Wie kann Wandel gelingen?

Ein Beitrag von Maja Göpel, Yongey Mingyour Rinpoche, Gert Scobel veröffentlicht in der 4-2025 Heilung unter der Rubrik Transformation & Meditation.

In einer Zeit globaler Umbrüche trafen sich die Transformationsforscherin Maja Göpel, der buddhistische Meditationsmeister Yongey Mingyur Rinpoche und der bekannte Philosoph und Wissenschaftsjournalist Gert Scobel zum Dialog. 

Mingyur Rinpoche, Maja Göpel und Gert Scobel sitzen auf einem Podium auf Stühlen, umgeben von Blumen. Mingyur Rinpoche hält eine Klangschale, alle haben die Augen geschlossen. Foto: © Artus Geisler
© Artus Geisler

Organisiert von der buddhistischen Tergar-Gemeinschaft, suchte die Veranstaltung am 3. Juli 2025 in Berlin Antworten auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wie lassen sich individueller Bewusstseinswandel und gesellschaftliche Transformation vereinen?

Nach einer kurzen gemeinsamen Meditation eröffnete Gert Scobel das Gespräch mit einem kritischen Blick auf die Gegenwart. Er betonte die immense Komplexität der globalen Probleme – Klimawandel, wachsende soziale Ungerechtigkeit, ungleiche Ressourcenverteilung – und sprach von einer einzigartigen Herausforderung in der Geschichte der Menschheit. „Trotz unseres Wissens“, so Gert Scobel, „gelingt es uns kaum, koordiniert zu handeln.“ 

Für Maja Göpel liegt in diesem Paradox das Kernproblem des Transformationsdilemmas. Krisen entstehen, wenn Systeme nicht mehr zu ihrem Kontext passen. Transformation bedeutet daher nicht bloß Veränderung, sondern verlangt, den Rahmen zu verschieben, in dem bisher gedacht und gehandelt wurde. „Man weiß nicht, was kommt“, sagte sie. „Das ist verstörend, aber auch notwendig.“ Sie betonte, wie wichtig es sei, die tiefen Irritationen der Gegenwart nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Erweiterung der Perspektiven zu sehen. Diesen Prozess verglich sie mit der Metamorphose einer Raupe, die sich erst verflüssigt, bevor sie zum Schmetterling wird.

Wandel beginnt im eigenen Geist

Mingyur Rinpoche hob hervor, dass Veränderung im eigenen Geist beginnt – nicht als Flucht vor der Welt, sondern als tiefere Auseinandersetzung mit ihr. „Meditation bedeutet, sich mit Bewusstsein zu beschäftigen“, erklärte er. Diese Praxis helfe, Gedanken, Gefühle und Impulse wahrzunehmen, ohne ihnen sofort zu folgen. In einer Welt voller Reizüberflutung, Informationsmassen und sozialem Druck brauche es einen inneren Raum, um zu beobachten, zu erkennen und klug zu handeln. Eindringlich schilderte er seine Panikattacken in jungen Jahren und wie Meditation ihm half, sie nicht als Feinde, sondern als Freunde zu sehen. „Kämpfen verstärkt das Leiden. Freundschaft schafft Raum für Wandel.“ Es sei ein langsamer Prozess gewesen, doch am Ende habe sich ihm gezeigt: „Die Grundnatur unseres Geistes ist Güte.“ 

Mingyur Rinpoche, Maja Göpel und Gert Scobel auf dem Podium im Gespräch. Foto: © Artus Geisler
© Artus Geisler

Verwobene Systeme

Im Gespräch wurde deutlich, wie eng äußere Systeme und innere Haltungen verknüpft sind. Maja Göpel betonte, dass Transformation nicht bedeutet, blind ins Neue zu springen, sondern zunächst Abstand zu gewinnen – vom eigenen Verhalten, von Routinen, von systemischen Automatismen. „Wenn wir unsere Muster erkennen, können wir klüger handeln.“ Ohne diese Reflexion bleibe jede Reform oberflächlich. Besonders in ökologischen Fragen zeige sich, wie tief verankerte Gewohnheiten Veränderungen erschweren: Wer vom fossilen Lebensstil profitiert, tut sich schwer mit nachhaltigem Wirtschaften. „Viele sehen Wandel als Verlust von Sicherheit und Privilegien.“ 

Die Forscherin hob die Macht von Narrativen hervor: Sie prägen, was wir für möglich halten. Deshalb sei es so wichtig, die dominanten Geschichten über Wachstum, Effizienz und Konkurrenz zu hinterfragen und neue, gemeinschaftlich orientierte Erzählungen zu entwickeln. „Wir müssen uns fragen: In welche Richtung wollen wir wachsen?“ 

Mingyur Rinpoche übersetzte diesen Gedanken in spirituelle Begriffe. Für ihn stützen „drei Freunde“ die Transformation: Bewusstsein, Liebe und Weisheit. „Bewusstsein zeigt uns das Einzigartige. Liebe verbindet uns mit dem Ganzen. Weisheit lässt uns die Realität erkennen und angemessen handeln.“ Diese Qualitäten müsse man üben, verkörpern und im Alltag leben. 

Meditation sei dabei kein exklusiver Rückzug, sondern „sehr einfach, denn du kannst jederzeit, überall, mit allem meditieren“. Ob beim Zähneputzen, in der U-Bahn oder beim Scrollen auf dem Smartphone – entscheidend sei die Haltung. Solche informelle Meditation ermögliche es, im Alltag immer wieder präsent zu werden und innere Muster schrittweise zu verändern. 

Ein großer Hörsaal it vielen Menschen auf Stühlen, Mingyur Rinpoche, Maja Göpel und Gert Scobel auf dem Podium, über eine Leinwand werden die Sprecher:innen vergrößert für alle sichtbar gemacht. Foto: © Artus Geisler
© Artus Geisler

Kollektive Veränderung

Das Gespräch vertiefte sich, als es um kollektiven Wandel ging. Sowohl Maja Göpel als auch Mingyur Rinpoche betonten die Bedeutung von Vertrauen. „Transformation ist kein Soloprojekt“, sagte Maja Göpel und kritisierte eine politische Kultur, die Fehler ächtet und Innovationen bestraft. „Politiker müssen heute so tun, als hätten sie immer recht. Das verhindert Lernen. Verantwortliche sollten verschiedene Lösungswege ausprobieren dürfen, um größere Ziele zu erreichen, für die es keine einfachen Antworten gibt. Vertrauen sei ein hohes Gut und dürfe nicht durch Polarisierung und Entmenschlichung zerstört werden. „Wenn wir uns nur noch vergleichen und optimieren, verlieren wir das Gefühl für unsere gemeinsame Menschlichkeit.“ 

Maja Göpel warnte davor, allein auf die Jugend zu setzen und ihr die Verantwortung für globale Herausforderungen zuzuschieben. „Die Wahrheit ist: Die Jungen entscheiden nicht. Es sind meist ältere, weiße Männer in Machtpositionen, die heute die Weichen stellen müssen.“ Sie kritisierte in diesem Zusammenhang auch das Bildungssystem, das kaum in der Lage sei, junge Menschen adäquat vorzubereiten. „Junge Generationen haben zwar Potenzial, aber das aktuelle Bildungssystem ist zu starr und unterstützt sie nicht ausreichend bei der Entwicklung der nötigen Fähigkeiten.“

Mensch und Technologie

Auch das Verhältnis von Mensch und Technologie kam zur Sprache. Gert Scobel sprach von „zwei Zeitzonen“: der langsamen persönlichen Transformation und den schnellen globalen Ereignissen wie Kriegen oder der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Göpel stimmte zu: Technologien beschleunigen vieles, während biologische Systeme einen „optimalen Rhythmus“ brauchen und sogar über Mechanismen verfügen, um ein zu hohes Tempo auszugleichen. Technologische Entwicklungen müssten dort verändert werden, wo sie „dem Leben von Menschen und anderen Lebewesen schaden“. 

Die Wissenschaftlerin mahnte, nicht nur auf das zu schauen, was nicht mehr funktioniert, sondern auch über Alternativen und das Potenzial des Loslassens nachzudenken. „Manchmal müssen wir sagen: Das hatte seine Zeit, es hat uns gedient – jetzt ist es Zeit für etwas Neues.“ 

Mingyur Rinpoche verwies auf eine Studie aus der Corona-Zeit, die zeigte, dass selbst kurze tägliche Meditationsroutinen Stress und Depressionen reduzieren können. Transformation, so erklärte er, „muss nicht so lange dauern, wie man denkt“. Digitale Werkzeuge wie Meditations-Apps könnten helfen, eine tägliche Praxis zu entwickeln. Maja Göpel sah das kritischer und betonte die Bedeutung der Gemeinschaft (sangha) für eine tiefgreifende Meditationspraxis. Sie warnte vor starren Systemen, die Abhängigkeiten schaffen. Lehrende sollten Meditationstechniken und die Essenz des Weges vermitteln, die die Einzelnen aber auch befähigen, ihren eigenen Weg zu finden – auch durch die Kombination verschiedener Ansätze. 

Vision für die Zukunft

Zum Abschluss bat Gert Scobel den Meditationsmeister und die Transformationsforscherin eine Zukunftsvision zu formulieren. Mingyur Rinpoche war wichtig, herauszuheben, dass sich die Form des Dharma an die Zeit anpassen müsse, nicht aber seine Essenz. Maja Göpel erinnerte an die Idee der globalen Menschheitsfamilie – ein Narrativ, das nach dem Zweiten Weltkrieg tragfähig war, heute aber oft belächelt wird. „Es ist Zeit, das wieder ernst zu nehmen. Narrative sind der Klebstoff menschlicher Gesellschaften. Sie schaffen einen gemeinsamen Raum.“ 

In dem zweistündigen Gespräch verbanden sich spirituelle Einsichten, gesellschaftliche Analysen und die kluge Moderation Gert Scobels zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit der Frage, wie angesichts der Krisen unserer Zeit neue Handlungsräume entstehen können. Was bleibt? Vielleicht die Erkenntnis, dass Wandel nicht einfach geschieht – wir gestalten ihn. Wenn wir bereit sind, nach innen zu schauen, neue Geschichten zu erzählen und Verantwortung zu übernehmen. 

Der Abend bot keine Rezepte, aber einen Kompass. Und vielleicht ist das in Zeiten wie diesen das Wertvollste. 

Weitere Informationen

tergar.de