Kamo no Chomei

Aufzeichnungen aus meiner Hütte

Heft: 01 | 2025 feiern
Verlag:Insel, Neuauflage
Ort:Berlin
Jahr:2024
ISBN:978-3-458-24395-3
Preis:18 Euro
Seiten:99
Aus dem Japanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Nicola Liscutin
Kartoniert
 
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Rezension

Was für ein zartes Buch – mit was für einer gewaltigen Wirkung! Es sind gerade mal vierzig Seiten, auf denen man stationenweise durch eine apokalyptische Zeit gezogen wird. Der Schriftsteller Kamo no Chomei erlebt das Ende des schwierigen 12. Jahrhunderts in Japan als eine düstere Abfolge von Katastrophen. Erde, Wasser, Feuer, Luft – alle Elemente rütteln eine ganze Epoche lang immer wieder an den Grundfesten der Zivilisation. Kamo no Chomei ist dabei, als die Kaiserstadt Kyoto von einer sturmangefachten Feuerwand niedergebrannt wird. Er ist Augenzeuge eines Taifuns, der nur wenige Jahre später die Stadt erneut zerstört. Es folgt eine Hungersnot, die große Teile der Bevölkerung umkommen lässt, bevor eine Seuche die Überlebenden dahinrafft. Schließlich bebt auch noch die Erde und lässt alles, was mühsam wiederaufgebaut worden ist, in sich zusammenfallen. Mittendrin verschlimmern die Regierungen in völliger Orientierungslosigkeit die Lebensbedingungen. Es ist zum Verzweifeln.

Und so gibt sich auch Kamo no Chomei der Verzweiflung hin. „All diese Geschehnisse lehrten mich, die Mühsal, in dieser Welt zu leben, die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers und der menschlichen Behausungen zu begreifen.“ Diese Zeilen notiert der Autor in seinem 60. Lebensjahr, nachdem ihm alle Ideale, Hoffnungen, Wünsche und ehrgeizigen Pläne verkümmert, ausgewaschen und abgebrannt sind. Da hat er sich fernab der Städte und Dörfer in die Einsamkeit zurückgezogen. Jetzt ist er ein Eremit, der alles loslassen und an nichts Neuem mehr anhaften will – in einer Hütte, die er sich dafür so klein und karg und provisorisch wie möglich gebaut hat. Was immer auch Erde, Wasser, Feuer, Luft und politische Mächte vorhaben mögen, ihn kann es nicht mehr schockieren: „Was sollte es schon für eine Mühe sein, diese Hütte wiederaufzubauen? Es bedürfte nur zweier Karrenladungen, um das gesamte Häuschen zu transportieren.“

So bescheiden erzählt Kamo no Chomei von seinem Leben unter diesen Bedingungen. Er verspürt keinen Drang, sich als artistischen Asketen zu preisen. Er will bloß protokollieren, wie er sich die Hütte einrichtet. Er will kurz berichten, wie er von einem Tag in den anderen hineinlebt. Er möchte nur ganz knapp erzählen, wie er immer weniger auf sein Äußeres achtgibt und auf seiner Laute spielt und singt, ganz für sich. Gern auch mal falsch, egal, er hat kein Publikum und will auch keines haben.

Die „Aufzeichnungen aus meiner Hütte“ sind nicht für den Applaus geschrieben. Im Gegenteil. In den kleinen Textstücken schreibt sich der Aussteiger immer weiter ins Schweigen hinein. Zum Schluss verliert sich seine Spur auf dem weißen Papier. Da weiß er nicht einmal mehr, ob er mit seinem Rückzug das Richtige tut oder ob ihm das „Herz in seinem Irren nun gar dem Wahnsinn verfallen ist“. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Es gibt nur das zarte, verletzliche Wesen, das inmitten der gewaltigen Bewegungen der Natur und Kultur sich seiner selbst vergewissern und dabei zugleich auflösen will. Dieses Wesen beobachtet, experimentiert und notiert. Und es berührt. Auch das nur ganz zart. Aber mit einer gewaltigen Wirkung.

Stephan Porombka

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