Das Zauberwort heißt Gemeinschaft

Ein Interview mit Lisa Freund geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2016/3 Vom Leben und Sterben unter der Rubrik Im Gespräch. (Leseprobe)

Die Hospiz- und Palliativbewegung hat sehr zu einem veränderten Umgang mit Tod und Sterben beigetragen. Über die Chancen, aber auch Gefahren einer stärkeren Professionalisierung dieses Bereichs und über ihre Visionen eines anderen menschlichen Miteinanders sprach Ursula Richard mit Lisa Freund, einer Pionierin dieser Bewegung.

© bialasiewicz, 123rf.com

BUDDHISMUS aktuell: Du bist seit vielen Jahren im Bereich Sterbebegleitung, Hospiz- und Palliativarbeit tätig. Welche Entwicklungslinien kannst du da zeichnen?

Lisa Freund: Seit 1990 bin ich in der Hospizbewegung aktiv. Damals ging es um den Aufbau der Bewegung, die Gründung von Hospizvereinen. Die erste Palliativ-station wurde 1983 in Köln gegründet, das erste stationäre Hospiz 1986 in Aachen. Die Auseinandersetzung mit dem Tod als Tabu war damals noch sehr wichtig. Als Hospizhelferin und Vereinsgründerin galt ich An-fang der 90er-Jahre als Außenseiterin. Mir wurde öfter mit mitleidigem Blick von Bekannten geraten, meine freie Zeit nicht mit Sterbenskranken zu vergeuden. Die Bewegung war von Pioniergeist geprägt. Die meisten arbeiteten wie ich ehrenamtlich mit großer Motivation daran, den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod auf allen Ebenen positiv zu verändern. Die Vereine lebten von Spenden, boten ihre Dienste an, kämpften mit knappen Mitteln für ihre Ziele und galten als exotisch. Die Koordination der Bewegung geschah in Arbeitsgemeinschaften und Regionalverbänden. 1992 gründete sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, aus der der DHPV (Deutscher Hospiz-und Palliativverband) hervorging, heute eine einflussreiche und anerkannte Interessensvertretung, die einiges durchgesetzt hat. Als die Finanzierung besser wurde, nahmen dann ab 1990 die stationären und ambulanten Hospize zu.

Es gibt mittlerweile von den Krankenkassen finanzierte Koordinatorenstellen für ambulante Hospize, eine gesicherte Finanzierung für stationäre Einrichtungen und einen schrittweisen Ausbau der speziellen ambulanten palliativmedizinischen Versorgung (SAPV) mit Palliativmedizinern und qualifizierten Pflegekräften, die eine Begleitung zu Hause und bis zuletzt er-möglichen.

BA: In welchem Verhältnis stehen die Professionalisierung und ethische Werte in der Betreuung Sterbenskranker heute zueinander?

LF: Das Thema Sterben und Tod ist kein Randthema mehr. Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine Professionalisierung hat stattgefunden. Der Einfluss der Ehrenamtlichen geht zurück, damit schwindet aber auch vielfach die Herzbetonung dieser Arbeit. Der Fokus liegt mehr auf der Sach- und Fachkompetenz, der Verwissenschaftlichung. Es gibt inzwischen gut bezahlte, begehrte Jobs im Umgang mit dem Tod, wofür die Ehrenamtlichen in der Hospizbewegung übrigens immer gekämpft haben.

Die Professionalisierung hat zur Ausarbeitung ethischer Richtlinien im Umgang mit Sterbenskranken weltweit geführt. Diese sollen Pflegenden, Betreuern und Medizinern helfen, eine humanistische Grund-haltung zu entwickeln und zu leben. Denn wenn die ethische Grundeinstellung nicht mehr primär aus dem Herzen kommt, sondern eine berufliche Anforderung darstellt, muss sie anders etabliert werden.

Es ist ja die innere Einstellung zu den Sterbens-kranken, die den Kontakt zu ihnen prägt und damit auch die betreuende Einrichtung. Suche ich nach dem Schatz in jedem Menschen, egal, wen ich vor mir habe, dann habe ich Respekt vor dem Kranken, bin neugierig auf diese besondere Person, sehe sie ganzheitlich, spüre die Fülle ihres Lebens, nicht nur ihr Leiden. Damit würdige ich die Einzigartigkeit der Persönlichkeit vor mir und erfreue mich an diesem Wunder. So entsteht eine Begegnung auf Augenhöhe, die empathische und mitfühlende Begleitung ermöglicht. Ich kann den Kranken aber auch als einen Menschen sehen, der palliativmedizinisch gut versorgt werden muss – ohne mich für ihn als Person zu interessieren – und die mit-fühlende Begleitung der Familie, den Ehrenamtlichen, den Seelsorgern überlassen.

Wie die Begegnung mit den Sterbenden verläuft, bestimmt letztlich jeder Betreuen-de selbst. Handelt er aus einer inneren Haltung von Respekt, Empathie, Mitgefühl he-raus, wird die Betreuung zur menschlichen Begegnung, auch wenn Zeitdruck herrscht. Alle sind dann zufriedener, der Kranke, die Betreuerin, die Einrichtung strahlt Geborgenheit aus.

Mit der palliativen Begleitung wird inzwischen viel Geld verdient. Manche stationären Hospize, Einrichtungen, die Sterbenskranke betreuen, wirtschaften profitorientiert, sind nicht gemeinnützig. Es besteht die Gefahr, dass die Schatzsuche im alltäglichen Getriebe perfektionierter Arbeitsteilung und zeitsparender Ablaufplanung in den Hintergrund tritt. Damit geht bei einigen „Profis“ ein Verlust an innerem Engagement für die Anliegen Sterbender einher, wenn zum Beispiel der Beruf zur ungeliebten Gewohnheit wird oder nur dazu dient, den Lebensunterhalt zu verdienen.

ENDE DER LESEPROBE

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Lisa Freund

Lisa Freund, geb. 1951, ist seit 1990 Buddhistin und engagiert sich seit 1989 aktiv in der Hospizbewegung, unter anderem als ehrenamtliche Sterbebegleiterin, Supervisorin, Lehrerin, Referentin, Seminarleiterin und Autorin mehrerer Bücher. Sie bringt östliche Weisheit und westliches Wissen im Umgang mit Sterben und Tod zusammen. 2016 gründete sie das Internetmagazin Elysium.digital zusammen mit Michael Ziegert zum Thema „Leben, Sterben, Tod und Werden“: www.elysium.digital.

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