Editorial der Ausgabe 2020/2

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2020/2 Diversity unter der Rubrik Editorial.

Diversity, Vielfalt, ist das Thema der neuen Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell. Einfache Wahrheiten sind nicht zu finden; die Welt, auch die buddhistische, ist komplex und „Wahrheit tritt im Plural auf“, schreibt Susanne Billig in ihrem Editorial. „Der Grund auf dem wir sicher zu stehen hofften, erweist sich als brüchig, wenn wir ihn nicht jenseits von Kommen und Gehen finden können. Was die einen als lebendigen Wandel wertschätzen, empfinden andere zunehmend als unbequeme, ja, sogar unerträgliche Botschaft.“ Neben dem Schwerpunkt finden Sie wieder Artikel zu aktuellen Themen, Neuigkeiten aus der buddhistischen Welt und eine wunderschöne Bilderreise nach Nepal – ins Land der Götter und Geister. Ausschließlich online können Sie diesmal gleich zwei Artikel lesen: eine Übersicht zum Thema „Buddhistische Sexualethik“ und eine Reflexion über den Beitrag des Buddhismus zu einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen Kultur.

Liebe Leserinnen und Leser,

wie vielfältig die buddhistische Welt ist, zeigt diese Zeitschrift seit Jahrzehnten: eine Vielfalt der Überlieferungen, der buddhistischen Schriften, der Wege zur Ordination, der Klöster, der Gemeinschaften, der buddhistischen Interpretationen, der Nähe und Ferne zum weltlichen Leben, der Lehrerinnen und Lehrer, der östlichen und der westlichen buddhistischen Wege. 

Vielfalt stellt immer auch eine Herausforderung dar, denn sie zeigt: Eindeutigkeiten sind schwer zu finden in unserer Welt. Wahrheit tritt im Plural auf. Unterschiedliche Traditionen setzen unterschiedliche Schwerpunkte und widersprechen sich mitunter. Der Grund, auf dem wir sicher zu stehen hoffen, erweist sich als brüchig, wenn wir ihn nicht jenseits von Kommen und Gehen finden können. Was die einen als lebendigen Wandel wertschätzen, empfinden andere zunehmend als unbequeme, ja, sogar unerträgliche Botschaft. Angst und Verunsicherung speisen die rückwärtsgewandte Sehnsucht, „wieder“ in homogenen Kulturen und Nationen zusammenzuleben, ohne dem Fremden, Anderen, Unbekannten ausgesetzt zu sein. 

Eine gute Zeit, Vielfalt zum Schwerpunkt der neuen Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell zu machen. Dabei verwenden wir bewusst den Begriff „Diversity“, der aus dem angloamerikanischen Sprachraum als Lehnwort auch hierher gewandert ist und an weltweite Reflexionen, soziale Bewegungen und wissenschaftliche Forschungen anschließt. 

„Im Land der Götter und Geister“ heißt unsere Bilderstrecke über Nepal, hinreißend fotografiert von Christoph Mohr – auf dem Dach der Welt ist religiöse Vielfalt eine lebendige Selbstverständlichkeit. In China konnten Männer- und Frauenpaare jahrhundertelang heiraten, weiß der Arzt und buddhistische Philosoph Michael Vermeulen und beschreibt, wie pragmatisch und nicht verurteilend der Buddhismus mit sexuellen Minderheiten umging, zum großen Unverständnis christlicher Missionare. Das „Netzwerk Lesben und Buddhismus“ hat in Deutschland über viele Jahre hinweg und fernab der großen Dachverbände Retreats und Treffen organisiert. Wir interviewen Gründerinnen und Aktivistinnen. Mit 15 Jahren erlitt die Gymnasiallehrerin und Zen-Praktizierende Imke Herder bei einem Badeunfall eine Querschnittlähmung. Wir sprechen mit ihr über ihre mutige Lebensphilosophie: „Anderssein ist keine Option.“ 

Bettina Hilpert beantwortet in der Geschäftsstelle der Deutschen Buddhistischen Union täglich viele Fragen – nach buddhistischen Hochzeitszeremonien, Wohngemeinschaften oder Begräbnisritualen. Sie hat eine Hilfe zur „Orientierung in der Vielfalt der buddhistischen Möglichkeiten“ geschrieben. Ordinierte Nonnen und Mönche leben in Deutschland höchst unterschiedlich, denn es gibt auch eine „Vielfalt in Roben“, zeigt der Artikel von Tenzin Metok. In Myanmar scheitert das religiöse Miteinander von Buddhismus und Islam derzeit auf dramatische Weise. Die Religionswissenschaftlerin Madlen Krüger forscht vor Ort und gibt uns ein Interview zu den Hintergründen. Die Nonne Shifu Simplicity schließlich erklärt in ihrem Beitrag: „Um Vielfalt geht es nicht“ – denn jenseits der Phänomene der Welt liegt die grundlegende Einheit, zu der es zu erwachen gilt. 

Auch außerhalb des Schwerpunktes setzt sich die Perspektivenvielfalt fort: unter anderem mit einem Plädoyer für ein engagiertes „Mitgefühl in Aktion“, einem Porträt des vietnamesischen Dharmameisters Thich Nhu Dien und mehreren ausführlichen Buchvorstellungen. Weitere Rezensionen spannender Bücher, dazu Nachrichten aus der buddhistischen Welt und einen Nachruf – auf den großen Indologen und Buddhologen Hans Wolfgang Schumann – lesen Sie im Magazinteil der Zeitschrift. 

Wir vom Redaktionsteam wünschen Ihnen eine bereichernde Lektüre, 

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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