planeten von einem weisen, effektiveren Ort in uns kommen.
Du hast einmal gesagt, dass wir als Dharmapraktizierende Agentinnen und Agenten des Bewusstseins seien. Was meinst du damit?
Ein Freund hat es einmal so ausgedrückt: Wir befinden uns in einem Wettlauf zwischen Angst und Bewusstheit. Erst kürzlich hat er dies umformuliert und gesagt, dass wir uns in einem Wettlauf zwischen Aussterben und Bewusstheit befänden. Unser Überleben wird davon abhängen, dass die Menschheit sich der Situation bewusst wird und so geschickt wie möglich mit ihr umgeht. Obwohl dies die schlimmste Situation ist, mit der die Menschheit jemals konfrontiert war, hat sie auch das Potenzial, uns zu einer neuen, nie dagewesenen Bewusstheit erwachen zu lassen. Leiden ist normalerweise das, was uns in unserer Praxis motiviert zu erwachen. Wir befinden uns gemeinsam in einer spirituellen Krise – was der heilige Johannes vom Kreuz die „dunkle Nacht der Seele“ nannte. Der britische Mystiker Andrew Harvey spricht heute von der „dunklen Nacht der Arten“. Hierin steckt ein enormes Potenzial. Ich sehe unsere Aufgabe darin, so viel Bewusstsein wie möglich in die Welt zu bringen. Denn genauso wie Angst und Hass ansteckend sind, sind auch Bewusstheit und Liebe ansteckend.
Was ich oft schwierig finde, ist eine bestimmte Denkweise, die manchmal mit Engagement einhergeht. Ich kenne viele Menschen, auch Buddhistinnen und Buddhisten, die davon überzeugt sind, dass sie es mit ihrer Lebensweise richtig machen, andere aber nicht. Liegt da nicht ein tiefes Missverständnis von Engagement vor?
Solange wir Gute und Böse schaffen, halten wir die Krankheit des Ausgrenzens aufrecht, die eine Grundursache für das Problem ist. Anstatt in unserer Haltung selbstgerecht zu sein, glaube ich, erkennen weise engagierte Praktizierende, dass das wahre Problem Unwissenheit ist – einfach nicht klar zu sehen. Vorwürfe und Scham erzeugen nur mehr Widerstand und verhindern wahres Erwachen. Wie Martin Luther King sagte: „Sie haben keine moralische Autorität über Menschen, die bei Ihnen Geringschätzung fühlen können.“
Du erwähnst immer wieder, dass dich Julia Butterfly Hill inspiriert. Auf welche Weise?
Ja, Julia, die zwei Jahre in einem alten Mammutbaum gelebt hat, um massive Rodungen in Kalifornien zu verhindern, ist für mich eine echte Inspiration. Während dieser Nervenprobe durchlief sie eine Transformation, in der sie lernte, die Wahrheit zu sagen und mit Liebe mutig den Mächtigen entgegenzutreten. Sie spricht davon, dass unter der Empörung und Wut, die wir verständlicherweise empfinden, eine tiefe Fürsorge und Liebe für das Leben liegen, auf die wir als Quelle unseres Handelns zurückgreifen sollten. Wenn sie einen ihrer dynamischen Vorträge hält, der die Zuhörerinnen und Zuhörer zutiefst bewegt, kommen die Leute oft auf sie zu und sagen: „O Julia, du hast mich so inspiriert!“ Und ihre Antwort lautet: „Wunderbar – inspiriert, um was genau zu tun?“
Das Interview führte Sabine Jaenicke.
Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Jaenicke und Robert Kruppa.
ENDE DER LESEPROBE
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James Baraz
James Baraz, Meditationslehrer seit 1978, gründete zusammen mit Jack Kornfield das Meditationszentrum Spirit Rock in Kalifornien. Er leitet jedes Jahr ein Vipassana-Retreat in Deutschland.