Frieden ist die Antwort
Kazuaki Tanahashi, 1933 in Japan geboren und später in die USA ausgewandert, lehrt weltweit Kalligrafie und Zen-Meditation. Er ist Pionier des Genres der Ein-Strich-Malerei und Schöpfer des mehrfarbigen Zen-Kreises (Enso). Seine Pinselarbeiten wurden in Galerien, Museen und Universitäten auf der ganzen Welt gezeigt. Er ist aber auch ein buddhistischer Aktivist, der sich seit Jahrzehnten für Frieden, Versöhnung, Umwelt- und Klimaschutz, Gerechtigkeit und Bildung engagiert. Unter anderem hat er den Verein Plutonium-Free Future (Plutoniumfreie Zukunft) und das Projekt „A World Without Armies“ (Eine Welt ohne Armeen) gegründet. Zum 70. Jahrestag des Massakers von Nanjing organisierte Kazuaki Tanahashi zusammen mit Zhang Lianhong (Nanjing Normal University, Research Center for the Nanjing Massacre) eine viertägige Konferenz in Nanjing, auf der er und andere japanische Vertreterinnen und Vertreter von Kunst und Wissenschaft ihre Scham und Reue über die Kriegsverbrechen ihrer Väter ausdrückten und die Menschen Chinas um Versöhnung baten. Für seine Verdienste wurde Kazuaki Tanahashi zum Mitglied der World Academy of Art and Science gewählt. Kazuaki Tanahashi hat mehr als 25 Bücher verfasst, sowohl über Kalligrafie wie auch zum Herz-Sutra und zu Schriften von Dogen, dessen Shobogenzo er neu übersetzt hat. Auf den folgenden Seiten publizieren wir eine Reihe kurzer Auszüge aus „Painting Peace – Kunst in Zeiten globaler Krisen“, erschienen in der Manjughosha Edition (manjugosha.de). Das Buch versammelt beeindruckende Essays, Berichte und Gedichte des Künstlers. Mehr zu den Kursen und dem Engagement Kazuaki Tanahashis auf www.brushmind.net.
Frieden ist die Antwort
Klarer Himmel, klar wie eh und je.
Frieden ist die Antwort.
Freunde hinter den Bergen.
Frieden ist die Antwort.
Medizin in den Städten und Dörfern.
Frieden ist die Antwort.
Alle Kinder lesen Bücher.
Frieden ist die Antwort.
Essen für jedes menschliche Wesen.
Frieden ist die Antwort.
Wie können wir tiefgreifenden sozialen Wandel herbeiführen? Wie können wir die Menschheit auf ihrem Weg in den kollektiven Selbstmord zur Umkehr bewegen? Wie können wir gewaltlos auf systematische Gewalt reagieren? Wie können wir Nationen darin unterstützen, ihre Militärkräfte abzuschaffen?
Unsere Vision für die Zukunft malen wir mit unserer Vorstellungskraft, einer Art Pinsel. Wir malen damit unsere Träume, Hoffnungen und Voraussagen für die nahe und für die ferne Zukunft. Du hast deinen Pinsel, und ich habe meinen. Tatsächlich haben wir alle einen gestaltlosen Pinsel mit unbegrenztem Potenzial.
Das, was du malst, mag sich in Farbe und Form, Thema und Ausdruck von dem unterscheiden, was ich male. Und doch wird es zwangsläufig Ähnlichkeiten geben. Es macht mich demütig, wenn ich mir vorstelle, dass der „Pinsel“, unter dessen Führung meine Gedanken und Taten für die Umsetzung sozialer Transformation entstehen, nur einer von Abermillionen „Pinseln“ ist, die auf der Welt am Werk sind.
Fest steht, dass der Weltfrieden mit dem inneren Frieden jedes Einzelnen beginnt und soziale Transformation auf dem Erwachen jedes Einzelnen beruht. Erwachen bedeutet, jeden Moment des eigenen Lebens und des Lebens aller anderen Wesen als unendlich wertvoll anzuerkennen und sich entsprechend zu verhalten.
Während des Zweiten Weltkriegs lebte der Zen-Mönch Soen Nakagawa im Kloster Ryutaku auf dem Berg Mishima in einer ländlichen Gegend nahe dem Fuji in Japan. Er schrieb dieses hintergründige Antikriegs-Haiku:
Nachrichten von einer siegreichen Schlacht
Ich schlurfe einfach durch den Schlamm
hier im Frühlingstempel.
Nachdem die US-Streitkräfte in mörderischen Schlachten etliche pazifische Inseln eingenommen hatten, begannen sie, japanische Städte zu bombardieren. Soen ersetzte ein einziges Wort in dem Gedicht (senka) durch ein Homonym:
Nachrichten von einer verheerenden Schlacht
Ich schlurfe einfach durch den Schlamm
hier im Frühlingstempel.
Monate nach Japans Kapitulation im August 1945 schrieb er:
Über der Stadt der Asche
erhebt sich Fuji unberührt.
Erstes Neujahrslicht.
Überraschenderweise nahm bereits am Rohatsu Sesshin, einer einwöchigen Meditationssitzung zur Erinnerung an die Erleuchtung des Buddha, im Dezember 1946 ein Amerikaner teil. Soen schrieb dazu:
Halbzeit des Rohatsu
und zwischen uns sitzend
ein G.I.
Ein wahrer Krieger
Ein wahrer Krieger
erzwingt nichts.
Ein wahrer Krieger
flieht nicht.
Ein wahrer Krieger
scheitert nicht.
Ein wahrer Krieger
kämpft nicht.
Die größte Gabe
Für meinen Sohn Ko
Mein Sohn, mein Liebster,
Wundersam ist deine Gabe.
Dein friedlicher Geist
ist so kostbar für mich.
Mein Sohn, mein Liebster,
Wundersam ist deine Gabe.
Dein Marsch für den Frieden
ist so kostbar für mich.
Mein Sohn, mein Liebster,
Wundersam ist deine Gabe.
Dein Glaube an die Gewaltlosigkeit
ist so kostbar für mich.
Mein Sohn, mein Liebster,
Wundersam ist deine Gabe.
Dein friedliches Lächeln
ist so kostbar für mich.
Ich beschloss, alle Menschen, die ich kannte, um Vervollständigung eines Satzes zu bitten. Als im März 1987 die erste Ausstellung von Stop the arms race or… in der Live Art Gallery San Francisco stattfand, hatte ich Antworten von mehr als sechzig Menschen erhalten. Ich druckte jeden Beitrag auf ein Blatt und hängte die Botschaften abwechselnd mit meinen Bildern an die Wände der Galerie. … Für mich war es sehr bewegend, zu lesen, mit welch unterschiedlichen Dingen sie sich beschäftigten: Sie arbeiteten als Freiwillige in Kliniken, schrieben dokumentarische Gedichte, malten Transparente, übten sich in zivilem Ungehorsam, planten einen „Kulturpark“, organisierten internationale Veranstaltungen zu Krieg und Frieden, unterstützten Alkoholiker beim Trockenwerden, pflegten im Hospiz HIV-Patienten, berieten die UNO oder versuchten schlicht und einfach, sich menschlich zu verhalten. Es gab so viele Möglichkeiten, sich für den Frieden einzusetzen.
Für die Sieger ist ein Krieg schnell vergangen und vergessen. Für die Verlierer und für die Opfer jedoch ist er niemals vorbei. Diejenigen, die siegreich aus dem Krieg hervorgehen, können das Ausmaß der Verzweiflung und Demütigung und den brennenden Wunsch nach Rache, die auf der anderen Seite entstanden sind, niemals nachempfinden. Unsere Gesellschaft – ja, vielleicht unsere gesamte Zivilisation – wird auch nach dem Ende eines Krieges noch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte lang weiter durch ihn gefährdet, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, denn unter den Verlierern gibt es immer auch entschlossene Fanatiker, die sich geschworen haben, ihre Verluste zu rächen. Jeder Krieg sät bereits die Samen für den nächsten. In dieser Hinsicht gibt es keinen kosteneffizienten Krieg, und nationale oder internationale Sicherheit lässt sich niemals durch bloße Unterdrückung der jeweils anderen Seite herstellen.
Der Frieden leidet
Der Frieden wird vernichtet,
der Frieden leidet
unter jeder Landmine, die wir exportieren.
Der Frieden wird vernichtet,
der Frieden leidet
unter jeder Bombe, die wir abwerfen.
Der Frieden wird vernichtet,
der Frieden leidet
unter jeder Schlacht, die wir schlagen.
Der Frieden wird vernichtet,
der Frieden leidet
unter jedem Krieg, den wir gewinnen.
Lass nicht zu, dass der Frieden vernichtet wird.
Lass nicht zu, dass der Frieden leidet.
Lass den Frieden siegen.
Im Buddhismus wird Avalokiteshvara als Verkörperung des Mitgefühls verehrt. Dieser Bodhisattva unterstützt alle Menschen im Prozess ihres Erwachens, und eine seiner bekannten Darstellungen besitzt elf Gesichter. Die meisten dieser Gesichter lächeln auf unterschiedliche Weise, eines lacht. Ein Gesicht hingegen sieht ausgesprochen grimmig aus. Aber wäre unser Kind durch einen Angriff in Lebensgefahr, würden wir dann nicht laut brüllen und unser Leben riskieren, um es zu beschützen? Sähe unser Gesicht in dieser Situation nicht genauso grimmig aus? Was, wenn unser Nachbar in Gefahr wäre? Oder ein Fremder? Würden wir dann nicht auch wütend aufschreien? Ist dies nicht auch ein Aspekt von Mitgefühl?
Mir wurde klar, dass wir diejenigen, die gefährliche Dinge taten, konfrontieren, kritisieren und anklagen, und sie dadurch unterstützen mussten, den tief in ihren eigenen Herzen wohnenden Schmerz wahrzunehmen. Möglicherweise hatten sie über entscheidende Aspekte ihres Vorhabens nicht so genau nachgedacht, sich nicht klargemacht, welche Verantwortung sie trugen, oder sich kein Bild von der Zerstörung gemacht, die sie sich und anderen zufügten. Das war Schmerz. Ihnen dabei zu helfen, diesen Schmerz zu erkennen, ihn ernst zu nehmen und sich von ihm zu befreien, konnte auch ein Ausdruck von Liebe sein.
Ich war vier Jahre alt, als Japan Nanjing angriff. Je mehr ich über die Ungeheuerlichkeit dieses Massakers lerne, desto größer wird mein Grauen. Was als „Vergewaltigung von Nanjing“ bekannt geworden ist, ist das schlimmste der vielen Kriegsverbrechen, die unsere Streitkräfte in China verübt haben. Die chinesische Regierung verkündete 1955, dass die Zahl der Getöteten 10 Millionen überstieg.
Die chinesischen Truppen setzten sich zur Wehr und gewannen letztendlich den Krieg. Dennoch ist mir der Gedanke, dass unsere Soldaten damals Millionen von Chinesen und Chinesinnen getötet haben, unerträglich. Jeder dieser Menschen hatte gelebt, geliebt und geträumt. Es macht mich traurig, dass unsere Leute diese Menschen für immer vernichtet haben. Ich schäme mich dafür in Körper und Geist.
Ich schäme mich mit meinem ganzen Sein und möchte alle Chinesen und Chinesinnen um Verzeihung bitten für die unzähligen von unseren Truppen verübten Gräueltaten. Im Namen aller gleich gesinnten Japaner und Japanerinnen bitte ich euch um Vergebung. Ich möchte mir mit all meinen chinesischen und japanischen Freunden und Freundinnen gemeinsam unsere schmerzliche Vergangenheit anschauen. Ich möchte, dass wir zusammen auf Heilung und Versöhnung hinarbeiten, auf dass es uns gelingen möge, zwischen unseren Ländern nachhaltig Frieden zu schaffen.
Kreise repräsentieren vollkommene Weisheit. Seit Jahrhunderten versuchen Zen-Mönche, sie mit ihren Pinseln zu malen. … Manchmal jedoch werde ich der monokulturellen, monoreligiösen und von männlichen Malern dominierten Abbildungen traditioneller monochromatischer Kreise auf begrenzter Fläche überdrüssig. Erfahrene ostasiatische Zen-Meister scheinen ein Monopol auf das besagte Kreis-Symbol, genannt Enso, zu haben, das stets in schwarzer Tusche auf weißem Papier gemalt wird. Das einzige von einem Laien geschaffene Enso, das ich kannte, stammte von Kitaro Nishida, einem herausragenden Philosophen in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Nie zuvor hatte ich ein von einer ostasiatischen Frau gemaltes Enso zu Gesicht bekommen. Als Künstler war es mir schon lange ein Anliegen, über derartige Begrenzungen hinauszuwachsen.
Kreis des Friedens
Ein Kreis des Friedens
Aus seinem leuchtenden Grün
beziehe ich Hoffnung für die Zukunft.
Ein Kreis des Friedens.
In seinem Meeresblau vertiefe ich
mein Engagement für die Gemeinschaft.
Ein Kreis des Friedens.
In seinem sonnigen Orange sammle ich
Energie für die Heilung.
Ein Kreis des Friedens.
In seinem Purpurrot entbrennt
meine Leidenschaft, mich zu engagieren.
Ein Kreis des Friedens.
Durch seinen vollständigen Regenbogen
finden wir Vollkommenheit in unserer Arbeit.
Hand
Für meine Tochter Karuna
Deine Hand. Meine Hand.
Wir pflanzen Blumen.
Deine Hand. Meine Hand.
Wir werden keine Waffen abfeuern.
Deine Hand. Meine Hand.
Wir werden keine Waffen bauen.
Deine Hand. Meine Hand.
Wir werden keine Bomben werfen.
Deine Hand. Meine Hand.
Wir schreiben Friedenslieder.
Ich bitte all jene, die sich umfassenden und dauerhaften Frieden im Nahen Osten wünschen, ihre Erfahrungen mit Tatsachen, Glauben und Gefühlen kurz einmal außen vor zu lassen. Bitte lauscht tief in eure Herzen hinein und beantwortet dann die folgenden Fragen. Sobald ihr sie einhellig beantwortet, können Durchbrüche geschehen, die Wunder des Friedens ermöglichen!
Willst du frei sein von der Angst vor Krieg?
Willst du frei sein von der Notwendigkeit militärischer Präsenz zur Gewährleistung von Sicherheit?Willst du frei sein von dem Wunsch, Menschen auf der anderen Seite zu vernichten?
Willst du frei sein von dem Teufelskreis, auf Gewalt stets mit Gegengewalt zu reagieren?
Willst du frei sein von politisch durchgesetzter ethnischer und religiöser Trennung und Diskriminierung?
Willst du frei sein von wirtschaftlicher Ungleichheit basierend auf ethnischen und religiösen Unterschieden?
Willst du frei sein von der Notwendigkeit, Land zu besetzen, das nicht dein Heimatland ist?
Willst du frei sein von dem Anspruch, dass ein einzelnes Land die alleinige Hoheitsgewalt über Jerusalem besitzen muss?
Egal ob beim Yoga, in heiligen Tänzen, in der Meditation, beim Besuch der heiligen Messe, des Kirchenchors oder der Teezeremonie – spirituelle Praktiken folgen im Wesentlichen einem definierten Format. Kernelement ist meist das bewusste Wiederholen, das uns tiefer und tiefer in unsere Energie eintauchen lässt. Sich einer solchen repetitiven Praxis hinzugeben ist häufig entspannend und befriedigend. Wenn wir uns auf diese Art der spirituellen Praxis einlassen, sind wir weniger anfällig für Begierden, vor allem für den eher ungesunden Drang, immer mehr materielle Objekte und Macht anzuhäufen. Anstatt uns von Gier durch die Welt jagen zu lassen, werden wir einfach und bescheiden und entfalten unsere Spiritualität. …
Spirituelle Praxis kann Kunst im besten Sinne schöpferisch werden lassen, kühn und visionär. Kunst wiederum nährt und stärkt die Weisheit und die Liebe derer, die sich auf den spirituellen Pfad begeben. Kunst und das Heilige zusammen können wahre Wunder bewirken. Durch die Transformation des individuellen Bewusstseins kann sich die ganze Gesellschaft dahingehend entwickeln, dass sie das Leben aller Wesen schützt. Und was könnte heiliger sein als das?
Von einer Kerze
In der Dunkelheit von Krieg und Gewalt
gib das Licht eines friedlichen Weges weiter.
Von einer Kerze zur nächsten,
zur nächsten – und zu vielen anderen.
In der Dunkelheit von Zorn und Hass
gib das Licht liebevoller Güte weiter.
Von einer Kerze zur nächsten,
zur nächsten – und zu vielen anderen.
In der Dunkelheit von Rauch und Trauer
gib den Traum vom Ende des Krieges weiter.
Von einer Kerze zur nächsten,
zur nächsten – und zu vielen anderen.
Von einer Kerze zur nächsten,
zur nächsten – und zu vielen anderen.
Weitere Informationen
Vom 25. bis 27. Oktober 2024 bietet Kazuaki Tanahashi in Berlin einen Kalligrafieworkshop an. Weitere Infos und Anmeldung über Klaus Krämer, k.p.kraemer@web.de
Literaturhinweis
Kazuaki Tanahashi: „Painting Peace – Kunst in Zeiten globaler Krisen“, Manjugosha Edition, 234 Seiten, 35 farbige Abbildungen, manjugosha.de