Aus der Angst wird lebendige Energie geboren

Ein Interview mit Barbara Salaam Wegmüller geführt von Ursula Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2016/2 Hoffnung und Furcht unter der Rubrik Im Gespräch.

BARBARA SALAAM WEGMÜLLER IST FÜNFACHE MUTTER UND DREIFACHE GROSSMUTTER. AUSSERDEM IST SIE SEIT VIELEN JAHREN IM ZEN-PEACEMAKER-ORDEN ENGAGIERT UND MITTLERWEILE ALS ZEN-MEISTERIN AUTORISIERT. ÜBER DIE FREUDEN UND HERAUSFORDERUNGEN EINES SOLCHEN LEBENS ERZÄHLT SIE IM GESPRÄCH MIT URSULA RICHARD

Barbara Salaam Wegmüller und Bernie Glassman bei einem Treffen der White Plum Sangha in Greystone, New York, 2014, © Harry Aalderin

Buddhismus aktuell: Du hast im letzten Jahr „Inka“, die Ermächtigung als Zen-Meisterin, von deinem Lehrer Roshi Bernie Glassman erhalten. Seit Jahren bist du sehr aktiv im Zen-Peacemaker-Orden. Bitte erzähl ein wenig über deine Entwicklung dorthin.

Barbara Salaam Wegmüller: Ja, Ende des letzten Jahres erhielt ich von Roshi Bernie Glassman Inka. Die Dharma- übertragung und Lehrerlaubnis erhielt ich im Jahr 2011. Vorher war ich über zehn Jahre lang an der Entwicklung und im Aufbau der Zen-Peacemaker- Kreise alsZen-Peacemaker-Steward in einer horizontal-dienenden Funktion tätig. Die Menschen haben dies zwar geschätzt, aber wirklich ernst genommen haben sie doch eher die Lehrerinnen und Lehrer mit Ermächtigungstiteln.

Gerade diejenigen Praktizierenden, die sich lautstark gegen Hierarchien aussprechen, sind oft diejenigen, die dann am ehesten von Roben und Titeln angezogen sind. Dies ist interessant zu sehen, finde ich.

Auch als Zen-Meisterin in der Linie von Bernie Glassman schlägt mein Herz immer noch sehr für kleine Gruppen von Zen-Praktizierenden, die zusammen studieren, soziale Projekte durchführen und mit dem Mandala der Fünf Energi- en auf Augenhöhe zusammen üben. Diese Form finde ich so wunderbar, weil sie sehr sozial ist. Es braucht kein Geld, um Zentren oder Lehrer zu unterstüt- zen, und ohne die Anwesenheit einer Lehrerin werden die Leute selbstverantwortlich. Sicher ist es gut, auf dem Weg die Unterstützung eines Lehrers zu haben und Fragen zu stellen, aber es braucht auch andere Strukturen.

BA: Wie ist es, wenn du in deine Kind- heit zurückschaust? Gab es da schon Ansätze einer spirituellen Neugier? 

BSW: Auf jeden Fall. Ich bin ineiner Familie aufgewachsen, in der eine ethische Ausrichtung und soziales Engagement gelebt und thematisiert wurde, und tatsächlich war ich schon früh an Spiritualität interessiert. In habe in meinerKindheit viel Zeit in der Natur und in unserem Garten verbracht. Ich saß stundenlang auf der Schaukel und schaute in den Himmel, in späteren Jahren praktizierte ich die Himmels- schau mit meiner tibetisch-buddhistischen Lehrerin Lama Tsültrim Allione und fühlte mich sofort sehr vertraut mit dieser Meditationspraxis.

Mein Vater hatte etwas von einem Zen-Lehrer. Er hat meine Mutter, meine Schwester und mich sportlich gefordert und meine Willensbildung gefördert. Damals hatten meine Eltern 16 Jahre lang eine Sennhütte auf einer Alp im Berner Oberland gemietet, immer während der Wintermonate. Dort gab es keine Elektrizität, der Brunnen war eingefroren und um Wasser zu haben, wurde Schnee im Kochtopf geschmolzen. Nachts gab es keine künstliche Lichteinwirkung, nur einen riesigen Sternenhimmel über einer stil- len, weißen Landschaft. Die Erfahrungen in meiner Kindheit in der Bergwelt haben mich tief mit etwasNährendem, in dem ich mich aufgehoben fühlte, verbunden. Das hat mich immer angezogen. Der Aufstieg zur Hütte dauerte vier Stunden. Ich erinnere mich, wie ich als Vierjährige auf Skiern den Spuren im Schnee folgte, die meine Eltern vor mir in den frischen Schnee zogen. Der Weg war steil und führte durch einen Tannenwald in die Höhe. Auf beiden Seiten waren hohe Schneewälle, alles war weiß und sehr, sehr still. Bei jedem Schritt, den ich machte, waren nur das Knirschen der Skier und meine eigenen Atemzüge zu hören. Manchmal wurde die Entfernung zu meinen Eltern sehr groß, dann fühlte ich mich allein auf demWeg. Wenn ich jammerte, ich sei müde und wolle nicht mehr weitergehen, sagte mein Vater:

„Wenn du redest, wirst du noch müder, dann bleibst du stehen – und wenn du stehen bleibst, erfrierst du.“ Diese Erfahrung war eine sehr wichtige Belehrung für mich, eine wunderbare Vorübung zur Zen-Praxis. Im Japanischen ist das Schriftzeichen für das Wort „Praxis“ dasselbe Schriftzeichen wie für „Gehen“. Im übertragenen Sinn bedeutet es „nicht stehen bleiben“ und „immer weiter gehen“. Dank meinem Vater habe ich diese Botschaft früh begriffen.

Straßenretreat in New York, 2011

BA: Und später im Leben hast du ähnliche Belehrungen erhalten?

BSW: Durch glückliche Umstände habe ich in meinem Leben wunderbare Lehrerinnen und Lehrer getroffen, die meine Sehnsucht nach klaremGewahrsein und Ausrichtung wahrgenommen haben. Ich bin unendlich dankbar für all die Unterstützung, die mir zuteil wurde. Als Mutter von fünf, mittlerweile erwachsenen Kindern war das Familienleben mein wichtigstes Übungsfeld. In der Partnerschaft mit meinem Mann und im täglichen Leben mit vier Söhnen und einer Tochter hatte ich sehr viele Möglichkeiten, Achtsamkeit zu üben und mir täglich neu meine Ausrichtung bewusst zu machen. Kinder und Jugendliche sind wunderbare Lehrer, weil sie ganz und gar ehrlich sind. Da gibt es keine Möglichkeit, sich selbst etwas vorzumachen, nichts bleibt verborgen, gerade Jugendliche sind oft schonungslos mit ihren Eltern. Wenn ich mich aufgeregt habe und ärgerlich war, sagten mir meine Teenagerjungs provokativ: „Geh, Peacemakerin, und setzt dich auf dein Kissen zum Meditieren!“ Ich glaube, die Übung in der Familie ist dem nahen Zusammenleben im Kloster sehr ähnlich. Vielleicht ist es sogar eine noch größere Herausforderung, weil man von Kindern noch viel mehr infrage gestellt wird.

BA: Und man erlebt sich als Teil einer Gemeinschaft.

BSW: Ganz genau. Das Familienleben zeigt uns, wie sehr wir Teil eines Ganzen sind – ein lebendiger Organismus der gegenseitigen Abhängigkeit. Als mein Mann Roland und ich 1989 anfingen, täglich zu meditieren, waren unsere Zwillinge, unser viertes und fünftes Kind eben erst geboren. Wir meditierten oft an den Betten der Kinder, während sie einschliefen. Für mich war die Praxisdamals eine Frage des Überlebens, weil ich das Gefühl hatte, in der Großfamilie unterzugehen. Meine Mutter hat uns glücklicherweise sehrgroßzügig unterstützt. Weil sie unsere Kinder regelmäßig hütete, konnten mein Mann und ich wöchentlich einen Abend in einer Sufi-Gruppe bei Annette Kaiser meditieren und Traumarbeit machen. In den folgenden Jahren begleiteten mich die tägliche Meditation, Mantra-Rezitationund die Achtsamkeitsübungen von Thich Nhat Hanh.

BA: Wie erinnerst du deine Begegnung mit Roshi Bernie Glassman? 

BSW: Als ich Roshi Bernie Glassman bei meinem ersten Retreat in Auschwitz 1999 begegnete, erkannte ich ihn sofort als meinen Herzenslehrer, von dem ich lernen wollte. Nach langer Zeit introvertierter Praxis fühlte ich auch, dass die Zeit reif war, mich sozial zu engagieren. Bernies Vision, spirituell engagierte Menschen in allen Lebens- bereichen tätig zu sehen, hat mich überzeugt, und ich teile sie voll und ganz. Roshi Bernie lud meinen Mann und mich in eine Gruppe ein, die mit ihm über drei Jahre am Zen-Peacemaker-Orden Europa arbeitete. Unsere Gruppe traf sich im Haus von Roshi Genno Pagès in Paris, und Bernie, der ein unglaublich kreativer Lehrer ist, flog alle sechs oder acht Wochen nach Paris zu unseren Treffen. Wir waren neun Personen aus sechseuropäischen Ländern, die unter Bernies Leitung zu- sammenarbeiteten. Die Aufgaben, die Bernie uns auftrug, machten uns viel Spaß, und das Studium der Werkzeuge des Zen-Peacemaker-Ordens kreierte unter uns ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl. Heute sind diese Freunde alle Zen-Lehrer und Zen-Meister. Aus den Erfahrungen, die unsere Gruppe während dieser Zeit gemacht hat, entstanden die Vision und das Konzept der Zen-Peacemaker-Kreise. Bernie, so will Roshi Glassman genannt werden, sah darin das Potenzial der Gruppenerleuchtung, ähnlich dem, was Thich Nhat Hanh überdie erleuchtete Sangha sagt. Er wiederholte immer wieder, dass Buddha Shakyamuni vor Gruppen gelehrt und sich nicht mit einzelnen Schülern zum Zweiergespräch zurückgezogen habe. Mein Mann und ich reisten viel mit unseren Lehrern Bernie und Eve. In Japan waren wir in vielen Klöstern als Gäste eingeladen. In Indien tauschten wir uns mit den Dalits, den sogenannten Unberührbaren, aus. Diese Reisen schufen eine Vertrautheit und tiefe Freundschaft zwischen uns.

BA: Bernie Glassman und die Zen Peacemakers sind ja sehr aktiv im Außen und haben eine besondere Form des engagierten Buddhismus geprägt, die unter anderem in den sogenannten Zeugnisablegen-Retreats auf der Straße, in Auschwitz, in Ruanda, in den USA mit „Native Americans“ ausdrückt. Was macht für dich den Kern dieser Praxis des „Zeugnisablegens“ aus?

BSW: Die Zeugnisablegen-Retreats nennen wir auch „plunges“, also Eintauchen ins Wasser. So wie man einen Sprung ins Wasser zwar beschreiben kann, aber erst weiß, wie sich das anfühlt, wenn man es selbst erlebt hat und untertaucht, nass wird und Wasser in die Nase und die Augen bekommt. Auch der zweite und dritte Sprung wird uns immer eine ganz neue Erfahrung bringen, da wir ja keine Erfahrung wiederholen können. Der erste Grundsatz der Zen Peacemakers heißt ja „Nicht-Wissen“: Wir geben unsere fixen Ideen über uns selbst und das Universum auf und kultivieren einen konzeptfreien Geist. Jeder Augenblick im Universum ist einzigartig und alle Dinge sind mit allem verbunden.

Wir erkennen dies leider meistens nicht, sondern drehen uns in unseren alten, gewohnten Geschichten und glauben, was wir uns selbst darüber erzählen. Die Zeugnisablegen-Retreats sind so gestaltet, dass wir die Möglichkeit haben, neue, unerwartete Erfahrungen zu machen und unsere Geschichten in einem viel größeren Zusammenhang zu sehen.

BA: Dadurch wird es möglich, die festen Konzepte aufzulösen?

BSW: Oder wenigstens etwas zu erweitern! Wir können hundert Bücher über das Vernichtungslager Auschwitz, die uns berühren und die Geschichte des Ortes nahebringen, gelesen haben. Doch eine Woche lang auf dem Platz zu meditieren und den Stimmen von Teil-nehmenden aus zwanzig Nationen und verschiedenen Religionen zuzuhören, das ist eine ganz andere Erfahrung. Ich habe dort dann zum Beispiel eine Frau vor mir, deren Großvater Hitler nahestand. Ich höre, was sie erlebt, wenn sie diesen Familiennamen heute erwähnt. Ich sehe Not und Scham in ihrem bleichen Gesicht, wenn sie um sich schaut und in die Gesichter der Teilnehmenden blickt, unter denen Nachfahren von Menschen sind, die in Auschwitz gelitten haben. Gleichzeitig sind da die Wachtürme als Zeugen der Vergangenheit, der Wind, der die letzten goldenen Blätter von den Birken fegt, und das Reh, das hinter den Birken verschwindet. Dieser Moment ist einzigartig – es ist die Erfahrung, die ich in diesem Moment in Auschwitz mache und auf die mich ein Buch nicht vorbereiten kann.

BA: Wie waren deine Erfahrungen auf dem „Native Retreat“ in den USA?

BSW: Das Native Retreat in South Dakota fand im letzten Sommer zum ersten Mal statt. Ich hatte schon vieles über den Genozid an der Urbevölkerung Amerikas gelesen, doch es war etwas ganz anderes, den Geschichten der Lakota aus dem Stamm der Oglala persönlich zuzuhören. Das Morgenritual, durch das die Lakota uns führten, erfüllte mich mit großer Dankbarkeit – für die Menschen, die mit mir im Kreis standen, und für die wunderschöne Natur, die dortnoch immer vorhanden ist. Allerdings hörten wir dann Geschich- ten von sehr verzweifelten Frauen, die erzählten, dass die Erde und das Wasser in Pine Ridge vom Uranabbau verseucht sind. Die Menschen im Reservat leiden an Krankheiten und sterben an Krebs. Die Urbevölkerung in den USA wurde seit dem millionenfachen Genozid immer wieder betrogen, darum ist das Misstrauen den Weißen gegenüber tief im Kollektiv verankert. Das Retreat war ein zaghafter Anfang, und für uns Weiße galt es zuzuhören.

BA: „Geh an die Orte, die du fürchtest.“ Dieser bekannte Satz der tibetisch-buddhistischen Lehrerin Pema Chödron passt sehr gut zu diesen Aktivitäten der Zen Peacemakers. Was lässt sich an diesen Orten erfahren?

BSW: Eine der wichtigsten spirituellen Übungen ist es, nicht zu flüchten vor dem, was ist. Da wir uns gerne schönen und genussvollen Dingen zuwenden und nicht unangenehmen Situationen, braucht es Mut, während vieler Stunden auf einem Kissen zu sitzen und uns unserem Geist und seinen Ablenkungsmanövern zuzuwenden, inklusive den Schmerzen in unserem Körper. Nicht zu flüchten ist eine traditionelle Übung im Buddhismus. Bei der Chöd-Praxis des Vajrayana-Buddhismus wird auf den Leichenverbrennungsplätzen meditiert und es werden Rituale vollzogen. Wir wenden uns unserem unvermeid- lichen Leiden zu, unserer Vergänglichkeit, Alter, Krankheit und Tod sowie den Menschen und Themen, die am Rande der Gesellschaft sind. Sobald wir nicht mehr durch Widerstand und Angst blockiert sind, entstehen Raum und Transformation, und die Energie, die dadurch in Fluss kommt, steht uns zum Handeln zur Verfügung.

In Ruanda saß ich einmal frühmorgens draußen und trank meinen Kaffee. Der Mann, der neben mir saß, auch er mit seiner Tasse Kaffee inder Hand, hatte uns am Tag zuvor erzählt, wie er vor zwanzig Jahren von Haus zu Haus gegangen war, um mit seiner Machete seine Tutsi-Nachbarn zu töten. Er hatte uns mit großen, dunklen Augen angeschaut und uns gebeten, ihm zu verzeihen, weil er sonst nicht in den Himmel komme. Von einigen überlebenden Frauen hörten wir in Kreisgesprächen, sie hätten den Mördern ihrer Kinder und Ehemänner aus eben diesem Grund verziehen. Ich sah überall in Augen voll tiefer Trauer und Angst. Auf den Genozid folgte die Angst, nicht in den Himmel zu kommen!

Zeugnisablegen-Retreat in Auschwitz, 2008

BA: Wir haben sicherlich die Tendenz, solche Orte, an denen Schrecken und Leiden geschehen sind, zu meiden.

BSW: Wir meinen, diese Orte beträfen uns nicht, und wir wissen nicht, wie wir mit den Gefühlen der Angst und des Unbehagens umgehen sollen. Auschwitz, Palästina, Ruanda, Bosni- en, Syrien, Kongo, Tibet – ich könnte die Liste verlängern – sind Orte, an denen die Geschichte uns zeigt, wie wir „die Anderen“ behandeln. Wie wir Menschen mit „den Anderen“ umgehen, denen wir die Projektionen der eigenen Schatten zuordnen, und wie wir der Illusion erlegen sind, diese Schatten loswerden zu können. In den Retreats an diesen Orten wird viel geweint und auch gelacht; Geschichten, die seit vielen Jahren darauf gewartet haben, ausgesprochen zu werden, werden endlich erzählt. Aus der Angst wird lebendige Energie geboren, die dann oft im tätigen Mitgefühl für andere zum Tragen kommt. Sangha, Freunde auf dem Weg, sind dabei eine unglaubliche Unterstützung. Ich hätte niemals die Idee und den Mut gehabt, alleine nach Auschwitz oder Ruanda zu gehen oder alleine auf der Straße zu übernachten, und bin sehr dankbar, dass mich erfahrene Lehrer liebevoll begleitet haben. Nun gehöre ich selbst zu denen, die den Raum halten und ermöglichen. „Council“, die Übung des Hörens mit dem Herzen und des Sprechens aus dem Herzen, gehört zu einer unserer wichtigsten spirituellen Übungen neben der Praxis des Zazen. Wenn ich ein Council anleite, sage ich oft den Leitsatz: „Dies ist ein sicherer Ort, unsichere Sachen zu sagen.“ In diesem Sinne ist der Türwächter dabei die Verbundenheit mit uns selbst und mit der Welt um uns, die wir mit der Praxis der Meditation vertieft kultivieren.

BA: Hoffnung beinhaltet immer auch den Wunsch, dass etwas anders und besser sein möge, als es ist. Insofern scheint Hoffnung der buddhistischen Vorstellung zuwidersprechen, wir sollten die Dinge annehmen, wie sie sind. Siehst du Hoffnung als eine Flucht vor der Wirklichkeit, oder ist da letztlich vielleicht gar kein Widerspruch?

BSW: Im Zen gibt es kein Ziel und keine fixen Wahrheiten, es geht darum, Erfahrungen zu machen, mit sich selbst, und dadurch Konzepte und Ideen als solche zu erkennen und loszulassen. Die Sicht wird größer und die Wirklichkeit zeigt sich klarer. Im besten Fall werden wir mitfühlender, daraus entsteht der Wunsch, Leiden zu beenden und die passende Handlung. Wir tun dann einfach das Beste, was wir können, immer wieder neu, da sich das Leben ja vor uns verändert und fortwährend entfaltet. Ich glaube an die Evolution und möchte deren Wirkung manchmal schneller verwirklicht sehen. Im Buddhismus rechnen wir aber mit sehr großen Zeiträumen,  Kalpas genannt – unvorstellbar großen Zeiträumen von mehreren Milliarden Weltenzyklen. Daran erinnere ich mich immer wieder selbst, wenn meine Ungeduld zu heftig wird. Tatsächlich erlebe ich im Kontakt mit Menschen weltweit so viel Gutes, Schönes und wunderbar Kreatives, dass ich immer wieder sehe, dass das Gute überwiegt. Im Zen-Peacemaker-Orden habe ich Kontakt mit vielen Menschen jeden Alters, die voller Optimismus sind und ernsthaft praktizieren. Die junge Generation überrascht mich oft mit ihren intelligenten, kreativen Ideen zur Praxis und zu sozialem Engagement. Es erfüllt mich mit großer Freude, dass ich von ihr lernen darf und sie auf ihrem Weg unterstützen kann.

Weitere Infos: 

www.peacemaker.ch 
www.zenpeacemakers.org