Buddhismus im Wandel
Sarvam anityam – nichts ist beständig, auch der Buddhismus nicht. Michael von Brück formuliert sieben Aspekte, die zu beachten sind, wenn der buddhistische Weg wirkungsvoll bleiben soll.
Der Buddhismus war von Anfang an dramatischen Entwicklungen und Veränderungen ausgesetzt. Schon im Pali-Kanon zeigen sich Widersprüche und es entstanden Schulen aufgrund unterschiedlicher Interessen. Die Geschichte der frühen Schulen des Buddhismus ist eine Auseinandersetzung mit der Einwurzelung des Dharma in unterschiedliche Kontexte.
Die Entwicklungen hin zum Mahayana und später zum Vajrayana haben die buddhistische Vielfalt verstärkt und die buddhistische Identität auch vor Zerreißproben gestellt. Besonders die Einführung des Buddhismus in China war in mancherlei Hinsicht eine so gravierende Neugestaltung, dass man auch von einer „Neugründung“ gesprochen hat. Tibet und Japan folgten.
Als der Buddhismus ab dem 19. Jahrhundert nach Amerika und Europa kam, hatte er es wiederum mit völlig neuen Kulturen und Religionen zu tun, in die er sich hineinübersetzen musste. Dieser Prozess dauert an. Es geht aber nicht nur um sprachliche und semantische oder rituelle Übersetzungen, sondern auch um soziale. Weil westliche Gesellschaften, wie alle Kulturen in der Welt auch, im Umbruch sind, können die wechselvollen Prozesse nur beobachtet und beschrieben, ihr Ergebnis aber noch nicht vorausgesagt werden.
Diese Wandlungen sind dem Buddhismus im Wesen keineswegs fremd. Einer der Grundsätze des Dharma lautet sarvam anityam, nichts ist beständig. Auch der Buddhismus nicht. Gerade wenn der Dharma wirkungsvoll sein und die Menschen zu einer heilsamen (kaushalya) Bewusstseins- und Lebenshaltung anleiten will, muss er den veränderten psychosozialen Dynamiken entsprechend formuliert und praktiziert werden.
Folgende Merkmale sind dabei von fundamentaler Bedeutung:
1. Selbstbestimmung in demokratischen Funktionsverhältnissen. Die Meister und Lehrer können in demokratischen Gesellschaften nicht unumschränkte Autorität beanspruchen, ihre Bedeutung ist eher funktional. Der Sangha kontrolliert das jeweilige Zentrum; Meinungen werden in Kommunikationsprozessen gefunden und Meinungsverschiedenheiten auch auf diese Weise gelöst. Der Lehrer ist zwar eine bleibende Identifikationsfigur (vor allem, wenn er charismatische Qualitäten hat), er darf aber nicht zum Heiligen stilisiert werden und bedarf der Kontrolle durch die Gemeinschaft.
2. Das stärkt die Rolle des Sangha. Die Gemeinschaft ist Trägerin der Praxis, Gemeinschaft zunächst verstanden als Gemeinschaft der Übenden, dann auch als Gemeinschaft derer, die im erweiterten Ring des sozialen Umfeldes von der Praxis betroffen sind. Letztlich ist das Wohlergehen der Stadt, des Landes, der ökosphärischen Mitwelt im Bewusstsein (und, soweit möglich, in der sozialen Praxis) anzusprechen.
3. Das bedeutet, dass die Individualisierung ein Problem ist. Nicht die Autonomie des Individuums, sondern die wechselseitige Abhängigkeit aller Lebewesen steht im Zentrum der buddhistischen Erfahrung und Praxis. Wenn buddhistische Praxis mit egozentrischen Einstellungen, die womöglich gar ökonomisch motiviert sind, verknüpft ist, muss der Dharma dem in seiner überlieferten Gestalt entgegengestellt werden. Buddhistische Meditation ist nicht ein Mittel zur Selbstoptimierung in psychosozialen Kämpfen, sondern eins zur Erkenntnis der Wirklichkeit und Überwindung von Illusionen und den leidverursachenden Kognitionen und Emotionen (Ignoranz, Gier, Hass).
4. Frauen verändern die Welt, auch die Religionen, auch den Buddhismus. Alle Religionen haben sich in patriarchalen Kontexten entwickelt; der Buddhismus ist in seinen historischen Prägungen sehr stark davon beeinflusst. Dieser Zustand verändert sich im Westen. Frauen praktizieren völlig gleichwertig und übernehmen Führungspositionen. Das verändert den Stil und die Atmosphäre buddhistischer Gruppen und Zentren. Solche Entwicklungen sind experimentell. Sie bedürfen der gemeinschaftlichen Überprüfung an den wesentlichen Merkmalen des Dharma. Schöpferische Freiheit in der Gestaltung und selbstkritische Prüfung entsprechend den genannten Kriterien müssen Hand in Hand gehen.
5. Während es in buddhistischen Traditionen dualistische und den Leib abwertende Überlieferungen gibt, wird der Buddhismus im Westen meist ganzheitlich interpretiert. Der Leib und seine Pflege spielen eine große Rolle auf dem Weg zum Erwachen. Solche Aspekte sind in vielen buddhistischen Traditionen lebendig, und sie sind es, die heute besondere Aufmerksamkeit verdienen.
6. Der Buddhismus im Westen etabliert sich in weitgehend säkularisierten Gesellschaften. Die Säkularisierungsprozesse der letzten 200 Jahre sind komplex, und die genaue Situation unterscheidet sich von Land zu Land. Solche soziopolitischen Gegebenheiten sind zu berücksichtigen, wenn der Buddhismus die Gesellschaften, in denen er lebt, positiv gestalten will. Insbesondere werden in Asien entstandene „Konfessionalisierungen“ und Abgrenzungen gegenüber anderen Gruppen oft auch im Westen mit Inbrunst gepflegt. Das ist nicht selten mit Prestige-Interessen der Lehrer (und Schüler), gelegentlich auch mit wirtschaftlichen Interessen verbunden. Solche Tendenzen können sich verheerend auswirken, man muss sie durchschauen und in geeigneter Weise kommunizieren, um sie zu überwinden. Geduld und Humor sind (auch buddhistische) Tugenden, die der eifrigen Pflege bedürfen!
7. Die moderne Welt wird angetrieben von Wissenschaft und Technologie. Beides kann heilsam oder unheilsam gebraucht werden. Buddhisten müssen diese Bedingungen genau analysieren und sich entsprechend positionieren. Manche buddhistischen Annahmen zu Raum und Zeit, Wiedergeburt und Körperlichkeit, sozialen Hierarchien und der Würde jedes einzelnen Menschen müssen neu austariert und wissenschaftskompatibel interpretiert werden.
Prof. Dr. Michael von Brück
Michael von Brück, geboren 1949, ist evangelischer Pfarrer und emeritierter Professor für Religionswissenschaft in München. Er lebte viele Jahre in Indien, ist seit 1985 Zen- und Yoga-Lehrer und arbeitet mit dem Dalai Lama zusammen. ahlreiche Verö!entlichungen, darunter die Standardwerke „Zen: Geschichte und Praxis“ und „Einführung in den Buddhismus“.