Zen gibt uns die Möglichkeit, ein authentisches Leben zu führen

Ein Interview mit Ludger Tenryu Tenbreul geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2016/2 Hoffnung und Furcht unter der Rubrik Im Gespräch. (Leseprobe)

Ein Gespräch mit dem Zen-Meister Ludger Tenryu Tenbreul über dessen Jahre mit seinem Lehrer Deshimaru Roshi, über existenzielle Lebensfragen und über das, was Zen als Antworten anbietet. Das Gespräch, das im Berliner Dojo Shogozan Zenkoji stattfand, führte Ursula Richard.

© Zen-Vereinigung Deutschland e.V.

Ursula Richard: Sie waren lange Jahre Schüler von Taisen Deshimaru Roshi, der eine sehr wichtige Rolle bei der Übermittlung des Zen in den Westen gespielt hat. Wie und wo sind Sie ihm begegnet?

Ludger Tenryu Tenbreul: Ich hatte eigentlich vor, nach Japan zu gehen, und hatte entsprechend gearbeitet und Geld gespart, um für längere Zeit dort zu leben. Ich fand dann vorher, 1977, ein Buch mit einem Hinweis auf ein Sesshin und dachte, bevor ich nach Japan gehe, gucke ich mir das an. Das war meine erste Begegnung mit Deshimaru Roshi und sie hat mich beeindruckt. Zu dieser Zeit war es für mich einfach, längere Zeit zum Beispiel in Frankreich zu sein. So blieb ich zunächst und das hat sich für mich sehr gut angefühlt.

UR: Was hat Sie am meisten an Deshimaru Roshi beeindruckt? Wie haben Sie ihn erlebt?

LT: Seine Haltung, seine Präsenz im Jetzt. Wir haben uns gesehen, ich habe ihm gegenübergestanden und alles war klar. Er war für mich von Anfang an ein Beispiel, wie man sein Leben leben kann. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich dachte, das ist etwas, dem man folgen kann.

UR: Wie würden Sie das Zen charakterisieren, das er in den Westen gebracht hat?

LT: Es ist von der Essenz her ganz rein und klar. Da es aber in einer neuen Umgebung stattfand, war es auch eine Auseinandersetzung mit vielen Phänomenen – den Menschen und dem, was sie aus ihren Lebensgeschichten mitbrachten. Deshalb sah es manchmal nicht ganz traditionell aus. Und obwohl es im Hintergrund nicht formal traditionell war, steckte doch die gleiche Ernsthaftigkeit dahinter, die existenzielle Frage und ihr Erforschen. Das war in seiner Person ganz klar da. Das Dojo in Paris war sehr klein. Viele Leute kamen und man musste immer nach einem Platz für sich suchen. Große Formalien waren dort nicht möglich. Aber der Hintergrund, die Haltung, war immer sehr wichtig und sehr formal. Bei dieser Haltung des Sitzens geht es darum, ein Vehikel zu finden, mittels dessen man sich vergisst. Sichvergessen meint kein Ausblenden oder Bewusstlosigkeit, sondern ein Sichvergessen im Sinne der ganzen Existenz, die dabei aufwacht. Und dafür ist es etwas Existenzielles, diese Haltung mit jeder Zelle unseres Körpers zu bilden. Das ist ein körperlicher und geistiger Akt.

UR: Bei Dogen heißt es, Zazen sei bereits Erleuchtung. Was heißt das?

LT: Im Buddhismus wird Shakyamuni Buddha als der Erleuchtete gesehen. Wie können wir diese Erleuchtung verstehen? Meint das einen speziellen mentalen Zustand oder eine besondere Erfahrung, die alle unsere Probleme löst? Shakyamuni Buddha hat seine Erleuchtung, sein Satori, als den Achtfachen Weg übermittelt. Dieser ist das Kernstück des Buddhismus und umfasst alle unsere Lebensbereiche. Oft wird dieser Weg als Anforderung verstanden, im Sinne von: Und wenn du dich so vervollkommnet hast, dann … Aber im Zen verstehen wir das anders. Zen geht davon aus, dass schon etwas vervollkommnet ist, und das ist die vollkommene Integration von Körper und Geist im Jetzt. Dies ist der Ausgangspunkt für diesen Weg.

Wir sehen ständig, dass unser Tun immer fehlerhaft und unvollkommen ist. Solange man der Idee anhängt, das eigene Leben so zu vervollkommnen, wie es einer abstrakten Idee entspricht, wird man nicht glücklich. Doch zu sehen, dass in dieser Unvollkommenheit das ganze vollkommene Universum steckt, ist etwas zutiefst Bewegendes. Es erschüttert unsere Existenz auf positive Weise. Dann können wir klar fühlen, dass wir einen Lebensweg haben. Es reicht, sich auf den Weg zu begeben. Alles andere ergibt sich daraus.

ENDE DER LESEPROBE

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Ludger Tenryu Tenbreul

Ludger Tenryu Tenbreul begann 1975 mit der Zen-Praxis. Von 1977 bis 1982 war er Schüler von Deshimaru Roshi, der ihn 1978 ordinierte. Nach dessen Tod setzte er sein Studium unter Narita Roshi fort, von dem er 1986 die Dharma-Übertragung erhielt. Er ist Präsident der Zen-Vereinigung Deutschland e. V., Abt des Zen-Zentrums Mokushozan Jakkoji Schönböken und Leiter des Berliner Dojos Shogozan Zenkoji.

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