Die Dosis macht das Gift

Ein Interview mit Prof. Dr. Niko Paech geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2015/4 Handeln, Nicht-Handeln unter der Rubrik Im Gespräch. (Leseprobe)

Niko Paech ist seit 2010 Gastprofessor für „Produktion und Umwelt“ an der Universität Oldenburg und Vorstandsmitglied der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ). Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Umweltökonomie und der Nachhaltigkeitsforschung. Er gilt als Weiterdenker und Wachstumskritiker und hat für seine Ideen zur „Postwachstumsökonomie“ unter anderem 2014 den ZEIT-WISSEN-Preis „Mut zur Nachhaltigkeit“ erhalten. Grund genug für Manfred Folkers, ihn für Buddhismus aktuell zu interviewen.

BA: In Ihrem 2012 erschienenen Buch Befreiung vom Überfluss sehen Sie eine „bevorstehende Überwindung“ der gegenwärtigen „fremdversorgten und wachstumsabhängigen Existenzform“ voraus, die entweder „by design“ oder „by desaster“ geschehen wird. Was gibt Ihnen die Sicherheit für diese Aussage?

Niko Paech: Werfen wir doch nur mal einen Blick auf die fünf wichtigsten Wachstumsgrenzen. Erstens scheitert Wachstum absehbar an historisch einmaligen Ressourcenengpässen, zweitens verbessert es nicht die Lage der Allerärmsten, denn um von wirtschaftlichem Wachstum profitieren zu können, muss man bereits einen bestimmten Zugang zum Industriesystem haben. Drittens sorgt Wachstum nach Erreichen eines bestimmten Wohlstandsniveaus für keine weiteren Glückszuwächse – das Gegenteil kann sogar eintreten. Viertens drohen weiterhin prägnante Finanzkrisen, während die letzten noch nicht bewältigt worden sind. Fünftens ist Wachstum trotz aller technischen Bemühungen nicht ohne Umweltzerstörung zu haben. Und ohne intakte Umwelt lässt sich schlecht produzieren und für Nahrung sorgen.

Wir brauchen eine Postwachstumsökonomie

BA: Als zentrale Ursache für die aktuellen Krisen identifizieren Sie die „Droge Wachstum“ und schlagen vor, eine „Postwachstumsökonomie“ zu entwickeln. Können Sie dieses Modell kurz erläutern?

NP: Benötigt würde eine reduktive Anpassung sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite. Auf der Nachfrageseite ist eine Dämpfung von Konsum- und Mobilitätsansprüchen unabdingbar. Ohne moderne Formen der Genügsamkeit, Entschleunigung und vor allem Sesshaftigkeit ist keines der gegenwärtigen Menschheitsprobleme mehr lösbar. Auf der Angebotsseite sind kleinräumige, graduell sogar deindustrialisierte Produktionssysteme nötig. Wenn die moderne, räumlich entgrenzte und technisch hochgerüstete Industrieversorgung um die Hälfte reduziert würde, könnte im langfristigen Durchschnitt nur noch eine 20-Stunden-Arbeitswoche aufrechterhalten werden, d. h. die Volkswirtschaft müsste mit der Hälfte der momentanen Güterproduktion und natürlich mit weniger Geldeinkommen auskommen. Dies gelingt, wenn die frei gewordene Zeit als Ressource verwendet wird, um durch drei autonome Aktivitäten im Sinne moderner Selbstversorgung einen Teil der industriellen Fremdversorgung zu ersetzen. Erstens: Manche Güter können wir teilweise selbst produzieren, z. B. Nahrung und Energie. Zweitens: Wenn sich Individuen Gebrauchsgüter mit anderen teilen, wird weniger Geld und Produktion für dasselbe Versorgungsniveau benötigt, denken wir an die gemeinsame Nutzung von Autos, Digitalkameras, Rasenmähern oder Waffeleisen. Drittens: Durch eine allmähliche Wiederaneignung handwerklicher Kompetenzen und den Aufbau sozialer Netze könnten wir die Dinge, mit denen wir uns umgeben, pflegen, reparieren und instand halten. Doppelte Lebensdauer von Produkten heißt halber Verbrauch. Insgesamt ergäbe sich auf dieser Grundlage eine duale Lebensform: Neben einer durchschnittlichen 20-stündigen geldbasierten Beschäftigung würden wir ergänzende Versorgungsleistungen selbst oder in so zialen Netzen erbringen. So gelingt es uns, eine halbierte Industrieproduktion durch Nutzungsdauerverlängerung, Gemeinschaftsnutzung oder eigene Produktionsleistungen so zu er gänzen, dass wir damit insgesamt auskommen und innerhalb notwendiger Grenzen verbleiben. Zwischen Industrie und Selbstversorgung bietet die Regionalökonomie ein drittes Versorgungssystem, das auf unternehmerischer Arbeitsteilung beruht, jedoch mit kürzeren Distanzen und einem geringeren Spezialisierungs- und Technisierungsgrad.

ENDE DER LESEPROBE

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Prof. Dr. Niko Paech

Niko Paech ist einer der bedeutendsten deutschen Wachstumskritiker – und er ist authentisch, denn er lebt seine Vision einer „entschleunigten und entrümpelten Welt“. Der Volkswirtschaftler ist seit 2010 Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac genießt er einen hohen Bekanntheitsgrund und findet bei einer breiten Öffentlichkeit Gehör.

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