Die Globalisierung des Buddhismus

Ein Interview mit Prof. Dr. Inken Prohl geführt von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2015/1 Gemeinschaft unter der Rubrik Im Gespräch.

Ein Gespräch mit der Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Inken Prohl über Buddhismus zwischen Tradition und Selbstoptimierung

Ursula Richard: Sie untersuchen, welche Transformationsprozesse der Buddhismus, und hier vor allem der Zen-Buddhismus, auf seinem Weg in den Westen, in die Mitte unserer Gesellschaft durchläuft. Was konnten Sie dabei feststellen?

Inken Prohl: Wenn es um die Transformation des Buddhismus in der Moderne geht, dann ist es zunächst wichtig festzuhalten, dass es dabei nicht um einen von westlichen Akteuren bestimmten Prozess geht, sondern es handelt sich um kulturelle Prozesse, in denen westliche und östliche Akteure aufeinandertreffen. Das Produkt dieses Aufeinandertreffens ist ein globaler Buddhismus, den Sie in Berlin, San Francisco, Neuseeland, Australien und Rio de Janeiro, aber auch Taiwan, Singapur und Japan finden. Es handelt sich also um ein Phänomen, das sowohl im Westen wie im Osten präsent ist. Allerdings ist es in den westlichen, sogenannten hochindustrialisierten Gesellschaften stärker ausgeprägt, denn hier hat sich ein ganz bestimmtes Paradigma, das der Selbstbearbeitung und Selbstoptimierung herausgebildet.

Bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert war der Zen-Buddhismus eine relativ kleine, konservative Schule innerhalb des japanischen Buddhismus. Im Mittelpunkt standen Ahnenrituale und Rituale zum Wohlergehen des Staates. Wesentliche Identitätsmarker waren zum einen das Zazen und zum anderen im Rinzai-Zen die Koans, diese paradoxen Redewendungen bzw. Erleuchtungsdialoge, wie ich sie nennen würde Zazen wurde von westlichen Interpreten des Zen-Buddhismus als Meditation angesehen, in deren Mittelpunkt eine religiöse Erfahrung stehen sollte. Eine transzendente Energie, Kraft, Gewalt bzw. Wahrheit sollte dabei erfahren werden können. Das ist verwunderlich, denn in kanonischen japanischen und chinesischen Texten gibt es kein Äquivalent für unsere Begriffe von Erfahrung oder Erlebnis.

Der Soto-Zen-Buddhismus basiert auf Dogen Kigen (13. Jahrhundert). Ihm verdanken wir all die strengen monastischen Regeln. Aus den Schriften Dogens geht hervor, dass es sich beim Zazen, beim Sitzen in der Lotosposition mit halbgeschlossenen Augen, um eine Art Nachahmung, ein re-enactment der Erleuchtung des Buddha handelt. Auf diese Weise sollen die Kraft des Dharma, des Buddha für alle sichtbar werden. Aber es geht dabei nicht um Gefühle oder spirituelle Erfahrung. Wenn überhaupt, geht es um einen Nachvollzug der Lehre des Buddha, aber ohne sie selbst durchdringen zu müssen. Denn die Wahrheit ist ja schon erkannt. Also muss man nichts mehr denken und nichts Neues mehr mystisch erfahren. Es ist alles bereits gesetzt. Es geht also um Nachvollzug.

Das ausgehende 19. Jahrhundert war jedoch von der Idee der religiösen Erfahrung begeistert. Denn das war die letzte Bastion von christlichen wie anders religiösen Intellektuellen gegen den fortschreitenden Rationalismus und Empirismus. Alles ließ sich beweisen. Man konnte beweisen und historisch-philologisch nachvollziehen, wie die Bibel und der Pali-Kanon entstanden sind. Mit der Behauptung der religiösen Erfahrung, bei der jede/r Einzelne die religiöse Wahrheit nachvollziehen muss, konnte man sich vor der wissenschaftlichen Forschung schützen. Die religiöse Erfahrung wurde zum Wundermittel für alle möglichen religiösen Apologeten, die ihre Wahrheit behaupteten.

Diese Idee wurde zusätzlich unterstützt durch die aufkommende Psychologie. So ist es ebenso wenig ein Zufall, dass William James großen Einfluss auf D. T. Suzuki hatte, wie der Umstand, dass für weite Teile dieser erfahrungsbegeisterten, religiösen Spirituellen im ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhundert Emanuel Swedenborg eine wichtige Leitfigur war. Dieser große Mystiker hat D. T. Suzuki ebenfalls beeinflusst. Man kann in dieser Zeit von einer Gemengelage von Zuschreibungen an Religionen sprechen. Damit wurde D. T. Suzuki konfrontiert. Er lebte um die Jahrhundertwende ca. zehn Jahre in den USA und arbeitete als Übersetzer. Suzuki schrieb interessanterweise zunächst über Buddhismus. Erst nach seiner Rückkehr nach Japan Ende der 30er-, Anfang der 40er-Jahre begann er, über Zen-Buddhismus zu schreiben. Suzuki entwickelte die Idee des Zen-Buddhismus als einer religiösen Erfahrung, bei der es mittels Satori um das Erkennen der religiösen Wahrheit geht. Diese ist eine individuelle, kognitiv-emotionale Angelegenheit und kein monastischer, geregelter Nachvollzug einer bereits gesetzten religiösen Wahrheit. Im Grunde drehte er das, was der Zen-Buddhismus bis dahin war, um und schuf das Suzuki-Zen, wie wir gerne sagen.

Darin besteht die wesentliche Transformation. Deren zentrale Faktoren sind die Idee der Mystik, die Psychologie und die damit verbundene Idee der Selbstbearbeitung und Selbstoptimierung sowie demokratisch-liberale Verhältnisse. Das heißt, Menschen können individuell entscheiden, welche Religion sie wählen. Das ist alles neu für den Buddhismus.

UR: Suzuki traf in den USA auf viel Zuspruch in Künstlerkreisen. Komponisten wie John Cage oder auch bildende Künstler haben Suzukis Zen aufgegriffen.

IP: Ja, vor allem die Beatniks, aber auch die intellektuelle Szene. Ruth Sasaki Fuller, die eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Zen-Buddhismus in den USA gespielt hat, spricht davon, dass man in den 50er-Jahren in den USA auf keine Party gehen konnte, ohne mit dem schicken Thema Zen konfrontiert zu werden. Daran kann man wieder die transkulturellen Wechselwirkungen erkennen: eine allgemeine Unzufriedenheit mit Amerikas wachsendem Reichtum, die Kritik am zunehmendem Materialismus, am Kernfamilienideal und dazu das vermeintlich Exotische des Zen-Buddhismus. Aber bezeichnend ist der Mann von Ruth Sasaki Fuller. Er kam, wie viele ordinierte Zen- Priester, aus Japan. Sokei-an Sasaki hatte, wie viele andere, Japan verlassen, weil er den Verhältnissen in Japan kritisch gegenüberstand. Er meinte, durch die strenge monastische Disziplin werde den einzelnen Adepten ihre Fähigkeit, selbstständig zu denken, ausgetrieben, sodass sie nur durch die Mönchsregeln den buddhistischen Dharma verkörpern können. Das lehrt auch Dogen. Das ist aber, so seine Sicht, nicht das wahre Zen. Das wahre Zen meinte er in Amerika verwirklichen zu können, wo die Menschen nach neuen, individuellen religiösen Erfahrungen streben.

Er hielt Vorträge in den USA und offenbar langweilten sich seine Zuhörer.. Ruth Sasaki Fuller sagte ihm daraufhin, er müsse Zazen mit seinen Schülern praktizieren. Doch er wollte das nicht, da dies doch die strenge Disziplin sei. Er wolle die individuellen religiösen Erlebnisse. Dann bot er Zazen an, und sein Dojo war voll. Daran sieht man, wie stark unsere heutige Form des Zen-Buddhismus im Westen von westlichen Akteuren vorangetrieben wurde.

UR: Sie haben bereits das Konzept der Selbstoptimierung angesprochen. Dies scheint jetzt ein neuer Bereich für Zen zu werden. Google legt in Kalifornien spirituelle Programme auf, die von Zen-Akteuren betrieben werden. „Zen und Leadership“ ist angesagt, mittlerweile auch bei uns.

IP: Man muss genau hinschauen, um was für eine Art von Zen-Akteuren es sich dabei handelt. Meines Erachtens sind die traditionellen westlichen Zen-Institutionen, wie z. B. Zen-Vereinigung e.V., AZI, das San-Francisco-Zen-Center, dessen Ableger und die zweite Generation, die auf japanische Lehrer zurückgeht, noch stark an den japanischen Institutionen orientiert. In der Zen-Vereinigung e.V. gibt es keinesfalls das Konzept von Selbstoptimierung. Dort gibt es nur die orthodoxe Zazen-Lehre und keine Idee von Selbstfindung. Allerdings sind seit den 1970er-Jahren viele Zen-orientierte Gruppierungen neu entstanden. Dort steht häufig Selbstfindung, Selbstbearbeitung, Selbstoptimierung im Vordergrund. Dies folgt dem in den USA aufgekommenen Glauben, dass wir unseren Geist, wenn wir ihn nur entsprechend bearbeiten, optimieren können und so auch unsere geistigen und eventuell sogar unsere körperlichen Krankheiten heilen könnten.

Das klingt buddhistisch, denn buddhistische Akteure waren schon immer mit der Frage des Leidens und damit auch der Heilung beschäftigt. Doch sie taten das zum einen auf einer eher doktrinären, rituellen Ebene. Denn für den durchschnittlichen buddhistischen Akteur bedeutet buddhistische Praxis traditionellerweise, dass man dem Sangha spendet, damit die Mönche Sutren rezitieren und er dadurch rituelle Tugendpunkte sammeln und sein Leiden mindern kann. Die Mehrzahl buddhistischer Laien beschäftigt sich nicht selbst mit der Bearbeitung des eigenen Geistes. Die buddhistischen Priester und Mönche in Asien sind damit beschäftigt, den Dharma durch ihre Aktionen, Rituale, Mandalas und durch Zazen sichtbar zu machen.

Hier im Westen ist das anders. Doch weil es in beiden Fällen um Leiden und Heilung geht, denken wir dies oft zusammen. Aber hier im Westen haben wir die Idee des modernen Selbst entwickelt. Diese hat sich inzwischen jedoch auch in Asien ausgebreitet, und so findet die Idee der Selbstoptimierung auch in Taiwan, Singapur und Japan ihren Platz. D. T. Suzuki schrieb zunächst übrigens in Englisch. Später wurden seine Schriften ins Japanische übersetzt und werden seitdem immer wieder neu aufgelegt. In Japan gibt es um Bücher oft Banderolen. Die aktuelle Banderole um Shunryu Suzukis Buch Zen- Geist, Anfänger-Geist lautet: „Die Bibel von Steve Jobs“. So wird suggeriert, wenn ihr Suzuki lest, könnt ihr euren Geist so bearbeiten, dass ihr schneller, leistungsfähiger und fähig zum Multitasking werdet. Ihr werdet weniger gestresst sein und mehr für die neoliberale Gesellschaft leisten können. Das hat Steve Jobs auch gemacht und deshalb war er so erfolgreich. Apple ist in Japan wie andernorts auch die Religion.

So gibt es immer mehr Zen-inspirierte Workshops und therapeutische Angebote, die behaupten, man könne durch vom Zazen inspirierte Körperübungen und Meditation den eigenen Geist verbessern, heilen, ändern und optimieren. Die Idee der buddhistischen Praxis in weiten Teilen Asiens war aber im Wesentlichen die einer Entlastung. Man konnte die Mönche um die Rezitation eines Sutra bitten, wenn man entsprechend gezahlt hatte. So bekam man eine transzendent gedachte Hilfe, ohne dass man sich selbst über die Einhaltung der Gebote hinaus geistig anstrengen musste. Dies geschah auf der Basis der Vorstellung, nicht für alles selbst verantwortlich sein zu können, sondern manchmal auch transzendente Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.

UR: Heutzutage jedoch sind wir stets für alles selbst verantwortlich, für unser Glück und unser Unglück, ob wir im Beruf Erfolg haben oder nicht, ob wir „das Beste aus uns rausholen“.

IP: Wenn man eine aus dem monastischen, institutionalisierten Rahmen herausgerissene Form des Zen als Optimierungsstrategie praktiziert, dann handelt man sich damit auch den Gedanken ein, dass man für alles selbst verantwortlich ist. Das beinhaltet auch, zu akzeptieren, dass all die Ziele, die uns heute gesetzt werden, richtig sind. Aber es ist doch fraglich, ob Multitasking, Stress und die eigenständige Bewältigung von allem unhinterfragt bleiben müssen.

Besonders auffällig wird dies in Bezug auf den tibetischen Buddhismus. Der Dalai Lama hat sicherlich Großartiges für seine Landsleute vollbracht. Doch die Form des Buddhismus, die er aus unterschiedlichen Gründen dem Westen darbietet, ist eine Art „Buddhism for happiness“, ein Buddhismus zum Glücklichsein. Für seine tibetischen Anhänger jedoch bedeutet Buddhismus eigentlich Identität, Familienzugehörigkeit, das Bewahren von Bräuchen, die Sorge um die Toten und die Entlastungsfunktion durch das Streben nach diesseitigem Nutzen. Und dies kommt im Buddhismus zum Glücklichsein gar nicht mehr vor. Man muss einfach sehen, dass wesentliche Teile der buddhistischen Praxis durch das Ideal der Selbstoptimierung und die Fixierung auf das Glücklichsein abgeschnitten werden.

Religiöse Angebote richten sich nach der Nachfrage und transformieren sich immer. Besonders vor dem Hintergrund der neoliberalen Zwangsideologie mit ihrer Vorstellung des ständigen Glücklichseins und Funktionierens von der Geburt bis zum Tod lohnt es sich, einmal nachzuschauen, wie stark das buddhistische Angebot dadurch reduziert wird.

UR: Geht es aber nicht grundsätzlich um das Wohlergehen bei religiösen Lehren und Praktiken? Wozu bräuchte man sie letztlich sonst?

IP: Sicher geht es darum, doch daneben wird gar kein Platz mehr gelassen. Manche Schicksalsschläge kann man nicht mit MBSR überwinden. Da muss man einfach einmal traurig sein. Das wird inzwischen auch von einigen Lehrern berücksichtigt. Es gibt MBSR- und auch Zen-Angebote von Psychotherapeuten, die sich an stark psychisch beanspruchte Menschen, z. B. Borderline-Persönlichkeiten, richten. Aber auch an dieser Stelle frage ich mich, welche Effekte solche Angebote versprechen: Was passiert, wenn ich einfach nicht die mentale Kraft dafür habe? Gibt es dann einen Ausweg? Welche Entlastungsmöglichkeit gibt es? Wie entrinne ich dem ständigen Zwang zum Selbst-Coping (Selbst mit dem Leben klarkommen)?

Nimmt man solche Angebote in Anspruch, muss man häufig unterschreiben, dass man selbst die Verantwortung für die psychischen Folgen übernimmt. Und ich denke, das ist ein gutes Indiz. Wir sagen zwar immer, dass die Lehrenden verantwortlich handeln sollen und dass Anbieter ausreichend psychologische Grundausbildung besitzen sollten, um Interessenten auch andere Angebote empfehlen zu können, wenn sie nicht weiterkommen. Doch die Nutzer solcher Angebote sollten selbst wissen, worauf sie sich einlassen: Es ist ein individualisierter Versuch, mit Dingen fertig zu werden bzw. Dinge zu optimieren, und der kann Nebenwirkungen haben.

Prof. Dr. Inken Prohl

Inken Prohl, Prof. Dr., forscht und lehrt seit 2006 am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg. Mehr jährige Forschungsaufenthalte in Japan, wo sie sich mit dem Wandel des Buddhismus in der Gegenwart beschäftigte. Schwerpunkte ihrer Forschung: Moderner Buddhismus sowie Materiale Religion.

Alle Beiträge Inken Prohl