Abgrenzung und Zugehörigkeit

Ein Beitrag von Rebekka Christine Khaliefi veröffentlicht in der 1-2025 feiern unter der Rubrik Junger Vietnamesisch-Deutscher Buddhismus.

Junge Erwachsene mit vietnamesischen Wurzeln

In den deutschsprachigen Ländern leben Zehntausende von Buddhistinnen und Buddhisten mit vietnamesischen Wurzeln. Längst ist eine Generation junger Erwachsener nachgewachsen. Ihnen hat sich die Religionswissenschaftlerin Rebekka Khaliefi in ihrer Dissertation zugewandt und sie zu ihrer buddhistischen Religiosität befragt. 

„Ich wurde in den Buddhismus hineingeboren, aber hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich letztendlich doch für den Buddhismus entschieden, weil wir als Buddhisten mehr Freiheiten im Gegensatz zu anderen, strengeren Religionen haben“, antwortet ein Jugendlicher auf die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit. – „Mir ist aufgefallen, dass vietnamesischer Buddhismus hier in Deutschland sehr viel einfach nur mit dem Nationalstolz zu tun hat“, erklärt eine junge Frau ihr Verhältnis zur religiösen Tradition. – „Ich würde mich als Buddhist bezeichnen, aber zudem würde ich sagen, dass ich eher spirituell orientiert bin“, erklärt ein weiterer Jugendlicher auf die Frage nach seinem Glauben.

Die drei Wortmeldungen stammen aus einem Forschungsprojekt des Schweizer Nationalfonds, das ich für meine Dissertation am religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern durchgeführt habe. Sie zeigen, wie unterschiedlich junge Menschen mit vietnamesischem buddhistischen Hintergrund ihr Verhältnis zum eigenen Glauben und zu den vietnamesischen buddhistischen Institutionen in Deutschland beschreiben. Während der erste Befragte betont, dass der Buddhismus eine tolerante Religion sei, empfindet die zweite Befragte ihn als zu eng mit der vietnamesischen Kultur und Nationalität verknüpft. Der dritte Befragte wiederum verwischt die Grenzen zwischen dem Buddhismus und anderen Glaubensrichtungen, indem er ihn als eine Ergänzung der eigenen Spiritualität versteht. 

Im Rahmen des Forschungsprojekts haben mir 22 junge Erwachsene zwischen 17 und 30 Jahren in offenen Interviews Auskunft über ihr Verhältnis zum vietnamesischen Buddhismus und über ihre eigene Religiosität gegeben. Insbesondere hat mich interessiert, welche Formen buddhistischer Religiosität sich bei jungen Erwachsenen mit vietnamesischen Wurzeln in der Schweiz und in Deutschland feststellen lassen. Meine Studie hat somit erstmals untersucht, wie sich die vietnamesische buddhistische Religion im Generationenverlauf in Deutschland und in der Schweiz verändert. Als Konsequenz daraus werden sich auch die religiösen Institutionen zukünftig verändern. In diesem Text möchte ich einen kleinen Einblick in die Studie geben, wobei ich mich aus pragmatischen Gründen auf die Situation in Deutschland beschränken werde. 

Buddhistische Pagoden 

Neben dem tibetischen ist auch der vietnamesische Buddhismus in Deutschland stark vertreten. Das zeigt sich schon daran, dass sich hier eine der größten Pagoden des vietnamesischen Buddhismus in Europa befindet. Zudem leben in Deutschland schätzungsweise über 100 000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln. Ein Großteil von ihnen kam aufgrund des Vietnamkriegs nach Deutschland. Die damalige DDR nahm Vietnamesinnen und Vietnamesen als Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter sowie zu Ausbildungszwecken auf. Anders als bei den Boatpeople war ihr Aufenthalt nicht auf Dauer angelegt. Doch ein Großteil von ihnen blieb nach dem Mauerfall in Deutschland. 

Diese Menschen wurden nach und nach in der Fremde heimisch und so entstand auch eine Vielzahl buddhistischer Pagoden. Die wohl bekannteste ist Vien Giac in Hannover, ein europaweites geistiges Zentrum des vietnamesischen Buddhismus, in das jedes Jahr Tausende Besucherinnen und Besucher aus zahlreichen Ländern strömen. 

Meditation in Plum Village

Plum Village zieht westliche Menschen an

Während die Pagoden stark kulturell geprägt sind und daher vor allem Vietnamesinnen und Vietnamesen als Anlaufstelle dienen, hat der vietnamesische Zen-Lehrer Thich Nhat Hanh eine Form des vietnamesischen Buddhismus geprägt, die vor allem Menschen aus dem Westen anzieht. Thich Nhat Hanh musste Vietnam verlassen, gründete 1982 im französischen Exil das Kloster Plum Village und legte Wert auf einen engagierten und im Alltag angewandten Buddhismus. „Happiness is here and now“, lauten die ersten Zeilen eines häufig in Plum Village gesungenen Liedes. Es drückt Thich Nhat Hanhs Ansatz aus, alle Handlungen auf das Hier und Jetzt auszurichten. Es bedarf keines religiösen Ortes, sondern immer wieder des Bewusstseins, achtsam im gegenwärtigen Moment zu sein. 

Die Plum-Village-Tradition mit ihren vielen westlichen Anhängerinnen und Anhängern ist in der Deutschen Buddhistischen Union, deren 70-jähriges Bestehen 2025 gefeiert wird, vertreten. Die Pagoden hingegen und die vielen Menschen, die in ihnen den Buddhismus des Reinen Landes praktizieren, sind es bislang nicht – aus Gründen, die auszuführen hier nicht der Ort ist und auch nicht Gegenstand meines Forschungsprojekts war. Umso wichtiger ist es, für die Vielfalt des Buddhismus in Deutschland und auch die Vielfalt des vietnamesischen Buddhismus zu sensibilisieren. 

Wer eine vietnamesische buddhistische Pagode betritt, wird hören, wie in den Gebetsräumen aus kleinen Rekordern häufig der Name Amitabhas ertönt. Amitabha soll den Gläubigen dabei helfen, das Reine Land zu erreichen, eine Vorstufe auf dem Weg zur Erleuchtung. Sein Name dient auch als Grußformel unter Gläubigen und wird von Kranken oder bald sterbenden Menschen viel rezitiert. Der Buddha Amithaba ist also elementar für die Praxis in den Pagoden, dazu kommen viele Rezitationen, während in der Tradition nach Thich Nhat Hanh Gehmeditationen, Gesang, Achtsamkeitsübungen und buddhistische Vorträge – Dharma Talks genannt – im Vordergrund stehen.  

Ein Teil der befragten jungen Erwachsenen gab an, Veranstaltungen beider Schulen zu besuchen. Teilweise lehnten sie die jeweils andere buddhistische Schule jedoch auch ab. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte versuchen die Vertreterinnen und Vertreter beider Schulen, der jüngeren Generation neben der Religion auch die vietnamesische Sprache und Kultur zu vermitteln. Das zeigt sich daran, dass in Plum Village spezielle Veranstaltungen ausschließlich für Kinder und Jugendliche mit vietnamesischen Wurzeln angeboten werden und die Pagoden die jüngere Generation in Jugendgruppen organisieren.

Aufwachsen zwischen zwei Kulturen

Alle der von mir befragten jungen Erwachsenen sind in Deutschland geboren. Ihr Aufwachsen unterscheidet sich daher stark von der Elterngeneration, da sie Vietnam nur aus den Erzählungen der Eltern oder von Familienurlauben kennen. Da sie in einem deutschen Umfeld aufgewachsen sind, sprechen und verstehen sie die vietnamesische Sprache schlechter als die Elterngeneration. Mit Eintritt in die Schule machen sie häufig die Erfahrung, dass sie einer Minderheitenreligion angehören. Häufig besuchen sie in der Grundschule den christlichen Religionsunterricht und beginnen, sich nun verstärkt mit der eigenen Religionszugehörigkeit auseinanderzusetzen. Sie möchten religiöse Inhalte verstehen und einen Bezug zu ihrem Alltag herstellen. An dieses Bedürfnis passen sich Mönche und Nonnen an, indem sie sich mit den Jugendlichen auf Deutsch oder Englisch austauschen. Für die Zukunft ist es daher wahrscheinlich, dass Mönche und Nonnen tendenziell immer weniger auf Vietnamesisch kommunizieren und buddhistische Lehrinhalte stärker auf Deutsch und Englisch vermitteln werden.

Ordinierte als Brückenbauer

Während die Elterngeneration Mönche und Nonnen als religiöse Autoritäten ansieht, nehmen sie für die jüngere Generation häufig die Rolle von Vermittlerinnen und Vermittlern ein. Sie bauen Brücken, indem sie mit der Elterngeneration in engem Kontakt stehen und sich gleichzeitig darum bemühen, auf die Lebenswelt der jungen Erwachsenen einzugehen. 

Für einen Teil der Befragten entsteht durch die Treffen mit Gleichaltrigen, aber auch mit Mönchen und Nonnen als Bezugspersonen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt: „Ich merke das auch immer bei den Pagodenbesuchen – sobald du die Pagode betrittst, fühlst du dich sofort heimisch. Die Leute sprechen mit dir die gleiche Sprache. Wir essen gemeinsam das vietnamesische Essen und, ja, die Kultur wird einfach ausgelebt“, erzählt eine junge Frau. 

Aufgrund ihres Aussehens werden die Jugendlichen immer wieder mit der Frage konfrontiert, woher sie oder ihre Eltern stammen; teilweise erfahren sie auch Diskriminierungen. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft kann dann dazu dienen, den eigenen Status aufzuwerten oder sich unter anderen jungen Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen und einen ähnlichen familiären Hintergrund haben, besser aufgehoben zu fühlen. Die Pagoden und buddhistischen Gemeinschaften dienen also als Orte, die es den jungen Menschen ermöglichen, sich mit der Herkunft der Eltern auseinanderzusetzen und Zugehörigkeit zu erleben.

Buddhismus unabhängig von der vietnamesischen Kultur

Religionszugehörigkeit und vietnamesische Kultur sind nach dem Verständnis der von mir befragten jungen Erwachsenen teilweise eng miteinander verknüpft. Interessanterweise findet sich diese Tendenz sowohl bei denen, die in die Strukturen des Buddhismus des Reinen Landes eingebunden sind, als auch bei denen, die Retreats in Plum Village besuchen. Ein Teil der Befragten fühlt sich lediglich dem Buddhismus zugehörig und lehnt es ab, Religion, Kultur und Ethnie damit in Verbindung zu bringen. Diese jungen Menschen verstehen sich ganz unabhängig von ihren familiären Wurzeln als Buddhistinnen und Buddhisten und identifizieren sich häufig stärker mit Deutschland als mit Vietnam.

Die Zugehörigkeit zum Buddhismus kann auch dazu dienen, den eigenen Status aufzuwerten: „Ich glaube, es ist wichtig, zu erwähnen, dass wenig Zwang vom Buddhismus ausgeht. Dass die Familien wenig Zwang auf die Kinder ausüben, wie in anderen Religionen, damit sie den Buddhismus verfolgen“, erklärt eine Jugendliche. In der Regel erleben die Befragten ihre buddhistische Religionszugehörigkeit als etwas, das von der Mehrheitsgesellschaft positiv bewertetet wird und sie sogar mit ihr verbindet, da sich auch Gleichaltrige der Mehrheitsgesellschaft mit dem Buddhismus auseinandersetzen.

Buddhismus als ein Bestandteil der eigenen Lebensführung

Anders als ihre Eltern nutzen einige der jungen Erwachsenen die buddhistische Religiosität sehr konkret, um ihre Lebensführung zu optimieren. Mitunter verbinden sie einzelne Praktiken wie Pagodenbesuche oder Meditation mit dem Ziel, auf ihrem Bildungsweg erfolgreicher zu werden. Vor Prüfungen besuchen sie dann die Pagode oder verzichten darauf, Fleisch zu essen. Ihre Religiosität nimmt auf diese Weise individuelle Züge an und die jungen Erwachsenen handeln sie je nach Lebenssituation selbstbestimmt neu aus, sie wird nicht ausschließlich von den Mönchen und Nonnen vorgegeben. Ein interessantes Ergebnis der Studie ist auch, dass sich die eigene Religiosität weg von speziellen Praktiken und hin zu einem bestimmten Selbstverständnis verschiebt. Einige Jugendliche gaben an, dass ihr Gedankengut und ihre innere Haltung ihre Religiosität ausmache und weniger Pagodenbesuche oder religiöse Praktiken.

Ein anderes Ergebnis der Studie ist, dass sich die Religiosität junger Erwachsener in der Tradition des Reine-Land-Buddhismus sowie des Reformbuddhismus nach Thich Nhat Hanh angleicht. Zugleich zeigt sie, dass Plum Village wie auch die Pagoden wichtige Orte für die jungen Erwachsenen darstellen, sich mit ihren Wurzeln auseinanderzusetzen. Zu erwarten ist, dass sich die vietnamesischen buddhistischen Institutionen künftig durch die Prägungen der jungen Menschen, die in Deutschland heranwachsen, wandeln werden.

Vietnamesischer Buddhismus in Deutschland

Der vietnamesische Buddhismus wird häufig als „Tam Giao“, die drei Lehren, beschrieben und setzt sich aus den Lehren des Mahayana-Buddhismus, dem Konfuzianismus und dem Daoismus zusammen. Markant in den Pagoden ist die Verehrung des Buddha Amithabha, der den Gläubigen auf dem Weg zur Erleuchtung beisteht. Auch der Bodhisattva Quan The Am, der Bodhisattva des Mitgefühls, ist sehr populär. Er wird in Frauengestalt dargestellt und steht häufig als Statue vor den Pagoden. Geisterglaube und insbesondere die Ahnenverehrung sind ebenfalls wichtige Charakteristika des vietnamesischen Buddhismus. Kennzeichnend ist zudem, dass an jede Pagode ein Verein von Laienbuddhistinnen und -buddhisten angeschlossen ist – die „jungbuddhistische Familie“. Die jungbuddhistische Familie unterstützen die Pagode, indem sie bei Festen Essen zubereitet und verkauft sowie ein Kulturprogramm darbietet. Zudem obliegt es ihr, die Heranwachsenden an die vietnamesische Kultur und den Buddhismus heranzuführen.

 


Literaturhinweise

Baumann, Martin: „Migration – Religion – Integration. Buddhistische Vietnamesen und hinduistische Tamilen in Deutschland“, diagonal, 2000

Rebekka Khaliefi: „In erster Linie sind wir Buddhisten. Ethnisch-religiöse Grenzbeziehungen unter Jugendlichen mit vietnamesischen Wurzeln in der Schweiz und in Deutschland“, Ergon 2022 (E-Book)