Die Identität eines europäischen Buddhismus gestalten
Für die Europäische Buddhistische Union (EBU) ist 2025 ein besonderes Jahr: Es markiert das 50-jährige Bestehen des Dachverbands. Das Jubiläum ist Anlass, über den aktuellen Stand des Buddhismus und die zukünftigen Perspektiven und Herausforderungen nachzudenken, betont EBU-Präsident Stefano Bettera. Für ihn lautet darum die zentrale Frage: Welche Form des Buddhismus können wir uns zukünftig vorstellen?
Ist es jetzt schon möglich, die Grundzüge dessen zu erkennen, was in den nächsten Jahrzehnten kommen könnte? Können wir bereits von einem westlichen Buddhismus sprechen, der in der Lage ist, sich mit den drängendsten Fragen der Gesellschaft auseinanderzusetzen und mögliche Erklärungsansätze für deren Komplexität zu liefern?
In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich der Buddhismus in Europa etabliert und ein facettenreiches und vielseitiges Erscheinungsbild entwickelt. Er umfasst verschiedene Zweige und Verflechtungen unterschiedlicher asiatischer buddhistischer Traditionen. Die einzigartige Fähigkeit des Buddhismus ist es, traditionelle Kategorisierung – sei es als Religion, Philosophie, Praxis oder Lebensstil – zu durchdringen. Er bietet Europa jedoch etwas noch Tiefgründigeres: eine Sensibilität, ein Verständnis und eine existenzielle Haltung, die ein breites Spektrum von Menschen anspricht. Dazu gehören nicht nur Praktizierende, sondern auch Intellektuelle, Forscherinnen und Forscher, Aktivist:innen und Sympathisierende. Ihre Weltsicht wurde von den buddhistischen Lehren tiefgreifend geprägt.
Europäische buddhistische Konferenz in Wien
Ausgehend von diesem komplexen Bild möchten wir uns eine Vorstellung davon machen, wie der europäische Buddhismus in fünfzig Jahren aussehen könnte. Aus diesem Grund wird die EBU einen Tag der Reflexion und des Dialogs mit dem Titel „Buddhismus 2075: Die Identität des europäischen Buddhismus gestalten“ organisieren. Die Konferenz findet am 25. April 2025 in Wien statt und geht unserer jährlichen Generalversammlung voraus, die wie jedes Jahr alle unsere Mitglieder aus ganz Europa zusammenbringt. Die Konferenz wird ein dynamisches Format haben, das Debatten gegenüber Monologen bevorzugt und die Interaktion zwischen Sprechenden und Zuhörenden anregt.
Diese Entdeckungsreise wird uns dabei helfen, die sich entwickelnde Identität des europäischen Buddhismus in einer Zeit tiefgreifender kultureller, technologischer, sozialer und politischer Veränderungen zu verstehen. Die erste und vielleicht zwingendste Frage, die wir stellen werden, lautet: Gibt es bereits eine eindeutig europäische (oder westliche) Form des Buddhismus? Erleben wir in Europa einen Prozess der kulturellen Verankerung, ähnlich der historischen Integration des Buddhismus in die lokalen Kulturen in Asien? Wie weit sind wir in diesem Prozess und was ist anders, wenn der kulturelle Hintergrund modern ist und im Säkularismus und wissenschaftlichen Denken wurzelt?
Diese Fragen führen uns natürlich dazu, die Beziehung zwischen Buddhismus und Wissenschaft zu erforschen, jenseits oberflächlicher Erklärungen. Dabei geht es nicht nur um eine akademische Debatte, sondern auch darum, wie diese Ideen das innere Leben der Praktizierenden prägen. Wie stark sollte der zeitgenössische Buddhismus mit seinen traditionellen Wurzeln verbunden bleiben? Und inwieweit sollten wir uns seine inhärente Fähigkeit zur Erneuerung zu eigen machen – seinen antidogmatischen, kritischen und nicht metaphysischen Geist?
Dies wirft auch Fragen zum ursprünglichen monastischen Auftrag des Buddhismus auf, der zwar zentral geblieben ist, aber historisch nicht seine einzige Ausdrucksform gewesen ist. Während das monastische Leben immer eine starke Komponente gewesen ist, hat sich der Buddhismus auch unter Laien und in verschiedenen kulturellen Kontexten entfaltet. Braucht der europäische Buddhismus noch Klöster, oder sollte er sich zu neuen Formen entwickeln, die den Bedürfnissen heutiger Praktizierender entsprechen?
Wie Stellung beziehen?
Wie sollte sich der Buddhismus darüber hinaus mit den drängenden sozialen Fragen auseinandersetzen, mit denen das demokratische Europa konfrontiert ist, wo zunehmend polarisierte Debatten liberale und konservative Weltanschauungen entzweien? Beispiele wie Geschlechtergleichstellung, Rassismus, soziale Teilhabe und Bioethik sind nur einige der vielen Themen, die den öffentlichen Diskurs heute beherrschen. Weitere kritische Bereiche sind Umweltethik, Meinungsfreiheit und die Herausforderungen der Migration. Dies sind komplexe Fragen mit erheblichen Auswirkungen auf die Politik und Fragen der Identität. Sollten europäische Buddhistinnen und Buddhisten zu diesen Themen Stellung beziehen, oder sollte sich der Buddhismus aus solchen Debatten heraushalten, um nicht Gefahr zu laufen, von Vorurteilen geprägt zu werden, wie sie in der heutigen Gesellschaft vorhanden sind?
Und schließlich die wichtigste und schwierigste Frage: Ist es möglich, Gemeinsamkeiten, ein gemeinsames Fundament für die verschiedenen Formen des Buddhismus zu finden, die in Europa Wurzeln geschlagen haben? Diese verschiedenen Formen koexistieren bereits in verschiedenen Städten und in landesweiten und länderübergreifenden buddhistischen Vereinigungen. Aber können sie nicht nur koexistieren, sondern auch ein tieferes Gefühl der Einheit und Zusammenarbeit innerhalb dieser gemeinsamen Räume fördern?
Dies lädt uns dazu ein, über das noch ungenutzte Potenzial für eine wirklich vereinte buddhistische Gemeinschaft nachzudenken. Vielleicht sollten wir genau hier ansetzen – um die Basis für eine spirituelle und ethische Perspektive zu legen, die in der Lage ist, zum Verlauf des neuen Jahrtausends beizutragen.
Übersetzung von Gabriela Frey.
Weitere Informationen
europeanbuddhistunion.org/save-the-date-join-us-in-vienna-for-2-special-ebu-events