Durch uns sollte Gutes in der Welt entstehen

Ein Interview mit 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2016/2 Hoffnung und Furcht unter der Rubrik Im Gespräch. (Leseprobe)

Im Sommer letzten Jahres konnte seine Heiligkeit der 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje zum zweiten Mal zu Unterweisungen nach Deutschland kommen. Bei diesem Besuch hatten Ursula Richard und Ingrid Strobl die Gelegenheit zu Interviews mit ihm. Für Buddhismus aktuell haben sie diese zusammengefügt.

© www.nalandawest.org | Foto: Filip Wolak

Buddhismus aktuell: Die Moderne birgt viele Herausforderungen. Wie kann der Buddhismus den Menschen und Gemeinschaften dabei helfen, mit den Problemen der heutigen Zeit fertigzuwerden?

Karmapa Ogyen Thrinley Dorje: Vom buddhistischen Standpunkt aus schaut man eher auf die Ursachen. Alles wird durch Ursachen bedingt. Es gibt folglich nichts, was ohne Ursachen zustande gekommen wäre. Die Menschen sollten diese Probleme daher auch als Folgen begreifen und sie als solche nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip verstehen. Die Probleme, die wir heutzutage haben, gehen in erster Linie darauf zurück, dass Menschen viele Gedanken bösartiger Natur hegen, die gegenseitiges Schaden und Verletzen beinhalten. Durch eine solche Geisteshaltung entstehen Kämpfe, Streitereien, Armut und Unfrieden. Folglich können diese Probleme nur durch eine innere Wandlung, eine erneuerte Geisteshaltung gelöst werden. Aus buddhistischer Sicht versuchen wir zu verstehen, wie die Auswirkungen gesellschaftlicher Art auf eine Geisteshaltung zurückzuführen sind.

BA: Wir stehen heute ökonomischen Krisen, ökologischen Krisen, Finanzkrisen und so weiter gegenüber. Würden Sie sagen, dass wir auch in einer spirituellen Krise stecken?

K: Das könnte man zum Beispiel im Hinblick auf China sicher so sagen. Dort haben wir zwar eine viele Tausende Jahre zurückreichende Geschichte des Buddhismus und auch des Daoismus, in den letzten Jahrzehnten jedoch ist ein großer Wandel eingetreten. Bedingt nicht zuletzt durch den enormen ökonomischen Aufschwung. Äußerlich sind die Menschen in China wesentlich reicher geworden, innerlich sind sie jedoch verarmt. Man könnte also sagen: Viel haben sie an Gütern, doch leer sind sie im Herzen geworden. Aus dieser Perspektive heraus sind sie ohne Halt. Diese innere Leere bei äußerem Reichtum ist, wenn man so will, eine spirituelle Krise, die andererseits aber auch viele dazu bewogen hat, religiöse Wege mit neu entfachtem Interesse zu betrachten.

BA: In Ihren Belehrungen hier in Deutschland haben Sie oft von Avalokiteshvara gesprochen, dem Bodhisattva, von dem es heißt, er höre alle Schreie dieser Welt und könne mit seinen vielen Armen helfen. Könnte dieser Bodhisattva für uns heute ein Rollenmodel sein?

K: Von ihm als einem heldenhaften Vorbild zu sprechen ist insofern schwierig, als es keine Geschichte gibt, die bezeugt, dass es ihn wirklich gegeben hat. Es handelt sich um eine Legende, die in erster Linie aus der Perspektive jener wichtig ist, die den religiösen Weg gehen. Geht es aber darum, Beispiele zu finden, an denen wir uns orientieren können, sollten wir unseren Blick besser auf die Geschichte der Menschheit richten. Dort finden sich unzählige gute Beispiele von Menschen, die der Welt großes Mitgefühl gezeigt haben. Avalokiteshvara ist eher als Maßstab zu verstehen, um zu erkennen, wie weit man das eigene Mitgefühl entwickeln könnte. Als äußeres Vorbild wären Menschen unserer Welt zu bevorzugen, und dabei nicht jene, die in grauer Vorzeit gewirkt haben, sondern aktuelle Beispiele. Weil wir in einer Zeit leben, in der wir alle sehr stark vernetzt sind, sind wir selbst gefordert. Die Ereignisse geschehen nicht mehr in weiter Ferne, denn wir erfahren viel direkter von den Nöten anderer und können eher helfen. Wichtig ist, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen, um selber Hand anzulegen und Mut zu zeigen …  

ENDE DER LESEPROBE

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17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Ogyen Trinley Dorje ist einer der beiden offiziell inthronisierten XVII. Karmapas, Oberhaupt der Karma-Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus. Der andere ist Thaye Dorje. Er lebt nach seiner Flucht aus Tibet im indischen Exil. 2014 besuchte er erstmals Deutschland. Er setzt sich sehr für die Gleichstellung der Frau, Umweltschutz, vegetarische Ernährung und den interreligiösen Dialog ein.

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