Equally a coming Buddha – David Sumerauer zum 100. Geburtstag des Dichters Jack Kerouac

Ein Beitrag von David Sumerauer veröffentlicht in der Ausgabe 2022/4 Leben mit dem Tod unter der Rubrik Geschichte des Buddhismus.

Die USA in den 1950er- und 1960er-Jahren. Öde rasenbewehrte Vorstadtlandschaften, Fake-Familienidyllen – und dicht gefüllte Minibars, in denen aus jedwedem Anlass und zu ständig qualmenden Zigaretten starke Drinks gemixt werden, auch für die damaligen Buddhistinnen und Buddhisten. Jack Kerouac gehörte dazu, der am 12. März diesen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. Ein Essay von David Sumerauer über einen zwiespältigen Dharmavorfahren.

© Illustration: Werner Steiner

Die Schriftsteller Alan Watts und Jack Kerouac und der tibetische Dharmalehrer Chögyam Trungpa gehören zu den berühmtesten Buddhisten der US-amerikanischen Nachkriegszeit – und alle drei soffen so exzessiv, dass sie schließlich daran starben. Damit waren sie ganz Kinder ihrer Zeit und wiesen trotzdem in manchem über sie hinaus. 

Wie viele kam auch Jack Kerouac über das Werk des US-amerikanischen Transzendentalisten und Poeten Henry David Thoreau zum Buddhismus, vor allem durch das berühmte Buch „Walden – oder Leben in den Wäldern“. Tatsächlich analysiert Thoreau die menschliche Situation ganz ähnlich wie der Buddha.

Die meisten Menschen führen ein Leben stiller Verzweiflung. Diese Verzweiflung entsteht aus der Gier, den äußeren Menschen mit Status, Macht und Erfolgen zu schmücken. Das Leiden, das aus dieser Lebensweise entsteht, ist umfassend und unausweichlich. Nur ein einfaches, kontemplatives Leben in engem Kontakt mit der mehr-als-menschlichen Welt ermöglicht es, langsam die wahren, großen Zusammenhänge der Welt zu erfahren und so weniger Leid für sich und andere zu erzeugen. Zwar hat Henry-David Thoreau nicht formal Buddhismus praktiziert, bezog sich aber immer wieder darauf und las zudem viel in den damals aufkommenden Übersetzungen fernöstlicher Weisheitstexte, vor allem in der „Bhagavad Gita“.

Ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Buddhismus 

Angeregt durch seine Thoreau-Lektüre setzte sich Jack Keroauc ab 1953 intensiv mit dem Buddhismus auseinander. Diese Auseinandersetzung war keine Spielerei, nicht der Versuch, bei der nächsten intellektuellen Mode dabei zu sein, sondern ein existenzielles Anliegen, und das macht Kerouacs Gedanken zum Dharma trotz ihrer intellektuellen Einfalt immer noch anregend. Hier scheint einer wirklich gemäß dem alten buddhistischen Sprichwort mit solcher Vehemenz ein Ende des Leidens gesucht zu haben, als hätte er eine brennende Flamme auf seinem Kopf löschen wollen. 

Gleichzeitig verstrickt sich der Geist des Dichters in Ideen von Leerheit und „non-attainment“, also der im Zen gängigen Vorstellung, dass es eigentlich gar nichts zu erreichen gibt, wie ein kurzer Ausschnitt aus dem auch für heutige Buddhist:innen noch immer sehr interessanten Buch „The Dharma Bums“ zeigt. Die Figur Ray Smith fungiert darin als alter ego von Jack Kerouac selbst, und sein Gesprächspartner Japhy Ryder weist viel Ähnlichkeit mit dem ebenfalls zu den Gründerpersönlichkeiten der Beat Generation zählenden Gary Snyder auf.

„Was ist schlecht an Jesus? Hat er nicht vom Himmel gesprochen? Ist der Himmel nicht Buddhas Nirvana?“ 
„Wenn du dir das so denkst, Smith.“ 
„Japhy, es gab noch Sachen, die ich Rosie sagen wollte, aber ich war gehemmt wegen dieser künstlichen Trennung von Buddhismus und Christentum, von Ost und West, die wir da aufrechterhalten, wo zum Teufel ist der Unterschied? Wir sind doch jetzt schon alle im Himmel, oder?“ 
„Wer hat das gesagt?“ 
„Sind wir jetzt im Nirvana oder nicht?“ 
Sowohl im Nirvana als auch im Samsara.“ 
„Worte, Worte, was bedeuten die schon? Ob jetzt Nirvana oder sonst was.“ 

Jack Kerouac hatte den acht Jahre jüngeren Dichter und Zen-Adepten Snyder im Sommer 1955 in San Francisco kennengelernt und einige Monate mit ihm auf Wanderungen, bei Dharmadiskussionen und orgiastischen Weinbesäufnissen verbracht. Mit der ihm eigenen Hellsichtigkeit für dieses Thema erkannte Kerouac in dem anarchischen, energetischen und wildnisverliebten Snyder einen US-amerikanischen Archetypen und setzte ihm mit „The Dharma Bums“ ein frühes Denkmal. In den Jahren darauf avancierte Gary Snyder dann tatsächlich zu einem der wichtigsten Dichter und Essayisten der USA.

© Tom Palumbo from New York, New York, NY, USA, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Ein Dichter für junge Menschen

Jack Kerouac teilt – trotz eines völlig anderen literarischen Stilwillens – seine grundlegenden Schwächen und Stärken mit Hermann Hesse. Beide sind Autoren des coming of age, der Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, und vermögen deshalb vor allem sehr junge Menschen zu packen und zu elektrisieren. Doch Jahre nach der begeisterten ersten Lektüre etwa von „Siddharta“ wirkt für viele Leserinnen und Leser manches doch ein wenig flach und rosarot, auch bei Jack Kerouac. 

Das habe ich selbst so erlebt: Als ich „The Dharma Bums“ vor acht Jahren das erste Mal las, war ich ergriffen und hingerissen. Der ganze Text atmete Freiheit und den Wunsch wie auch das Vermögen auszubrechen aus … ja, aus was eigentlich? Doch egal! Rausch, Sex, uralte Spiritualität, wilde Natur, intellektueller Schwung – das war doch da alles drin! Und dazu die so gekonnt vorgetragene Verachtung für die „Normalen“, die „Massemenschen“: 

Auf dem Campus wirkten Japhy und ich in unseren alten Klamotten wie bunte Hunde. Japhy wurde ohnehin für einen Exzentriker gehalten, wie es Collegeleuten eben ergeht, sobald mal ein richtiger Mann auftaucht – schließlich sind Colleges nichts als Schleifanstalten für die Mittelschicht mit ihrer nicht vorhandenen Identität, die ihren perfekten Ausdruck gewöhnlich in den Ausläufern dieser Collegestädtchen in Gestalt der Häuser von Besserverdienenden mit Rasen davor und einem Fernseher in jedem Wohnzimmer findet, wo alle sich das Gleiche anschauen und zur gleichen Zeit das Gleiche denken, während die Japhys dieser Welt sich in die Wildnis schlagen, um dort deren Stimmen heulen zu hören, die Ekstase der Sterne zu erleben und dem dunklen, rätselhaften Geheimnis der Entstehung dieser gesichts- und charakterlos verspießerten Gesellschaft nachzuspüren. 

 „All diese Menschen“, sagte Japhy, „haben weißgeflieste Klos und scheißen große, dreckige Haufen wie die Bären in den Bergen, und dann spülen sie ihren Kot in die praktische, regulierte Kanalisation, und niemand denkt mehr an die Haufen oder daran, dass sie selbst Scheiße, Dreck und Meeresschlamm entsprungen sind. Stattdessen verbringen sie den ganzen Tag damit, sich im Bad die Hände mit Cremeseife reinzuwaschen, die sie am liebsten heimlich fressen würden.“ 

Frauen als Randfiguren

Als ich das Buch kürzlich erneut zur Hand nahm, stachen mir ganz andere Aspekte ins Auge: die verkümmerten, auch mit Jack Kerouacs Sexualangst nur schwer zu erklärenden Frauencharaktere des Buches. Hier ist das Buch tief seiner hyperpatriarchalen Zeit verhaftet. Die wenigen Frauen, die darin überhaupt vorkommen, nehmen mit keinem Satz an den ausufernden Diskussionen der jungen Beat-Dichter teil, sondern springen wie Neal Cassadys Freundin hysterisch aus dem Fenster, sind alle in den wilden Japhy verknallt, rangeln miteinander um den Platz in seinem Bett oder backen bei den großen Partys mütterlich das Brot für die verrückt-genialische Männerhorde. 

Dass Ray Smith, Jack Kerouacs alter ego, bei diesen Partys stets darum bemüht ist, seine Enthaltsamkeit zu bewahren, und, um nicht von nacktem weiblichen Fleisch verführt zu werden, meist mit geschlossenen Augen herumsitzt, passt freilich gut zu den Pali-Kanon-Ratschlägen des Buddha an Ananada, Frauen besser nicht anzusehen, geschweige denn, mit ihnen zu sprechen … 

Es gehört ja zu den irritierenden Eurozentrismen des westlichen Buddhismus, die in frühbuddhistischen Texten angelegte Frauenfeindlichkeit entweder mittels scholastisch anmutender interpretativer Spitzfindigkeit („Im Therigata-Teil des Palikanons steht aber …“) oder geschichtsvergessener Esoterik („Der Buddha war erleuchtet, also kann er nicht frauenfeindlich gewesen sein“) widerlegen zu wollen, während gleichzeitig Theravada-Mönche in Südostasien Frauen nicht einmal aus Versehen berühren dürfen, so groß ist der Lehre nach deren verderbende Kraft. Dass Jack Kerouacs Frauenbild ganz auf einer Linie mit den patriarchalen vedischen Religionen der Entstehungszeit des Buddhadharma liegt, mag also gut zu diesem passen, macht aber die Lektüre heute stellenweise sehr unangenehm.  

Und dann der Alkohol! „The Dharma Bums“ – und das zeichnet den Roman dann doch als gelungene Literatur aus – erlaubt vielfältige Lektüren. Während er meinem jüngeren Ich als großer Freiheitsgesang erschien, stellte sich bei erneuter Lektüre vor allem das Gefühl ein, dem manchmal brillanten, manchmal sentimentalen Gestammel eines idealistischen, aber doch auch ziemlich verlaberten Trinkers zuzuhören, wie zum Beispiel hier am Ende eines der letzten Gespräche von Japhy und Ray: 

„Ich weiß einfach, dass bei alldem etwas Gutes rauskommen wird.“ 
„Bei was?“‘ 
„Keine Ahnung – dabei, wie wir mit dem Leben umgehen. Du und ich, wir sind nicht darauf aus, jemandem den Schädel einzuschlagen oder möglichst effektiv die Kehle durchzuschneiden, wir widmen uns dem Gebet für alle fühlenden Wesen, und wenn wir stark genug sind, werden wir damit auch Erfolg haben, wie die alten Heiligen. Wer weiß, vielleicht wacht die Welt eines Tages auf und entfaltet sich zu einer schönen Dharma-Blume.“ 

1954 schrieb Jack Keroauc in eines seiner Notizbücher, dass er bis zum Jahr 2000 die Erleuchtung erlangt haben wolle – ohne erkennbare Ironie. Sechs Jahre später veröffentlichte er zwar noch sein Gedicht „The Scripture of the Golden Eternitiy“, das von einem etwas banalisierten Konzept der shunyata, Leerheit, durchdrungen ist, sagte aber zugleich in einem Interview, dass er auf das Thema Buddhismus keinen Bock mehr habe. Auf dem Höhepunkt der Hippiebewegung erklärt er dann, er habe diese schon 1958 vorhergesehen („Ich habe die Vision einer große Rucksackrevolution. Tausende oder gar Millionen junger Amerikanerinnen und Amerikaner, die mit Rucksäcken durchs Land ziehen …“). Doch halte er davon gar nichts, unterstütze im Übrigen den Vietnamkrieg und wolle Ruhe, Ordnung und den althergebrachten Katholizismus. Ein Jahr später, 1968, war der „King of the Beats“ tot. 

Widersprüche neu lesen

Kurz nach Jack Kerouacs Tod kam es zu einer Begegnung zweier weiterer wichtiger Figuren des US-Buddhismus, die auch auf Kerouacs Dharma ein versöhnliches Licht wirft. Alan Watts Buch „The Way of Zen“ war ein Jahr vor „The Dharma Bums“ erschienen und brachte ähnlich viele neue Anhänger:innen des Buddhismus hervor. In den 1960er-Jahren reiste Alan Watts als brillanter Redner durch Europa und die USA und verbreitete seine Version von Zen, Daoismus und Advaita-Vedanta, die sich übrigens derzeit auf YouTube einer neuen Popularität erfreut. „Keine strukturierte Übung!“, hörte man von ihm. „Die westliche Gesellschaft ist auf dem Holzweg! Gedanken können falsch sein!“

Freundinnen und Freunde von Alan Watts luden den Poeten 1968 in das neugegründete Zen-Kloster Tassajara ein. Dort tauchte er ein wenig betrunken auf und unterhielt sich, der Überlieferung nach sichtlich nervös, mit dem Gründer des Klosters, dem japanischen Zen-Priester Shunryu Suzuki. Den Zuhörenden sprang der Unterschied zwischen dem disziplinierten und souveränen Mönch und dem betrunkenen, abgewirtschafteten Intellektuellen deutlich ins Auge. Als Alan Watts gegangen war, soll einer seiner Schüler entschuldigend zu Suzuki gesagt haben: „Wir dachten, er sei tiefgründig, bis wir hier im Kloster the real thing gefunden haben …“ Suzuki soll mit großer Intensität geantwortet haben: „Ihr versteht überhaupt nicht, um was es bei Alan Watts geht! Ihr solltet anerkennen, was er geleistet hat. Er ist vielleicht ein großer Bodhisattva …“

Vielleicht müssen wir über die Widersprüche Jack Kerouacs, der vor hundert Jahren geboren wurde, ähnlich nachdenken. 

Eines der schönsten Gebete

Abschließend sei daran erinnert, dass wir Jack Kerouac eines der schönsten buddhistischen Gebete überhaupt verdanken, das sich leider nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt:  

Ich setz mich hin und sage es auf, und ich bezieh alle meine Freunde, Verwandten und Feinde namentlich mit ein, ohne Zorn oder Dankbarkeit oder so, und ich sage: „Japhy Ryder, equally empty, equally to be loved, equally a coming Buddha“, dann weiter mit David O. Selznick, equally empty, equally to be loved, equally a coming Buddha, obwohl ich keine Namen wie David O. Selznick benutze, nur die von Leuten, die ich persönlich kenne, denn wenn ich die Worte „equally a coming Buddha“ sage, möchte ich mir ihre Augen vorstellen, nimm zum Beispiel mal Morley, seine blauen Augen hinter dieser seltsamen Brille, wenn du denkst „equally a coming Buddha“, denkst du an diese Augen und siehst plötzlich dahinter ganz real die versteckte Gelassenheit und Wahrheit seiner künftigen Buddha-Existenz.“

LITERATUR

David Sumerauer

geboren 1990, studierte Ethnologie, Geschichte und Germanistik in München und Mumbai. An einem Münchner Gymnasium leitet er Workshops zu Philosophie und Meditation. Seine Reportagen und Kurzgeschichten sind in studentischen Zeitungen und Anthologien erschienen.

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