Buddhismus im Ausverkauf?

Ein Beitrag von Dr. Ursula Baatz veröffentlicht in der Ausgabe 2018/4 Wohin? unter der Rubrik Wohin?.

In ihrem Beitrag untersucht Ursula Baatz aktuelle Transformationsprozesse im westlichen Buddhismus und stellt kritische Fragen vor allem an die Verwissenschaftlichung der Meditation. Denn das Interesse der Forschung ist auf Faktoren gerichtet, die als allgemein nützlich anerkannt werden – Entspannung, Kontaktfähigkeit, Gefühlsregulation. Doch was ist mit den Erfahrungen, die einmalig sind und unwiederholbar?

Neuro-Forschung und Buddhismus – eine schwierige Allianz | Foto: Wikimedia Commons

Der Buddhismus kam um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Europa und Nordamerika in einer Zeit, als sich diese Länder in der ersten Hochphase der Industrialisierung befanden. Bis in die 1960er-Jahre blieb das Interesse an ihm jedoch auf eine kleine Schicht der intellektuellen und künstlerischen Avantgarde beschränkt, die häufig der Industrialisierung kritisch gegenüberstand. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1960er-Jahren, begannen sich mehr Menschen für die Buddhalehre zu interessieren.

Um diese Zeit fand eine durchgängige Industrialisierung der Landwirtschaft statt, und es verschwanden viele traditionelle Lebenswelten und Strukturen, die mit deren alten Formen verbunden gewesen waren. Der Wechsel lässt sich in Zahlen ausdrücken: Um 1900 arbeiteten in Europa 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, heute sind es nur zwei bis drei. Auch verlangte die Industrialisierung nach gut ausgebildetem Personal, was vor allem bei Frauen einen deutlichen Anstieg des Bildungsniveaus bewirkte. Nicht zuletzt als Folge dieser Entwicklungen begannen sich ab Ende der 1960er-Jahre die überkommenen weltanschaulichen und religiösen Strukturen aufzulösen.

Verschwundene Lebenswelt – Heufuhr im Engadin um 1900 | Foto: Wikimedia Commons

„Ganzheitlich“ sollte der Buddhismus sein 

Der Buddhismus schien in dieser Situation die Erfordernisse einer zeitgemäßen Religion oder besser Spiritualität zu erfüllen. Was D. T. Suzuki 1957 über den Zen-Buddhismus schrieb, gilt für die Erwartungen an „den Buddhismus“ im Allgemeinen: „Der Zen-Buddhismus hilft dem Menschen, auf die Frage seiner Existenz eine Antwort zu finden, die im Wesentlichen gleich ist wie die der jüdischchristlichen Tradition und die dennoch keinen Widerspruch zur Rationalität, zum Realismus und zur Unabhängigkeit bildet, den kostbaren Errungenschaften des modernen Menschen.“ (1) Angesichts der Technisierung und Kommerzialisierung des „Westens“ erwartete man sich viel von der neuen Lehre aus dem „Osten“, die nicht rationalistisch, sondern „ganzheitlich“ sei. Der materialistische Westen solle am spirituellen Osten wieder genesen, war die Hypothese vieler auch gesellschaftskritisch orientierter Leute in den Siebzigern und Achtzigern, die sich der Buddhalehre zuwandten.

Rund sechzig Jahre später hat sich der Buddhismus in Europa und Amerika – übrigens in Südwie Nordamerika – institutionalisiert. Es gibt buddhistische Gemeinschaften in allen größeren Städten, buddhistische Zentren, buddhistische Verlage, buddhistische Dachorganisationen, aber auch „westliche“ buddhistische Mönche, Äbte, Roshis, Lamas, Rinpoches und so weiter. Zwar ist der Buddhismus immer noch ein Projekt der Mittel- und Oberschicht, doch es ist heute nicht mehr besonders avantgardistisch, nach Büroschluss zu einem Meditationsabend zu gehen oder im Urlaub an einem längeren Retreat teilzunehmen.

D. T. Suzuki brachte die Kunde vom Zen schon früh in den Westen | Foto: Shigeru Tamura, Wikimedia Commons

„Scientific Buddha“?

Rund sechzig Jahre später hat sich der Buddhismus in Europa und Amerika – übrigens in Südwie Nordamerika – institutionalisiert. Es gibt buddhistische Gemeinschaften in allen größeren Städten, buddhistische Zentren, buddhistische Verlage, buddhistische Dachorganisationen, aber auch „westliche“ buddhistische Mönche, Äbte, Roshis, Lamas, Rinpoches und so weiter. Zwar ist der Buddhismus immer noch ein Projekt der Mittel- und Oberschicht, doch es ist heute nicht mehr besonders avantgardistisch, nach Büroschluss zu einem Meditationsabend zu gehen oder im Urlaub an einem längeren Retreat teilzunehmen.

Damit der Buddhismus respektabel und breitenwirksam werden konnte, war es wichtig, die Wirksamkeit von Meditationspraktiken wissenschaftlich zu beweisen. Erst durch die Neuro-Forschung hat Meditation den Geruch des Esoterischen, Abgedrehten und Bedenklichen verloren. Viel dazu beigetragen hat die Arbeit von Jon Kabat Zinn, der das Wort Achtsamkeit populär machte; und natürlich die Forschungen im Umfeld des „Mind & Life“-Instituts, das 1991 von dem Neurowissenschaftler, Mitbegründer des Konstruktivismus und Schüler von Chögyam Trungpa, Francisco Varela, unter den Auspizien des Dalai Lama gegründet wurde.

Möglich wurde diese Verwissenschaftlichung der Meditationspraxis durch die Fiktion des „Scientific Buddha“ (der Ausdruck stammt von Donald S. Lopez). Der Buddhismus, der in den Westen kam und kommt, ist der Buddhismus der Eliten, der Mönche (und manchmal Nonnen), der ab circa 1880 eine massive Modernisierung durchlief, wobei die Paradigmen für diese Verwissenschaftlichung Anleihen bei westlicher Religionskritik nahmen. Diese Modernisierung, die in Sri Lanka und Japan begann, richtete sich gegen den westlichen Imperialismus und die Kolonialherrschaft. Erst dadurch konnten die „Westler“ Geschmack an der Buddhalehre finden, weil sie ihnen als „modern“ und mit der Naturwissenschaft kompatibel, aufgeklärt und humanistisch vorgesetzt wurde.

Wieviel versteht die Wissenschaft vom Menschen? | Foto: Samuel Zeller auf unsplash

Rattenschwanz ungewollter Nebenwirkungen

Doch leider kommt mit der Verwissenschaftlichung buddhistischer Meditationspraxis ein Rattenschwanz ungewollter Nebenwirkungen. Damit etwas intersubjektiv verifizierbar und wiederholbar ist – das sind wesentliche Bedingungen für solide wissenschaftliche Daten –, muss es messbar gemacht werden. Was kann man an Meditation messen? Die persönliche Entwicklung und die oft lebenswendenden Erfahrungen in der Meditation lassen sich nicht messen – die sind einmalig und unwiederholbar. Gehirnfunktionen jedoch lassen sich messen. Doch das ist in etwa so, als wollte man den Ausdruck eines Gehirnscans während eines liebevollen Kusses als Bestätigung dafür verwenden, dass dieser Kuss ein Zeichen der Liebe war. Man weiß vermutlich aus eigener Erfahrung, dass es mit der Liebe meist nicht weit her ist, wenn in einer Beziehung materielle Bestätigungen der Zuneigung verlangt werden.

Zudem ist das Interesse der Forschung auf Faktoren gerichtet, die als allgemein nützlich anerkannt werden – Entspannung zum Beispiel, Kreativität, soziale Kontaktfähigkeit, Gefühlsregulation und so weiter. Diese – und nur diese – werden messbar gemacht. Am Ende wird nur gemessen, was an der buddhistischen Meditation nützlich für die neoliberale Industriegesellschaft ist.

Neuroplastizität bedeutet, einfach gesagt, dass sich das menschliche Gehirn so entwickelt, wie es benutzt wird. Dass sich Achtsamkeit und Mitgefühl trainieren lassen, ist ja nichts Schlechtes. Da es sich in einer Ellbogen-und-Ego-Gesellschaft zudem recht ungemütlich lebt, kommt das Training von Mitgefühl als Abhilfe gelegen – das heißt, Meditationspraktiken werden einem Nutzenkalkül unterworfen.

Kuss oder Gehirnscan als Zeichen der Liebe? | Foto: Zelle Duda auf unsplash

Es geht weder um Wohlverhalten noch um effiziente Wahrnehmung

Für die buddhistische Praxis ist Mitgefühl als Teil von ethisch angemessenem Verhalten eine unabdingbare Voraussetzung. Das Gleiche gilt für die Achtsamkeit. Doch der Weg des Erwachens ist damit erst am Anfang. Weder geht es um Wohlverhalten noch um achtsame und effiziente Wahrnehmung. Es geht um das Ende der Konditionierungen und um den Eintritt in einen Bereich, der sich dem denkenden Begreifen, aber nicht dem Erfahren entzieht.

Wie es im Pali-Kanon heißt: „Es gibt, ihr Mönche, ein Gebiet, wo weder Erde ist noch Wasser, noch Feuer, noch Wind, weder das Raumunendlichkeitsgebiet noch das Bewusstseinsunendlichkeitsgebiet, noch das Nichtsheitgebiet, noch das Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet, weder diese Welt noch jene Welt, weder Sonne noch Mond: Das, ihr Mönche, nenne ich weder Kommen noch Gehen, noch Stillstehen. Ohne Grundlage, ohne Fortsetzung, ohne Stütze ist es: Dies eben ist das Ende des Leidens.“ (Udana VIII, 1–3).

Buddhistische Praktiken zu propagieren und dabei auf deren Nutzwert zu schielen ist eine Form von spirituellem Materialismus oder vielleicht überhaupt nur materialistisch. Wer Achtsamkeit und Mitgefühl ohne die Dimension des Undenkbaren als reine Technik vermittelt, verramscht den Dharma.

Fußnote

  1. Daisetz Teitaro Suzuki, Erich Fromm, Richard de Martino: Zen und Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1972, S. 105

Dr. Ursula Baatz

Ursula Baatz ist prom. Philosophin, Wissenschafts- und Religionsjournalistin sowie Mitherausgeberin der poly – log-Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren. Sie ist langjährige Zen-Praktizierende und Autorin u. a. von „Erleuchtung trifft Auferstehung. Zen-Buddhismus und Christentum. Eine Orientierung“.

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