Man kann seine Zeit auch auf dem Kissen vergeuden

Ein Interview mit Beate Genko Stolte geführt von Anna Pech veröffentlicht in der Ausgabe 2017/2 Stille unter der Rubrik Stille. (Leseprobe)

Wir wenden uns häufig der Meditation zu, um unserer inneren Getriebenheit zu entkommen und unsere Lebenszeit sinnvoller und entspannter zu gestalten. Doch wenn wir nicht so recht wissen, was wir da tun, so die Zen-Lehrerin Beate Stolte im Gespräch mit Anna Pesch, können wir auch auf dem Kissen unsere Zeit vertun.

Anna Pech: Sie haben bei einem Vortrag davon gesprochen, dass man sein Leben auch auf dem Kissen sitzend vergeuden könne. Wieso können wir auch meditierend unser Leben vergeuden? Beate Stolte: In Zen-Zentren wird häufig während intensiver Praxiszeiten am Abend folgendes zitiert: Leben und Tod sind von höchster Bedeutung. Die Zeit vergeht schnell und Gelegenheiten sind verpasst. Wach auf, wach auf! Vergeude nicht dein Leben. Meine Bemerkung hat sich darauf bezogen. Ich möchte Meditierende ermutigen, in aller Tiefe zu reflektieren, was es bedeutet, Lebenszeit zu vergeuden oder eben nicht zu vergeuden.

Darin eingeschlossen ist natürlich die Frage, was ist ein sinnerfülltes, eben ein „nicht vergeudetes“ Leben? Viele kommen aufgrund dieser Sinnfrage, ob bewusst oder unbewusst ja zur Meditation und zum Buddhismus. Meditation sollte immer daran gemessen werden, wie sie unser alltägliches Leben beeinflusst, im Denken wie im Handeln.
Wie vergeudet man Zeit während der Meditation? Nun, indem man eben nicht meditiert, sondern den umherschweifenden Gedanken wie zwanghaft folgt. Gerade im Zen ist das eine Gefahr, da hier nur sehr wenig Meditationsanweisungen gegeben werden. Die Zenmeditation zielt direkt auf Nicht-Dualität, das Erkennen der Buddhanatur jenseits von Worten und Konzepten. Damit sind Meditierende in unserer modernen Gesellschaft mit ihrem in der Regel übervollen Alltagsleben allzu leicht überfordert.
Wenn sich Stille und Einsicht nicht einstellen, überlässt man sich häufig den Gedanken, dem Tagträumen. Doch gerade dieser zum Abschweifen und zur Zerstreuung neigende Geist macht uns so anfällig für das, was wir im Buddhismus die „Geistesplagen“ nennen, Leid verursachende negative Emotionen. Über die Jahre wird man erfahrener und kennt genau die äußeren Formen, die Sitzhaltung und so weiter – man richtet sich ein. Aber wie sieht es im „Inneren“ aus? Wie ist es um die innere Qualität der Meditation beziehungsweise des Geistes bestellt? Wenn Wachheit, Inspiration und Motivation fehlen, kann man auch auf dem Kissen viel Zeit vergeuden. Dann verdöst man seine kostbare Lebenszeit. Wichtig erscheint mir, sich immer wieder der eigenen Aspiration, diesem tiefsten Herzenswunsch, zuzuwenden. Warum meditiere ich? Warum tue ich, was ich tue? Was sind meine Ziele?

Sie stehen als Dharma-Nachfolgerin von Joan Halifax Roshi ja in der Zentradition und haben darin auch Jahrzehnte praktiziert. Mittlerweile integrieren Sie aber auch Elemente anderer Traditionen. Wie kam es dazu?

Zen ist nach wie vor meine Basis. Ich habe viele Jahre ausschließlich in dieser Tradition praktiziert. Doch nun – auch schon seit etlichen Jahren – praktiziere ich zusätzlich Shamatha und das 7-Punkte-Geistestraining (Lojong) aus dem tibetischen Buddhismus. In vielen mehrmonatigen Retreats (sowohl in Einzelretreats als auch mit meinem Mentor Alan Wallace) habe ich erfahren, wie ungeheuer wichtig die Fähigkeit zur Konzentration ist. Nur wenige Dinge beeinflussen unser Leben so stark wie unsere Fähigkeit, aufmerksam zu sein. Alan schreibt darüber in seinem Buch Die befreiende Kraft der Aufmerksamkeit und gibt darin eine systematische Anleitung und stellt einen Stufenweg vor. In der Shamatha-Praxis wird genau diese Fähigkeit zur Aufmerksamkeit trainiert. Normalerweise ist der untrainierte Geist selten in der Balance, sondern pendelt ständig zwischen Erregtheit, Unruhe, Müdigkeit und Antriebslosigkeit hin und her. Mit einem solchen Geist ist es aber unmöglich, in die Tiefen des menschlichen Bewusstseins vorzudringen.

Mittlerweile leite ich selbst schon seit einigen Jahren im Winter Langzeitretreats (mindestens 4 Wochen) und stelle fest, wie tiefgreifend sich für viele Teilnehmende dabei die Meditation verändert und sie sich selbst damit auch verändern. Die eigenen Meditationszeiten überwiegend selbst gestaltend, verbringen die meisten sechs bis acht Stunden täglich in stiller Meditation, den detaillierten Shamatha-Anleitungen folgend. Eigenmotivation, Vitalität, Klarheit und ein Gefühl tiefen Wohlbefindens stellen sich häufig ein.

ENDE DER LESEPROBE

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Beate Genko Stolte

Beate Genko Stolte ist Zen-Lehrerin und erste Dharma-Nachfolgerin von Roshi Joan Halifax. Als Gründungsmitglied des Buddhistischen Studienzentrums in Deutschland leitete sie es zehn Jahre als Geschäftsführerin und Direktorin. Mehrere Jahre war sie Koäbtissin und Lehrerin im Upaya Zen Center in den USA. Ende 2012 kehrte sie nach Europa zurück und lehrt jetzt in den USA und Europa.

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