REDE (Auszug): Der Bodhisattva-Pfad in der Trump-Ära
Wenige Wochen nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA fragte David Loy in einem Vortrag in der „St. Paul’s United Methodist Church“ am 22. November 2016 ob es – obgleich viele liberale US-Bürgerinnen und Bürger sich in einem Schockzustand befinden – dennoch aus buddhistischer Perspektive auch so etwas wie einen vorsichtigen Grund zur Hoffnung gibt.
Die Wahlen sind zwei Wochen her und viele von uns sind noch immer in einem Schockzustand – traumatisiert, verzagt, wenn nicht sogar deprimiert, besorgt, wütend, ängstlich und irgendwie verwirrt. Die Frage, wie es nun wohl weitergeht, taucht auf – und man fragt sich, ob es nach diesen Ereignissen wohl so etwas wie einen Silberstreif am Horizont geben kann. Meine heutige Antwort darauf hat zwei Teile. Zunächst einmal möchte ich tatsächlich auf einen Silberstreif am Horizont hinweisen oder zumindest auf die Möglichkeiten eines solchen Silberstreifs, je nachdem, wie wir nun auf die Situation reagieren.
Lassen Sie uns mit einer Zen-Geschichte beginnen, die im Internet zirkuliert. Ein Schüler fragt den Meister: „Wenn wir in eine Zeit großer Schwierigkeiten geraten, wie sollten wir ihr begegnen?“ Und die Antwort ist: „Willkommen“. Dieser Pfad, auf dem wir sind, dreht sich nicht um das Vermeiden von Schwierigkeiten. Das bedeutet nicht, dass wir Schwierigkeiten passiv akzeptieren, wenn sie sich zeigen, aber es bedeutet sehr wohl, sich darin zu engagieren und die Probleme nicht zu vermeiden. Eine weitere Geschichte ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Der Schüler fragt den Meister: „Worin besteht die ständige Praxis der Buddhas und Bodhisattvas?“ Also mit anderen Worten: Was ist es, das erleuchtete Menschen die ganze Zeit tun? Was ist besonders an ihrer Art, von Moment zu Moment in der Welt zu leben? Und die Antwort des Meisters lautet: „Angemessen reagieren“. Das scheint einerseits sehr einfach zu sein, andererseits ist es das ganz und gar nicht, denn um zu wissen, wie man angemessen reagiert, müssen wir die Situation begreifen, in der wir uns befinden. Es gibt verschiedene Wege, eine Situation zu begreifen, unterschiedliche Perspektiven. In welcher zeitlichen Perspektive, wie kurzfristig, wie langfristig betrachten wir eine Situation, aus welcher Nähe begutachten wir sie und wie weit treten wir von ihr zurück, um uns aus größerer Entfernung ein Gesamtbild zu verschaffen?
Sehr viele Menschen wollen das nicht mehr
Damit kommen wir zu dem Silberstreif, über den ich mir Gedanken mache, auch wenn ich nicht behaupten möchte, dass es hier zweifelsfrei um einen Silberstreif geht, aber zumindest um die Möglichkeit eines solchen: Öffnet der Kummer, den wir derzeit empfinden, vielleicht ein neues Potential – genau das Potential, das wir derzeit so dringend brauchen? Ich muss hier gleich dazu sagen, dass ich als älterer, weißer, heterosexueller Mann möglicherweise bestimmte Ängste nicht zu haben brauche, im Gegensatz zu vielen Frauen, zu Schwulen und Lesben, zu People of Color, zu Immigrantinnen und Immigranten. Ich verstehe diese Ängste und, ja, ich bin in einer sehr privilegierten Situation. Gleichzeitig hat unser Kummer weitere wichtige Aspekte, die eben auch betont und gesehen werden müssen. Vielleicht kann uns der Schock dieser Wahl eben auch helfen aufzuwachen. Sie werden sich erinnern, dass Hillary Clinton ihre Kampagne mehr oder weniger auf dem Status quo aufgebaut hat: mehr von demselben. Und wenn ich mir das anschaue, kann ich auch verstehen, warum sie die Wahl verloren hat. Weil sehr, sehr viele Menschen in diesem Land genau das eben nicht wollten. Man sollte sich an dieser Stelle noch einmal vergegenwärtigen, dass die Demokraten das Präsidentenamt in 16 der vergangenen 24 Jahre kontrolliert haben und dass der Graben zwischen Reich und Arm in dieser Zeit immer breiter geworden ist. So viel zur Partei der Arbeiterklasse.
Hat uns die Wahl von Donald Trump so erschrocken, dass sie uns auf eine Weise aufwachen lassen könnte, wie es die Wahl von Hillary Clinton vielleicht nicht getan hätte? Mich beeindruckt, was der philosophische Provokateur Slavoj Žižek so prägnant ausdrückt: „Das wahre Unglück ist der Status quo.“ Wenn das tatsächlich so ist, bedeutet das dann nicht: Wenn Menschen auf dieses Unglück reagieren und ihre Unzufriedenheit mit dem Status quo zeigen – und selbst, wenn sie es aus anderen Gründen tun als ich – ist dieser Ausdruck der Unzufriedenheit nicht vielleicht genau das, wir jetzt gebraucht wird? Wieder möchte ich betonen, dass solche Reaktionen unterschiedlich interpretiert werden können, aber lassen Sie mich eine Interpretation mit Ihnen teilen, die für mich von besonderer Bedeutung ist. Hier sind ein paar Sätze von James Gustave Speth, aus einem Buch, das er 2008 veröffentlicht und deshalb wahrscheinlich 2007 geschrieben hat. Bitte behalten Sie das im Gedächtnis, wenn Sie anhören, was er geschrieben hat:
„Die Hälfte der Wälder in den tropischen und gemäßigten Zonen der Erde sind nun verschwunden. Die Entwaldungsrate in den Tropen beträgt nach wie vor – wie bereits seit Jahrzehnten – ein Morgen (ca. 4 Quadratkilometer) pro Sekunde. Die Hälfte der Feuchtgebiete der Erde sind verschwunden und ungefähr 90 Prozent der großen Fische an der Spitze der Nahrungskette sind verschwunden. 75 Prozent der Fischbestände in den Meeren sind überfischt oder befinden sich an der Grenze dazu. Fast die Hälfte der Korallenbestände sind verschwunden oder ernsthaft in Gefahr. Von der Erde verschwinden Arten in einer tausendfach höheren Geschwindigkeit als unter normalen Umständen. Seit 65 Millionen Jahren, seit die Dinosaurier ausstarben, hat der Planet keine solche Massenextinktion mehr erlebt.“
David R. Loy
David Robert Loy, geboren 1947, ist ein US-amerikanischer Autor (u.a. von Erleuchtung, Evolution, Ethik, Berlin 2015) und Lehrer der Sanbo Kyodan-Tradition des japanischen Zen-Buddhismus.