Robin Wall Kimmerer

Geflochtenes Süßgras

Die Weisheit der Pflanzen

Heft: 03 | 2022 Heimat
Verlag:Aufbau Verlag
Ort:Berlin
Jahr:2021
ISBN:978-3-351-03873-1
Preis:26,00 €
Seiten:461
Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Ranke
Hardcover mit Schutzumschlag

Rezension

Der Abt des Zen-Klosters Fumonji bei Eisenbuch, Nakagawa Roshi, hat einmal von einer Begegnung mit einer Gruppe australischer Ureinwohner erzählt: „So entwickelt, so weise, so tief! Ich dachte: Die müssen viel Zazen geübt haben! Aber, nein, sie hatten eine andere Praxis. Vielleicht besser als unsere …“ Vielleicht, ja, mag man sich auch als Buddhistin oder Buddhist aus Europa denken. Ohne die Angehörigen indigener Volker alle als naturverbundene Öko-Weise abzustempeln und ihnen nach ihrem Land auch noch ihre Ideen zu rauben, gibt es doch manches in indigenen Weltsichten, das für westliche Buddhist:innen eine Inspiration sein kann.

Die seltsame Idee, die Welt bestünde hauptsachlich aus geistloser Materie, die darauf wartet, von uns Menschen in Pflanzen, Steine und Tiere katalogisiert zu werden, teilen viele indigene Menschen nicht. Stattdessen wissen zum Beispiel die Potawatomi, zu denen auch die Professorin für Umweltbiologie Robin Wall Kimmerer gehört, dass die Blatter eines Ahornbaumes, das intensive Gelb des Löwenzahns und das Plätschern eines Baches ihre je eigene Kreativität ausdrucken. Oder wie Zenji Dogen sagt: „Baume, Gräser, eine Mauer, eine Hecke, sie alle verkünden das Dharma zum Wohle von allen – gewöhnlichen Leuten, Weisen und Lebewesen.“

Auf elegante Weise verknüpft Robin Wall Kimmerer in ihrem auf Englisch schon 2013 erschienenen und dann langsam durch Mundpropaganda zum Bestseller gewordenen Buch Autobiografie, botanisches Fachwissen und indigene Erzähltradition. Die Leser:innen lernen nicht nur Interessantes über Ahornsirup und Pekannüsse, über Weltschöpfungsmythen und die Sackgassen reduktionistischer Wissenschaft. Vor allem entfaltet sich beim Lesen ein warmherziges Gefühl: Wirkliche, gelebte Verwandtschaft mit den anderen Teilhabern der Erde ist möglich. Wir sind nicht dazu verurteilt, die „Killer-Geschichte“ (wie es die US-Autorin Ursula K. Le Guin nennt) ständig weiterzuerzählen. In einer der traurigsten Passagen des Buches erzählt Robin Wall Kimmerer, wie sie einmal ihre Studierenden bat, Beispiele für positive Effekte des Menschen auf andere Teile der Biosphäre zu nennen. Es fiel niemandem etwas ein. Zwischen Klimakatastrophe, Artensterben und übersäuerten Ozeanen haben wir – so scheint es – die Fähigkeit verloren, uns eine gesunde und schone Erde vorzustellen, auf der auch Menschen leben und ihren Beitrag zu dieser Gesundheit und Schönheit leisten. Robin Wall Kimmerers Buch ist eine – vielleicht noch rechtzeitige – Erinnerung an vieles, was wir waren und vielleicht wieder sein können.

David Sumerauer

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