Die mutigen Schwestern der Goldenen Orchidee … und andere buddhistische Pioniere der gleichgeschlechtlichen Ehe

Ein Beitrag von Michael Vermeulen übersetzt von Petra Geist, Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2020/2 Diversity unter der Rubrik Diversity. (Leseprobe)

In seiner langen Geschichte hat der Buddhismus die Ehe nie als heilig oder ausschließlich betrachtet oder sie zugunsten des Zölibats pauschal abgelehnt. Tatsächlich haben Buddhistinnen und Buddhisten sich im sozialen Kampf um Gleichberechtigung engagiert. Der Arzt und buddhistische Philosoph Michael Daniel Vermeulen über eine wenig bekannte Geschichte des aktiven Mitgefühls.

Anfang des 21. Jahrhunderts haben mehrere Länder die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Diese Entwicklung hin zu einer vollen Gleichstellung homosexueller Menschen wird von Gegnerinnen und Gegnern oft als etwas Neues, Westliches und Antireligiöses dargestellt. Doch der Buddhismus war immer so flexibel, die Ehe an die lokalen Bedürfnisse anzupassen und Polygamie, Polyandrie (in Tibet) und gleichgeschlechtliche Ehe mit Adoptionsrecht (in China) zu akzeptieren.1 

Buddhistische gleichgeschlechtliche Ehe im Westen 

Eine solche Anpassung ereignete sich erneut, als Schwule und Lesben im Westen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Gleichstellung in Bezug auf die Ehe forderten. Im Jahr 2001 waren die Niederlande das erste Land der Welt, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, gefolgt von Belgien 2003, Spanien und Kanada 2005 und Südafrika 2006. In Südafrika erinnerte der Oberste Gerichtshof ausdrücklich daran, dass mit der Verweigerung der Gleichstellung der Ehe für Schwule und Lesben eine neue Form der Apartheid geschaffen würde. 

Der Buddhismus musste daran nicht erinnert werden: Schon 1995 wurde in der Nähe von Paris die erste gleichgeschlechtliche buddhistische Ehe in Europa geschlossen. In einer Umfrage 2013 unter den Mitgliedern der Europäischen Buddhistischen Union und einigen anderen buddhistischen Gemeinschaften hatten Befragte aus allen Traditionen keine Einwände gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Einige gaben an, sie seien nicht an religiöse Hochzeiten gewöhnt, würden aber gerne denselben Segen wie für heterosexuelle Paare geben. Alle, die religiöse Hochzeiten veranstalteten, sagten, dass sie dies auch gerne für Schwule und Lesben tun würden, aber nur sehr wenige hatten eine Anfrage aus ihrer Gemeinde erhalten. 

Die Feindseligkeit gegenüber der Queer Community2 im Westen war oft religiös motiviert. Die meisten Christinnen und Christen reagierten ablehnend auf die Forderung der LGBTIQ- Gemeinschaft3 nach Respekt und Anerkennung, geschweige denn nach einer Gleichberechtigung in der Ehe. Dies schürte die Überzeugung – bei Christen und queeren Menschen gleichermaßen –, dass es einen Gegensatz zwischen Homosexuellen und Gott gebe. Wenn Homosexuelle nach einer spirituellen Umgebung suchten, wurden sie kalt zurückgewiesen, wie der inzwischen verstorbene US-amerikanische Religionswissenschaftler Roger Corless es beschrieben hat: „Die häufigste Antwort war, dass es keine gab. Christen … erklärten Homosexuelle zu schweren Sündern. Zu entdecken, dass man schwul war, bedeutete anscheinend, dass man kein spirituelles Leben führen konnte. Man konnte nur Sex haben.“

Die Reaktion der buddhistischen Gemeinschaften sah da von Anfang an anders aus. So begann in den frühen 1970er-Jahren Reverend Koshin Ogui seinen Dienst in der „Buddhistischen Kirche von San Francisco“, einem Tempel der Reines-Land-Tradition. Als ein schwules buddhistisches Paar aus seiner Gemeinde um Heirat bat, akzeptierte er dies sofort und ohne Einwände. Dies trug sich fast ein halbes Jahrhundert vor der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in den USA im Jahr 2015 zu. Es gab auch keine Geheimhaltung, weder gegenüber der Gemeinschaft vor Ort noch gegenüber höheren Geistlichen. Die Zeremonie war identisch, sie wurde lediglich sprachlich angepasst, und auch der Veranstaltungsort war derselbe wie für heterosexuelle Paare. In den folgenden Jahren gab es in allen wichtigen buddhistischen Traditionen in Nordamerika gleichgeschlechtliche buddhistische Trauungen, die meisten in Zen- und Shin-Gemeinschaften und bei der Soka Gakkai International (SGI-USA). 

Auf christlicher Seite sieht das Bild ganz anders aus. Einzelne Geistliche versuchten, homosexuellen Paaren eine Trauung zu ermöglichen. Um nicht in Konflikt mit religiösen Leitlinien zu geraten, wurden diese Zeremonien jedoch oft unter einem anderen Namen wie „Heilige Vereinigung“ oder „Segen“ und im Geheimen vollzogen. Sobald höhere Hierarchieebenen davon erfuhren, verboten die meisten Kirchen diese Praktiken und kämpften, oft mit heftigen Hassreden, auch gegen die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen. US-Amerikanische Buddhistinnen und Buddhisten hingegen setzten sich aktiv für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in ihren Bundesstaaten ein, insbesondere in Hawaii und Kalifornien. 2012 baten auch die beiden buddhistischen Organisationen Australiens (eine für Laien, eine für Geistliche) ihre Regierung, die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren. 

Buddhistische gleichgeschlechtliche Ehe im Osten 

Auch die traditionellen buddhistischen Länder finden zu einer immer stärkeren Akzeptanz. 2004 empfahl der kambodschanische König Norodom Sihanouk seinem Land, die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren. In Japan begann der Zen-Shunkoin-Tempel in Kyoto 2010 mit der Durchführung buddhistischer gleichgeschlechtlicher Hochzeitszeremonien. 2013 debattierte Thailand über neue Gesetze im Parlament, die derzeit jedoch aufgrund politischer Spannungen ausgesetzt sind. Im Jahr 2014 trat der Dalai Lama in der Öffentlichkeit für säkulare gleichgeschlechtliche Ehen ein, und im Jahr 2017 entschied das Verfassungsgericht von Taiwan, das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe sei eine Verletzung des Rechts auf Gleichheit. Taiwan war dann auch das erste asiatische Land, das am 24. Mai 2019 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte. 

Die Akzeptanz des Buddhismus für sexuelle Vielfalt und die Unterstützung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Asien ist jedoch nicht neu. Die ersten jesuitischen Missionare im China und Japan des 16. Jahrhunderts zeigten sich schockiert über die große Offenheit des Buddhismus gegenüber der Homosexualität. Für sie galt dies als Beweis für die Unterlegenheit der fernöstlichen Kulturen im Allgemeinen und die Dekadenz und Unterlegenheit des Buddhismus im Besonderen. 

Buddhistinnen und Buddhisten ihrerseits waren, wie Quellen zeigen, schockiert von den hasserfüllten Reden, mit denen sich die Jesuiten gegen etwas stellten, das sie als eine schlichte Tatsache des Lebens betrachteten. 

In China gab es über Jahrhunderte hinweg eine Tradition gleichgeschlechtlicher Ehen: Während der Yuan- und Ming-Dynastien (1271–1644) waren die Männer in der Provinz Fujian im ganzen Reich für ihre langjährigen Beziehungen zu anderen Männern berühmt. Diese wurden oft durch legale Hochzeitszeremonien formalisiert, ähnlich geschah es bei lesbischen Beziehungen. Wenn Frauen der überaus patriarchalen konfuzianischen Gesellschaft entkommen wollten, bestand für sie oft der einzige Ausweg darin, buddhistische Nonnen zu werden. Während der Qing-Dynastie (1644-1911) entstand eine alternative Bewegung in der Seidenprovinz Guangdong, deren Gruppierungen als „Schwesternschaften der Goldenen Orchidee“ bekannt sind. Diese Frauengesellschaften waren in der Seidenindustrie tätig und vereinten ihre Kräfte, um physisch und finanziell von Männern unabhängig zu bleiben. Sie lehnten es nicht nur ab, einem Ehemann in der Ehe untergeordnet zu sein, sondern auch einem männlichen Geistlichen als Nonne. 

Die Schwesternschaften der Goldenen Orchidee bezeichneten Bodhisattva Guan-Yin als ihr geistiges Vorbild. Guan-Yin – in Tibet als männlicher Avalokiteshvara, in Japan als weiblicher Kannon bekannt – gilt als Bodhisattva des Mitgefühls. Sie sieht alles Leid der Welt, noch im dunkelsten Winkel. Weniger bekannt ist, dass Guan-Yin auch buddhistische Schutzpatronin der sexuellen Vielfalt wurde: In China kursierte die weit verbreitete Legende, dass Guan-Yin einst eine Prinzessin gewesen sei, die die heterosexuelle Ehe abgelehnt habe und auf diese Weise zur Heldin geworden sei – für Frauen, die sich gegen die patriarchale Dominanz auflehnten, und für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Mitglieder der Schwesternschaft der Goldenen Orchidee schworen Guan-Yin, niemals einen Mann zu heiraten. Einige begingen sogar Selbstmord, wenn sie zu einer heterosexuellen Ehe gezwungen werden sollten. 

Viele Mitglieder der Goldenen Orchidee lebten in engen Freundschaften zusammen, andere in sexuellen Beziehungen. Einige Paare ließen sich – rechtlich anerkannt – gleichgeschlechtlich trauen. Sie durften legal verwaiste und verstoßene Mädchen als Töchter und Erbinnen adoptieren. Die Schwesternschaften der Goldenen Orchidee wurden verboten, als die Kommunistische Partei Chinas 1949 an die Macht kam. 

Übersetzung aus dem Englischen: Petra Geist und Susanne Billig.

Anmerkungen

  1. Ausführlichere Informationen und die vollständigen Referenzen für Zitate in diesem Beitrag finden sich in dem englischen Konferenz- und Buchbeitrag des Autors: „The rise of Rainbow Dharma: Buddhism on sexual diversity and same-sex marriage“, tinyurl.com/rainbow-dharma-vermeulen. Eine weitere englischsprachige Fassung, auf der auch dieser Beitrag basiert, erschien im Frühjahr/Sommer 2018 im European Buddhist Magazine: tinyurl.com/pioniere-vermeulen.
  2. Queer: Im englischen Sprachraum ursprünglich ein abwertendes Wort für Menschen, die nicht heterosexuell sind („schräg“). Im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre wurde das Wort von den damit Bezeichneten politisch positiv besetzt. Heute hat es ein weites Bedeutungsfeld, in das sich alle Menschen und Initiativen, die sich als „nicht der heterosexuellen Norm entsprechend“ verstehen, auf eigenen Wunsch einsortieren können.
  3. LGBTIQ*: Lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell, queer. Das manchmal noch angehängte Sternchen steht für die Vielfalt weiterer persönlicher Identitäten.
  4. Vinaya 3, 35. DieGeschichte erzählt von einer plötzlichen magischen Veränderung von Eigenschaften. Man sollte dabei im Hinterkopf haben, dass die Menschen vor 2 500 Jahren weder über das differenzierte Vokabular für sexuelle Vielfalt verfügten, das wir heute verwenden, noch zwischen einem anatomischen und einem sozial konstruierten Geschlecht unterschieden.
  5. Majjhima Nikaya 98, Der Mittlere Diskurs des Buddha, nach der englischen Übersetzung von Bikkhu Bodhi und Bhikkhu Nanamoli, Wisdom Publications 1995.

ENDE DER LESEPROBE

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Michael Vermeulen

ist buddhistischer Philosoph und Arzt. Von 2011 bis 2015 war er Vertreter der Europäischen Buddhistischen Union bei der EU. Er sprach auf mehreren UN-Konferenzen über Menschenrechte, queeren Bud-dhismus und buddhistischen Umweltschutz und ist Mitgründer des European Rainbow Sangha und der Gay Buddhist Fellowship of London.

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