Buddhas Weisungen für eine gewandte Sprache

Ein Beitrag von Shifu Shuman übersetzt von Shifu Simplicity veröffentlicht in der Ausgabe 2023/1 Sprechen unter der Rubrik Schwerpunkt Sprechen.

Worte, Sprache, Schrift sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Leider ist das oft verbunden mit leeren Debatten, Schmeicheleien und Täuschungen. Die Chan-Nonne Shifu Shuman über das Sprechen auf dem Weg zur Befreiung.

Mögen alle Wesen, die Nahrung spenden und empfangen, mit Gesundheit, Kraft, einem langen Leben, Frieden und Redegewandtheit gesegnet sein.

Dieses Gebet wird im chinesischen Buddhismus gewöhnlich vor einer Mahlzeit rezitiert. Seine fünf Segnungen finden sich auch im Mahaparinirvana-Sutra wieder. Die ersten vier – Gesundheit, Kraft, ein langes Leben und Frieden – sind im täglichen Leben von großer Bedeutung. Aber wie steht es um die Bedeutung der buddhistischen Redegewandtheit?

Sprechen im Bodhisattva-Geist

Die buddhistische Lehre unterscheidet vier Arten der Redegewandtheit:

  1. Buddhas Lehren gegenüber offen und hindernisfrei sein
  2. Die tiefe Bedeutung und Wahrheit des Dharma erkennen
  3. Sich sprachlich gezielt und wortgewandt ausdrücken können
  4. Die Lehren Buddhas frei und ungehindert zum Wohle aller Wesen zum Ausdruck bringen

Streng genommen zielt buddhistische Redegewandtheit hauptsächlich darauf ab, den Weg des Dharma zu meistern und Erleuchtung und Befreiung zu erlangen. Trotzdem ist sie in einem weiteren Sinne auch im täglichen Leben ein notwendiger und hilfreicher Wegbegleiter für die unterschiedlichsten Situationen. Besonders wichtig ist dabei die vierte Fähigkeit, denn durch sie zeigt sich der Bodhisattva-Geist, anderen Wesen zu helfen.

Sprache und ihre Verwendung ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Mit ihr drücken wir unsere Gedanken und Gefühle anderen Familienmitgliedern gegenüber aus, unterhalten uns mit Freunden und handeln Dinge mit Kolleginnen aus. Wir besprechen verschiedenste Angelegenheiten mit Bekannten, schreiben Nachrichten per App, stellen unseren Standpunkt in Diskussionen dar, äußern unsere Meinungen in sozialen Netzwerken und halten in der Öffentlichkeit Reden. 

Es ist jedoch wichtig, Sprache angemessen zu verwenden, denn sie hat sowohl positive wie auch negative Eigenschaften, je nachdem, welche Person auf welche Weise und mit welchen Beweggründen zur Sprache greift oder Sprache hört. Wörter sind nichts weiter als Symbole, und es ist unser Geist, der darüber entscheidet, welche Bedeutungen wir aus gesprochenen oder geschriebenen Worten heraushören oder -lesen. Wie eine Malerin oder wie ein Architekt erschafft unser Geist Bilder und Konstrukte der Welt. Darum beeinflussen unsere Gedanken unsere Lebensqualität – von ihnen hängt ab, ob wir glücklich oder unglücklich sind.

Den Geist wirksam bändigen

Häufig springen unsere Gedanken hektisch und unkontrolliert hin und her. Deshalb brauchen wir Hilfsmittel, um unseren Geist besser zu bändigen. Eines der 84.000 Dharmatore, an die Buddha, bevor er ins Nirvana überging, die Mönche und Nonnen erinnerte, ist das Einhalten der ethischen Richtlinien (silas); denn sich nach den Gelübden und Regeln zu richten führt letztendlich zur Befreiung von allen Formen des Leidens. 

Zwar leben wir – nach dem Konzept der drei Zeitalter, das im chinesischen Buddhismus eine wichtige Rolle spielt, – aktuell im Endzeitalter des Dharma. Doch auch in dieser Zeit weilt Buddha durch seine zahlreichen Lehren immer noch unter uns und begleitet uns auf unserem Weg. Die Silas sind dabei Wegweiser zu einem tugendhaften Leben. Indem wir uns nach den buddhistischen Grundsätzen richten, kultivieren wir unseren Geist im Einklang mit dem Dharma. Besonders für die sangha, die Gemeinschaft der Ordinierten, sind die Silas ein guter Lehrer und Wegbegleiter.

Klarheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit

In dem „Sutra der letzten Lehrrede des Buddha“ beschäftigen sich besonders zwei Weisungen mit der Verwendung von Sprache. Obwohl viele Sutren damals an Ordinierte gerichtet waren, können auch Nichtordinierte viel aus ihnen lernen. 

Weisung 1: Schmeicheleien und Täuschung vermeiden

Buddha weist seine Schülerinnen und Schüler an, stets Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu praktizieren. Im Sutra heißt es:

Ein Geist der Schmeicheleien und der Täuschung widerspricht dem buddhistischen Weg. Deshalb solltet ihr eine ehrliche und aufrichtige Geisteshaltung kultivieren. Denn Schmeicheleien und Täuschungen sind nichts weiter als Irreführungen. Diese Eigenschaften finden sich in keinem Geist wieder, welcher den buddhistischen Weg beschreitet. Aus diesem Grund solltet ihr alle auf unheilsame Regungen in eurem Geist achten und sie bereinigen. Eine ehrliche und aufrichtige Geisteshaltung soll dabei die Grundlage für euren Geist bilden.

Das Dharma ist ein Weg, der auf Klarheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit gründet. Negative Geisteshaltungen wie Korruptheit, Schmeicheleien, Boshaftigkeit und Täuschung sind mit dem wahren Dharma nicht vereinbar. Unser Geist ist die Grundlage all unseres Handelns und er ist auch verantwortlich für das geschaffene Karma. Nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung führen die Wege eines reinen und die eines unmoralischen Geistes in entgegengesetzte Richtungen, und wer den ehrwürdigen buddhistischen Weg beschreitet, muss den eigenen Geist vor Unheil bewahren.

Verlockungen achtsam begegnen

In einer Welt voller sinnlicher Reize ist es jedoch nicht einfach, den zahlreichen Verlockungen achtsam zu begegnen. An unserem Arbeitsplatz zum Beispiel besteht die Verlockung, sich beim Chef einzuschmeicheln, um daraus Vorteile zu ziehen. Oder wir sehen Fotos von Freundinnen und Freunden in sozialen Medien und könnten versucht sein, sie als „wunderschön“ oder „beeindruckend“ zu kommentieren, obwohl wir in Wirklichkeit gar nicht dieser Meinung sind. Unsere Aufrichtigkeit weicht dann schnell der Täuschung und dem Schein, was uns aber nur selten selbst auffällt. Wenn wir uns unter Bekannten befinden, unterliegen wir unbewusst der Verlockung, die Anerkennung anderer für uns zu gewinnen, um damit unser Selbstwertgefühl zu steigern. Dabei vergessen wir die wahre Bedeutung von gegenseitigem Respekt und – nicht zu vergessen – wahrer Selbstwertschätzung.

Buddha führt im Sutra der letzten Lehrrede weiter aus: 

All jene ohne Begierde machen auch keinen Gebrauch von Schmeicheleien oder täuschendem Verhalten, um das Wohlwollen anderer zu erlangen. … Alle, die ihren eigenen Geist kultivieren und somit Begierde reduzieren, erreichen einen ruhigen und friedlichen Geisteszustand frei von Angst und Besorgnis.

Wenn wir wenig Verlangen in uns tragen und nicht nach dem Wohlwollen unserer Mitmenschen gieren, ist unser Geist ruhig und friedlich. In diesem Zustand sind wir uns darüber im Klaren, was rechte Handlungen sind und was nicht, und es gibt in unserem Herzen keinen Platz für Schmeicheleien und die Gier nach Bewunderung. Täuschung und Schein haben in unserem Leben keinen Platz mehr, wir sind mit unserem ursprünglichen Bodhi-Geist, dem Geist der Erleuchtung, im Einklang und zeigen Mitgefühl und liebende Güte für das Wohl aller Wesen.

Andere nicht beschämen

Im Mahaparinirvana-Sutra lehrt Buddha, dass ein Bodhisattva eine aufrichtige und gütige Geisteshaltung gegenüber allen Wesen in sich trägt. Wenn ein Bodhisattva Fehlhandlungen anderer Wesen beobachtet, kommentiert er sie nicht, sondern hüllt sich in urteilsfreies Schweigen. Es ist für noch nicht erleuchtete Wesen schließlich nicht leicht, eigene Fehler einzugestehen. Um zu verhindern, dass sich die Betroffenen schämen und dadurch weiteres Leid erzeugen, behandelt ein Bodhisattva sie mit Güte und Mitgefühl. Beobachtet er auf der anderen Seite Wesen bei heilsamen Handlungen, lobt er sie aufrichtig und ermutigt sie, sodass sie ihre Buddhanatur weiter realisieren und an ihrem Bodhi-Geist auf dem Weg zur Erleuchtung arbeiten können.

Um ein heilsames und erfülltes Leben zu führen, sollten wir wie ein Bodhisattva handeln, denken und sprechen. Von Begierde geleitete Handlungen und Äußerungen führen nicht zum Ziel. 

Weisung 2: Leeres Geschwätz vermeiden

Buddha warnte seine Schülerinnen und Schüler auch vor leerem Geschwätz: 

Wer sich jeglicher Art von bedeutungslosem Geschwätz hingibt, zerstreut den eigenen Geist. Auch wenn ihr das weltliche Leben hinter euch gelassen habt, werdet ihr auf diese Weise keine Befreiung erlangen. Aus diesem Grund solltet ihr, Bhikshus, schnellstmöglich zerstreute Gedankenmuster und leeres Geschwätz ablegen. Wer nach dem Glück und der Ruhe des Nirvanas strebt, muss sich auch von allen leeren Gesprächsformen befreien.

Zum leeren Geschwätz gehören viele Arten des Sprechens, die uns auf unserem Weg zur vollkommenen Befreiung behindern. Wenn ordinierte Buddhistinnen und Buddhisten miteinander sprechen, sollte das Gesprächsthema mit dem Dharma zu tun haben. Gespräche über weltliche Ereignisse sind zu vermeiden. Laien können sich nach dem Grundsatz richten, dass alle Gesprächsformen leer sind, sobald sie die friedliche Ruhe des Geistes stören. Darunter fallen unter anderem:

  1. Zwietracht sähen, fluchen, falsche Behauptungen, verbaler Missbrauch, Beleidigungen und Kraftausdrücke
  2. Belangloses Gerede, Geschwätz, Klatsch und Tratsch, schmutzige Witze
  3. Intellektuelle Sprach- und Wortspiele sowie ausschweifende Argumentationen

Keine große Sache?

In der digitalisierten Welt sind die sozialen Medien voll von leerem Geschwätz. Dort tendieren wir dazu, absichtlich oder unabsichtlich „alles rauszulassen“, was sich in uns angestaut hat. Am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Familie passiert es gelegentlich, dass wir andere auslachen, was sogar zu Streitigkeiten führen kann. Am Esstisch plaudern wir über die aktuellen Nachrichten, neue Trends in sozialen Medien, tratschen über das Privatleben von Prominenten oder sogar das unserer Freundinnen und Freunde. Oft denken wir, das sei keine große Sache, doch mit alldem lenken wir unseren Geist ab und vergiften ihn sogar.

Wie können wir leere Gespräche am besten vermeiden? Eine Freundin kennt ein wirksames Gegengift: Wann immer sie hört, dass ihre Kolleginnen und Kollegen zu tratschen anfangen, schnappt sie sich sofort ein Sutra und rezitiert es konzentriert. Auf diese Weise wird sie von den anderen in Ruhe gelassen und nicht hineingezogen. Ihre Strategie ist in der Tat sehr klug und hat eine ähnliche Wirkung wie zu schweigen. Um schlechtes Karma zu vermeiden, reicht schlichtes Schweigen bereits aus. Interessant ist auch, dass sie durch ihre Technik nicht unhöflich wirkt, sondern gegenseitigen Respekt kultiviert. Ihre Ohren und ihre Zunge werden nicht von schädlicher Sprache verunreinigt. Ihr Geist bleibt im Reinen.

Sinnlose Debatten

Wahre Ruhe entsteht aus dem Inneren und nicht aus äußeren Umständen. Schweigen in Verbindung mit wahrer Weisheit fördert die Kultivierung unseres Geistes und führt uns zur vollständigen Befreiung und Erleuchtung. Jegliche Debatten und Diskussionen über das Dharma, alle philosophische Erörterungen sind sinn- und zwecklos, weil sie lediglich mit Sprache spielen. Sie führen nicht zur Verwirklichung des Dharmas, ganz im Gegenteil: Sie können dazu führen, dass wir unser Wissen und Verständnis von Buddhas Lehren überschätzen und uns im Stolz verlieren. Aus diesem Grund ist es ratsam, intellektuelle Wort- und Sprachspiele, auch wenn sie nicht boshaft oder ganz bedeutungslos sind, zu unterlassen. Die buddhistische Praxis hat nichts damit zu tun, Wissen anzusammeln, Inhalte zu diskutieren oder sich in akademischen Auseinandersetzungen zu verlieren. Sie ist auch nicht für die öffentliche Selbstdarstellung in Debatten gedacht. Vielmehr sollten wir unser Bestes geben, um das Dharma zu verstehen und es zur Praxis unseres täglichen Lebens zu machen. 

Das Leben ist kurz. Wenn wir uns der Vergänglichkeit aller Dinge bewusst sind, fällt es uns sehr schwer, unsere wertvolle Zeit mit leeren Formen des Sprechens zu verschwenden. Sobald wir ein tiefes Verständnis des Dharma und tiefgründige Erfahrungen damit haben, können wir es mit anderen teilen und ihnen vermitteln – klar, überzeugend, mit Freude und Bescheidenheit. Wir übernehmen die Verantwortung für die Worte, die wir schreiben und sprechen, behandeln andere aufrichtig und ehrlich, unsere freundlichen Worte sind ernst gemeint und wir sprechen stets die Wahrheit. Andere Wesen zu täuschen liegt uns fern, denn wir erkennen und respektieren ihre Buddhanatur.

Shifu Shuman

ist 1995 im Chan-Kloster Chung Tai in Taiwan ordiniert worden und hat bis 2020 in ihrer Sangha praktiziert, wo sie für die Ausbildung von Nonnen zuständig war. Sie war Äbtissin verschiedener Meditationszentren, hat in Chicago in Religionswissenschaft promoviert und ist Dozentin bei der Buddha Education Foundation in Taipeh.

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