Wertschätzung leben wir, indem wir sie ausdrücken und bei uns selbst spüren

Ein Interview mit Irmi Jeuther, Arne Schäfer geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2014/1 Wertschätzung unter der Rubrik Im Gespräch.

Seit vielen Jahren arbeiten Irmi Jeuther und Arne Schäfer unter anderem im Bereich des Coachings, der Organisationsberatung und der Teamunterstützung mit Führungskräften und ohne sie. Irmi Jeuther ist der tibetischbuddhistischen Tradition sehr verbunden, Arne Schäfer dem Zen-Buddhismus. Gründe genug für ein Gespräch über Wertschätzung.

Arne Schäfer, Irmi Jeuther

Ursula Richard: Wertschätzung gehört in der Sprache der Wirtschaft zu den sogenannten soft skills. Was kann man sich darunter vorstellen, bzw. wie ist das Verhältnis zu den hard facts oder hard skills zu sehen?

Irmi Jeuter: Soft skills sind all diejenigen Fähigkeiten, die mit menschlicher Kommunikation zu tun haben. Hard skills hingegen sind die fachlichen Kompetenzen. Meist wird angenommen, man könne sich auf einer rein sachlichen Ebene verständigen und gemeinsame Ziele erreichen, aber oft klappt das nicht. Dann entstehen Konflikte, es wird kaum noch miteinander geredet, die Kommunikation kommt zum Stillstand und die hard skills helfen nicht mehr weiter. Ich habe Führungskräfteseminare erlebt, bei denen das Thema Wertschätzung stark diskutiert wurde. Bei einem Schwäbischen Automobilhersteller gab es z.B. den Leitspruch: „Nichts gesagt, ist Lob genug!“ Es zeigte sich aber, dass es ganz wesentlich ist, Wertschätzung auszudrücken, und zwar nicht allgemein, sondern durch konkretes Ansprechen dessen, was ich am anderen schätze. Nicht: „Du bist Klasse!“, sondern: „Es gefällt mir gut, wie du mit Kunden sprichst!“ – das kommt wirklich an. So erfährt der andere ein Feedback, das er einordnen und mit dem er gezielt weiterarbeiten kann. Oft fehlt Mitarbeitern diese konkrete Einschätzung ihrer Arbeit. Sie fühlen sich unsicher, tappen im Dunkeln, und erst im Konfliktfall stellt sich heraus, dass es so nicht weitergeht. Diese Unsicherheit bremst die Menschen aus und sorgt dafür, dass sie ihre Arbeit ohne Freude tun.

Führungskräfte wissen inzwischen theoretisch um die Bedeutung von Wertschätzung und betrachten sie als wichtiges Instrument, aber das bedeutet nicht, dass sie sie praktizieren.

Arne Schaefer: Meist wird wirtschaftlicher Erfolg am Erreichen von Umsatzzielen gemessen, rein monetären Kriterien. Sie gelten als die hard facts, auch wenn sie sich oft als unrealistisch erweisen und eher dem entsprechen, was man dem shareholder (Anteilseigner) präsentieren möchte. Doch das beinhaltet noch keine tatsächliche Werthaltigkeit.

Generell finde ich die Orientierung an messbaren Kriterien gut. So ist z. B. der Beitrag des Vertriebs in einem Unternehmen am Umsatz messbar und verlangt eine bestimmte Kernkompetenz. Man sollte aber nicht nur darauf schauen, wie viel ein Mensch zum Umsatz beiträgt, sondern auch fragen, wie er das leisten kann. Und hier setzt unsere Arbeit an. Wir rücken die soft skills in den Mittelpunkt und versuchen, den Kitt zwischen den Menschen zu stärken. Wir fragen, was Menschen dazu bringt, gut miteinander und nicht nur nebeneinanderher zu arbeiten. Dabei spielt Wertschätzung eine wesentliche Rolle und zwar sowohl zwischen den Ebenen einer Hierarchie als auch auf einer gemeinsamen Arbeitsebene.

UR: Erfolgreiche Manager gelten im Allgemeinen als „harte Hunde“, denen ein Thema wie Wertschätzung nicht vorrangig am Herzen liegt …

AS: Es gab vor Kurzem in einer Zeitschrift einen Artikel, demzufolge typische Qualitäten von Managern im Grunde neurotische Qualität haben. Doch führen diese neurotischen Qualitäten zu Durchsetzungsvermögen, zum Entwickeln von Visionen und zu einer starken Fokussierung auf Ergebnisse, die sich durchaus als Führungsqualitäten beschreiben lassen.

Problematisch wird es dann, wenn eine Führungskraft die Verbindung zu ihren Mitarbeitern verliert. Dann werden wir angesprochen, um über ein Coaching herauszufinden, wie eine solche Führungskraft anders kommunizieren kann, um wieder in Kontakt mit den Mitarbeitern zu treten. An erster Stelle steht dabei, zunächst wieder in Kontakt mit sich selbst zu treten. Dies ist ein zentraler Punkt beim Thema Wertschätzung: Ich kann anderen gegenüber nur dann authentisch und wertschätzend auftreten, wenn ich mir selbst wertschätzend begegne.

IJ: Es lohnt sich nachzufragen, ob die angesprochenen neurotischen Fähigkeiten von Managern wirklich zu nachhaltigem Erfolg führen. Ich bezweifle das. Manager können eine Zeitlang den Wert eines Unternehmens nach oben peitschen. Doch das bedeutet noch nicht Nachhaltigkeit. In unserer Konsumgesellschaft wird bestimmten Tätigkeiten Wert beigemessen. Erfolg misst sich an äußerem Wachstum. Zum wertvollen Leben gehört jedoch mehr: innere Erfüllung, Zufriedenheit und ein harmonisches Miteinander. Eine Angstkultur mag eine Zeit lang für äußeres Wachstum sorgen, inneres Wachstum ist so nicht möglich.

Wenn eine Führungskraft in der Lage ist, Wertschätzung auszudrücken, bringt sie damit ihre Gesamtperspektive gegenüber der Arbeit zum Ausdruck: Es zählt nicht nur, was fehlt, sondern all das, was an Potenzial vorhanden ist. Mit einer Coaching-Klientin habe ich konkret daran gearbeitet, ihre Mitarbeiter nicht stereotyp zu beurteilen, sondern sich immer wieder zu fragen, was sie an der konkreten Person schätzt und was diese zum Unternehmen beiträgt.

UR: Aus meiner früheren beruflichen Praxis als Angestellte kenne ich den Zwiespalt beruflicher Wertschätzung: Alle sehnen sich danach. Doch Wertschätzung kann, wird sie gegeben, die Bereitschaft zur Selbstausbeutung sehr stärken, oder sie kann bei Entzug zur inneren Kündigung führen. Müsste es nicht ein verführerisches Instrument für Führungskräfte sein, Wertschätzung in diesem Sinne effektiv einzusetzen?

IJ: Mitarbeiter merken sehr schnell, wenn Wertschätzung strategisch eingesetzt wird. Diese nicht authentische Praxis wird sofort bemerkt. Wertschätzung benötigt Aufrichtigkeit und miteinander geteilte Emotionalität. Vertrauen in unsere Fähigkeiten lässt uns über uns hinauswachsen. Misstrauen lässt unsere Fähigkeiten versiegen. In einer hierarchischen Kultur brauchen wir immer jemanden, der uns mehr zutraut, damit wir uns entwickeln. Dies bedarf der Wertschätzung. Fehlt sie, treten die üblichen Symptome auf: Mitarbeiter fehlen häufig, ziehen sich innerlich zurück, es wird langweilig und die Kreativität bleibt auf der Strecke.

AS: Die Qualität der Wertschätzung besteht darin, dass sie authentisch verbindet. Seminare können die richtigen Impulse in diese Richtung setzen, aber entwickelt werden muss Wertschätzung im konkreten Miteinander. Da machen wir, wenn wir Klienten länger begleiten dürfen, immer wieder die sehr schöne Erfahrung, dass mit der Zeit eine neue Kultur wächst, die trägt.

Wertschätzung funktioniert nicht nur in eine Richtung. Auch von unten nach oben sollte es sie geben. Führungskräfte bedürfen ebenso der Wertschätzung durch ihre Mitarbeiter. Das ist ein Geben und Nehmen. Seitens der Mitarbeiter herrscht oft eine Kultur des Meckerns gegenüber Führungskräften.

Doch Führungskräfte übernehmen Verantwortung. Auch dies sollte geschätzt werden. Sie benötigen von ihren Mitarbeitern ein reifes Feedback.

IJ: Es fehlt auf beiden Seiten oft die Vorstellung davon, was der jeweils andere zu leisten hat. Mitarbeiter übersehen die Last des Gesamtüberblicks, die Führungskräfte schultern müssen. Dafür bedarf es der Empathie.

AS: Führungskräfte leiden oft unter der Last der alleinigen Verantwortung und darunter, sich nicht im Team solidarisieren zu können.

UR: Was ratet ihr Mitarbeitern eines Unternehmens, die sich nach mehr Wertschätzung sehnen und sie ihrer Meinung nach zu wenig bekommen?

AS: Für uns alle gilt meines Erachtens, dass wenn ich mir etwas wünsche, ich es selbst geben muss. Mein Motto ist: Beginne, Wertschätzung zu leben, indem du sie selbst ausdrückst und bei dir selbst spürst. Ich bin überzeugt, dass Wertschätzung auf diesem Wege Teil des Miteinanders wird.

IJ: Ich kann niemanden zur Wertschätzung drängen, aber ich kann sie mir selbst und meiner Arbeit entgegenbringen. Ich kann meiner eigenen Routine entgegenwirken, und als erwachsener Mensch kann ich selbst die Qualität meiner Arbeit beurteilen. Darin bin ich autonom. Wichtig finde ich jedoch, dass Führungskräfte tatsächlich lernen, Wertschätzung zu üben und sie auszudrücken. Nachhaltige Erfolgskultur lässt sich ohne Wertschätzung nicht etablieren. Wichtig ist für Mitarbeiter auch, bei einem Unternehmen zu arbeiten, auf das sie stolz sein können. Eine positive Identifikation kann z. B. dadurch entstehen, dass das Unternehmen Verantwortung für die Kommune übernimmt und so seine Wertschätzung für den Ort, wo es ansässig ist, ausdrückt. Das ist Mitarbeitern durchaus wichtig. Darin drückt sich Verbundenheit aus.

UR: Wenn Wertschätzung so wichtig ist, warum tun wir uns dann so schwer, eine Kultur der Wertschätzung zu etablieren?

AS: Das hat sicher auch historische Gründe. Und wir lernen bereits in der Schule, bestimmten Vorgaben zu folgen und uns einer Autorität zu unterwerfen. Instanzen prägen unser Leben und üben Druck aus. Wir können nicht frei unseren Träumen folgen. Es herrscht die Angst, aus dem System herauszufallen, wenn man nicht folgt. Später im Beruf muss man sich anpassen können, um Teil von etwas sein zu können. Ein Belohnungssystem sorgt dafür, dass wir glücklich sind, wenn wir Karriere machen, einen gewissen Status erreichen und uns bestimmte Dinge leisten können. Durch diese Erfahrung meinen wir, wir müssten immer erst etwas leisten, um Glück empfinden zu können. Unsere durch Konditionierung allzeit bereite Leistungsbereitschaft tut ein Übriges. Uns fehlt es auch oft an grundlegenden wertschätzenden Parametern, wie „Ich schenke dir Aufmerksamkeit“, „Ich höre dir zu“, „Ich habe ein Interesse an dir“. Das wäre anders, wenn wir von Anfang an lernen würden, dass wir so, wie wir sind, geschätzt werden. Eine fehlende Wertschätzungskultur trifft hier auf persönliches Unvermögen. Unsere Kultur vermittelt dies nicht und der Einzelne hat es nicht gelernt. Auch ein Konzept wie die Gewaltfreie Kommunikation braucht Zeit, die wir uns im Alltag oft nicht nehmen. Schnelle, auf Effizienz gerichtete top-down-Entscheidungswege sorgen dafür, dass viele Menschen Angst haben, aus dem System herauszufallen, wenn sie nicht mitmachen. Die Häufigkeit der heutzutage gestellten Burn-out-Diagnose hat sicher auch damit zu tun, dass ein hinlänglich bekanntes Phänomen jetzt endlich benannt wird, nämlich dass von mir als Mensch immer nur der Teil gefragt ist, der funktioniert. Alles andere, was mich ausmacht, findet keinen Platz, und das wird schmerzhaft erlebt.

UR: Was beinhaltet der Begriff der Wertschätzung für euch?

AS: Er beinhaltet für mich Großzügigkeit, Geduld, Konzentration, aber auch Freude. Wertschätzung ist nicht nur ein Tun, kein management tool, das ich mir zusätzlich aneignen sollte, sondern auch ein Gefühl, das Kontakt und Verbundenheit herstellt, sodass ich Freude empfinden kann am Miteinander.

UR: Warum tun wir uns dann selbst in buddhistischen Kontexten mit der Wertschätzung oft so schwer, wo doch die Entwicklung all der von dir genannten Qualitäten Teil der Praxis ist?

AS: Auf dem buddhistischen Weg treffen wir Menschen mit den gleichen Konditionierungen wie vorher beschrieben. Aber wir können hier einen gemeinsamen Schmerz erleben über die fehlende Wertschätzung in und zwischen uns; wir treffen auf Gleichgesinnte. Wenn wir darüber hinaus eine gemeinsame Organisation betreiben, treffen wir auf die gleichen Probleme, wie andere Organisationen sie auch haben. Deshalb sind m. E. buddhistische Organisationen auch nicht per se besser. Ich verknüpfe nur die Hoffnung damit, dass sich Menschen in ihnen zusammenfinden, die bereit sind, gemeinsam zu lernen und diesem Prozess Raum zu geben.

Auch ich persönlich erlebe immer wieder: In meiner buddhistischen Praxis übe ich Wertschätzung, doch im praktischen Umgang mit mir und anderen schaffe ich es nicht immer, diese Wertschätzung zu leben. Erst wenn es mir gelingt, mich mit all meinen Qualitäten so zu akzeptieren, wie ich bin, kann ich dies auch in der Zusammenarbeit mit anderen praktizieren. Werte kann ich nur generieren, wenn ich meinen eigenen Wert erfahren habe und mich als lernendes Wesen im Austausch mit anderen begreife.

Irmi Jeuther

Margrit Irgang, Autorin zahlreicher Romane, Erzählungen und Bücher über Zen; ihre Arbeit wurde u. a. mit dem Rom-Preis Villa Massimo ausgezeichnet. Seit 1984 praktiziert sie Zen bei asiatischen und westlichen Lehrern, seit 1992 bei Thich Nhat Hanh, in dessen Intersein-Orden sie Mitglied ist. Sie gibt Meditationsseminare und macht Features zu Spiritualität, Achtsamkeit und Literatur. Ihr Blog: www.margrit-irgang.blogspot.de

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Arne Schäfer

Arne Schäfer ist Diplompsychologe, Magister der Religionswissenschaften, Geschäftsführer und Gründer der mind sweets GmbH (Buddha-Bärchen), selbständig tätig als Coach und Team-Coach. Seit 20 Jahren Zenpraktizierender. Im April 2010 erhielt er Inka, die Lehrbefugnis von Zen-Meister Wu Bong. Verheiratet ist er mit Irmi Jeuther.

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