Christian Dillo

Der tiefe Wunsch nach Lebendigkeit

Ein buddhistischer Wegweiser für das 21. Jahrhundert

Heft: 04 | 2022 Leben mit dem Tod
Verlag:Allegria Verlag
Ort:Berlin
Jahr:2022
ISBN:978-3-7934-2437-6
Preis:22,99 €
Seiten:458
Hardcover mit Schutzumschlag

Rezension

Für Christian Dillo, Zen-Lehrer und Abt des Boulder Zen Center in Colorado in den USA, bedeutet Lebendigkeit, sich auf alles im Leben einzulassen, seien es angenehme oder unangenehme Erfahrungen. Dazu schreibt er: „Wenn wir versuchen, den schmerzhaften Herausforderungen in unserem Leben zu entkommen, bleiben wir paradoxerweise an sie gebunden. Unbewusst fangen wir an, unser Leben um den Schmerz herum zu organisieren – mit dem Ziel, ihn nicht erleben zu müssen. Dieses zur Gewohnheit gewordene Vermeidungsmuster kostet viel Energie, aber das ist nicht der einzige Preis, den wir dabei bezahlen. Wir opfern auch unsere Lebendigkeit und unsere Freiheit. Das Schlimmste daran: Die Fähigkeit, sich einfach so und spontan am eigenen Lebendigsein zu erfreuen, ist dann oft schon so weit entrückt, dass sie nicht einmal mehr als Möglichkeit erscheint. Wenn wir das klar erkennen und dieser Einsicht Raum in unserem Leben geben, dann können wir beginnen, unsere Lebendigkeit zu kultivieren.“

Der Autor präsentiert ein Verständnis des Buddhismus, das keinen Glauben an etwas Transzendentes wie Gott, ein Leben nach dem Tod oder Wiedergeburt erfordert. Und er vermittelt die Buddhalehre durch zahlreiche Übungen ganz praktisch und körperlich erfahrbar. Sein Buch gliedert sich in vier Teile, die er die „Vier Grundannahmen des Zen“ nennt: Transformation, Freiheit, Weisheit, Mitgefühl – oder in seinen Worten: unsere Erfahrung transformieren, uns von unnötigem Leiden befreien, im Einklang mit den Dingen leben, so wie sie wirklich sind, und zum Wohle aller Wesen handeln.

Christian Dillo schreibt klar, allgemein verständlich, bringt viele anschauliche Beispiele und bezieht körperorientierte Methoden der Psychotherapie ein, zum Beispiel Focusing. Aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet er, wie man die eigene Reaktivität loslässt, Momente von Nicht-Reaktivität auskostet und konstruktiv mit Gewohnheitsmustern arbeitet. Zu seiner Weise, die Buddhalehre darzulegen, schreibt er: „Meiner Meinung nach besteht die korrekte Übertragung einer Tradition darin, sie fortwährend zu rekonstruieren. Wenn wir nicht den Mut haben, buddhistische Lehren und Praktiken zu de- und rekonstruieren, sodass sie in wirklicher Resonanz mit unserem zeitgenössischen Leben stehen, dann wird der Buddhismus entweder zu einem weiteren Glaubenssystem oder zu einem der vielen Selbsthilfe-Titel in unserem eklektischen, postmodernen Bücherregal.“

Das Buch ist für Anfänger:innen gut geeignet, weil der Autor alles genau erklärt, keine Vorkenntnisse voraussetzt und auf Fachbegriffe verzichtet. Erfahrene Meditierende können hier wertvolle neue Impulse erhalten. Christian Dillo zeigt auch auf, was die zeitgenössischen Herausforderungen Krieg, Rassismus, Diskriminierung, ökonomische Ausbeutung und ökologische Zerstörung mit der eigenen Praxis zu tun haben und wie wir in unserem Alltag damit umgehen können.

Traudel Reiß

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