Die Macht der Sprache
Der promovierte Pädagoge, Politikwissenschaftler und Psychologe Alfred Weil war viele Jahre Vorsitzender der Deutschen Buddhistischen Union und ist seit 2003 deren Ehrenrat. Er hat sich in der Redaktion der Lotusblätter engagiert, der Vorläuferin von BUDDHISMUS aktuell, und das DBU-Studienprogramm begleitet. Grund genug, ihn im Jubiläumsheft zu Gehör zu bringen – mit einem Auszug aus seinem jüngsten Buch „Reden – Hören – Schweigen“, einer vielschichtigen Betrachtung aus buddhistischer Perspektive.
Rechte Rede.
So bezeichnet der Buddha die angemessene Weise, mit Sprache umzugehen. Sprechen ist neben Denken und Handeln eines der drei Aktionsfelder des Menschen, auf die genau zu achten sich lohnt. Wie wir sprechen, hat entscheidenden Einfluss auf unser ganzes Leben und auf die Qualität unseres Erlebens. Es gilt der bekannte Satz: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Buddhistisch betrachtet, sollten wir dieses Sprichwort aber in einem sehr weiten Sinn verstehen, weil Sprache auch weitaus mehr umfasst als das Artikulieren sinnvoller Laute.
Reden – Hören – Schweigen.
Warum sollten wir uns mit dieser Thematik näher beschäftigen? Weil sie eine eminent praktische Bedeutung hat. Es geht nicht darum, aus Detailversessenheit letzte Feinheiten der buddhistischen Lehren aufzuspüren und Spezialwissen anzuhäufen. Es geht darum, auf einem wichtigen, aber leicht unterschätzten Aktionsfeld besser orientiert zu sein, um so besser agieren zu können. Rechte Rede spiegelt zudem die Gesamtheit der buddhistischen Lehre und Praxis. An jedem einzelnen Punkt des Dhamma lässt sich der ganze Dhamma aufzeigen. In den Lehrreden des Buddha fallen einige sprachliche Wendungen auf. Kurze wiederkehrende Ausdrücke, die dem Leser schnell so vertraut sind, dass er sie bald nicht weiter beachtet. Weil in ihnen aber eine wichtige Botschaft steckt, sollen sie als Einstieg dienen. Sie sind wie Wegzeichen und verweisen auf die Schwerpunkte der nächsten Kapitel.
Also sprach der Erhabene.
Diese Worte erinnern uns daran, dass vor rund 2 600 Jahren in Indien ein Mann lebte, der als Siddhattha Gotama geboren und als der Buddha, der Erwachte, weithin bekannt wurde. Den Erhabenen nannte man ihn ebenfalls, weil er über alles Menschliche, ja alles Weltliche hinausgewachsen war und sein Geist kaum nachvollziehbare Höhen erreicht hatte. Seine Freiheit war vollkommen, und die von ihm verkündete Wahrheit sollte sie auch anderen zugänglich machen. Sprache war ein entscheidendes Mittel dafür. Der Buddha fasste seine tiefgründigen Erfahrungen in Worte, selbst da, wo es um eigentlich Unsagbares ging. Und der Buddha war ein Meister der Sprache, der in ungezählten Reden und Dialogen sein Wissen vermittelte. Etwa 45 Jahre widmete er sich dieser Aufgabe mit aller Intensität und Genauigkeit und erreichte Tausende von Frauen und Männern.
So habe ich gehört.
Ananda, einer der engsten Vertrauten des Buddha und fünfundzwanzig Jahre sein Begleiter und seine „rechte Hand“, ist für diesen Satz bekannt. Er war es, der einen Großteil der Reden des Buddha als direkter Zeuge vernahm und sie wortgetreu in seinem phänomenalen Gedächtnis bewahrte. Gesprochenes muss gehört, muss festgehalten werden, wenn es Früchte tragen soll. Und das tat Ananda unermüdlich; er hatte sich von dem Buddha sogar ausbedungen, ihm jede Belehrung wörtlich zu wiederholen, bei der er nicht persönlich anwesend sein konnte. Keine einzige Silbe wollte er verpassen. Auf dem ersten Konzil, bald nach dem Tod des Erhabenen, waren 500 Heilige zusammengekommen, um gemeinsam festzulegen, was künftig als authentisches Buddhawort gelten sollte. Gerne brachten sie ihre Kenntnisse ein, aber es war Ananda, der den zentralen Teil zu dem „Korb der Lehrreden“ beisteuerte – eben das, was er über die Jahre hinweg so gehört hatte.
Zufrieden freuten sich die Mönche.
Die vielen Hundert längeren oder kürzeren mündlichen Unterweisungen des Erwachten waren nicht umsonst gesprochen. Sie entfalteten eine überaus positive und heilsame Wirkung. Meist schon unmittelbar als tief empfundene Freude über die gehörte Wahrheit, oft als Inspiration und willkommene Ermutigung für die Zukunft. Sie gaben Orientierung für den Alltag, waren konkrete Empfehlungen bei aktuellen Problemen oder ein unentbehrliches Korrektiv bei persönlichen Schwächen und Mängeln. Wie viele Zuhörer waren von den sich eröffnenden Perspektiven begeistert und richteten ihr ganzes Leben nach ihnen aus!
Damit sind drei Hauptbedingungen erfüllt, dass die buddhistischen Lehren noch heute zugänglich sind: das Verkünden, das Erinnern und das Tradieren ihrer Wahrheiten. Immer wieder in den vergangenen Jahrhunderten haben Menschen über den Dhamma gesprochen, ihn in sich aufgenommen und ihn weitergegeben.
Der Erhabene blickte über die still gewordene, lautlose Schar der Mönche hin.
Die Mönche haben sich versammelt, sie wollen mehr von der Weisheit des Erwachten erfahren und warten auf eine Unterweisung. Sie tun es aber ohne das weltlich-übliche Gerede, das so manche Stunde unserer Tage ausfüllt. Sie sitzen still und in sich gekehrt, als der Buddha seinen Blick über sie schweifen lässt. Dieser Moment zeigt uns eine beachtenswerte Eigenschaft dieser Gemeinschaft. In ihr spielen nicht nur Reden und Hören ihre unbestrittene Rolle, sondern auch das Schweigen. Einen fruchtbringenden Austausch zu pflegen ist das eine, das Bei-sich-Bleiben und Stillsein das andere. Gerade für die spirituelle Praxis hat es eine besondere Bedeutung.
BUDDHISMUS TRADITIONSÜBERGREIFEND WERTSCHÄTZEN UND FÖRDERN
Als traditionsübergreifende Zeitschrift weiß sich „BUDDHISMUS aktuell“ sowohl den buddhistischen Schulen mit ihrer teils viele Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte verpflichtet – wie auch jüngeren, westlich-buddhistischen Strömungen.
Die Deutsche Buddhistische Union (DBU) und ihre Zeitschrift „BUDDHISMUS aktuell“ sind einzigartige Projekte im deutschsprachigen Raum: traditionsübergreifend, nicht-kommerziell, allein vom Geist der gegenseitigen Wertschätzung und Großzügigkeit getragen.
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Vielen Dank!
Sprache im weitesten Sinn ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Existenz. Sie liefert nützliche Symbole, um Erfahrungen fassbar zu machen, sie verdeutlicht Zusammenhänge und zeichnet komplexe Weltbilder. Sie ist ein unentbehrliches Instrument des Geistes. Im Alltäglichen hilft sie, Wünsche und Anliegen zu erfüllen, wenn sie das Handeln planend und prüfend begleitet. Als Medium der zwischenmenschlichen Kommunikation verbindet sie die Menschen. Das schöpferische Potenzial der Sprache schafft alle psychischen Dränge und in deren Folge Wollen und Erleben. Damit ist sie letztlich der Ursprung der Ich- und Welt-Erscheinungen. Sie hat einen gewichtigen Anteil an Weltfortsetzung und Weltausbreitung. Sprachliche Aktivität kann aber genauso der archimedische Punkt sein, der die Welt aus den Angeln hebt. Ist das Geheimnis ihres verborgenen Wirkens erst einmal gelüftet, wird sie auf Dauer kein Unheil mehr stiften. War Sprache bis dahin Beförderer und Verewigung von dukkha (Leiden, die Red.), wird sie jetzt zum zentralen Mittel der Befreiung. Das ist der Grund, warum innerem und äußerem Sprechen eine zentrale Rolle auf dem Achtfachen Weg zukommt.
Rechte Anschauung und Rechte Geisteshaltung bedeuten Neuorientierung im Denken. Dieser innere Dialog zielt auf durchdringendes Wissen und höchste Motivation. Rechte Rede ist der heilsame Umgang mit der gesprochenen Sprache. Sie hebt das Niveau der zwischenmenschlichen Begegnung. Rechtes Mühen heißt, den inneren Redestrom zu mäßigen und in die richtigen Bahnen zu lenken. Nicht alles muss in jedem Detail betrachtet werden. Rechte Achtsamkeit als Stimme der Weisheit ist eine stete und verlässliche Erinnerung. Sie sagt, welche Aufgaben auf welche Weise zu erledigen sind. Rechte Sammlung schließlich ist die Herzensverfassung, in der Reden, Hören und Denken zur Ruhe kommen. Für diese Zeit gibt es für sie nichts mehr zu tun.
Freiheit von dukkha ist ohne das Zutun jedes Einzelnen nicht erreichbar, aber auch nicht ohne die Stimme eines anderen. Diese wegweisende Stimme, die fast ein halbes Jahrhundert auf dem indischen Kontinent direkt vernehmbar war, ist die des Erwachten.
Also sprach der Erhabene … So habe ich gehört. … Zufrieden freuten sich die Mönche.
Diese drei wiederkehrenden Wendungen in den Lehrreden sind ein Ausdruck dafür, dass die Vier Heilenden Wahrheiten in einer nicht allzu fernen historischen Epoche von Buddha Sakyamuni wiederentdeckt und gelehrt wurden. Sie wurden ernst genommen und über Jahrhunderte hinweg sorgsam überliefert. Bis in unsere Tage. Und sie entfalteten ihre ungemein segensreiche Wirkung. Nicht zuletzt hat der Erwachte die schöpferische Kraft der Sprache bis in ihre Tiefen ergründet und ihr auflösendes Potenzial erkannt. Die durch ihn übermittelte Botschaft an uns ließe sich sehr zugespitzt so auf den Punkt bringen: erst zuhören – dann aufhören!
Literaturhinweis
Alfred Weil: „Reden-Hören-Schweigen – Die Macht der Sprache“, Beyerlein & Steinschulte 2022. Der Auszug stammt vom Anfang und Ende des Buches, das im Hauptteil detailliert mit vielen Beispielen aus dem Alltagsleben und der buddhistischen Literatur auf die verschiedenen Aspekte des Redens, Hörens und Schweigens eingeht.
Alfred Weil
Alfred Weil, Dr. phil. Seit 1979 intensive Auseinandersetzung mit den Lehren des Buddha. 1993–2001 Vorsitzender, seit 2003 Ehrenrat der DBU; 1990–2002 Mitherausgeber und Redakteur der Lotusblätter. Vortrags- und Seminartätigkeit, Veröffentlichungen in Zeitschriften, Autor und Herausgeber mehrerer Bücher.