Abschied von einem romantischen Buddhismus

Ein Beitrag von Dr. med. Ulrich Küstner veröffentlicht in der Ausgabe 2014/4 Abschied unter der Rubrik Vom Leben und Sterben. (Leseprobe)
© Victoria Knobloch

Niemals in der Geschichte gab es einen solch breiten Zugriff auf die unterschiedlichen Traditionen des Buddhismus. Nie war aber auch die Spannbreite der geistigen Strömungen, auf die der Buddhismus in einer für ihn neuen Kultur trifft, so weit gefasst: Monotheismus und protestantische Reformation, die europäische Aufklärung, die wissenschaftliche Revolution und das rationale Denken, der Kolonialismus und seine Auswirkungen sowie eine nie dagewesene religiöse und spirituelle Pluralität. Ein wesentlicher Einfluss auf den heutigen westlichen Buddhismus wird aber von uns kaum wahrgenommen, weil das zugrunde liegende Denken uns so in Fleisch und Blut übergegangen ist – die Romantik. Unser heutiger Buddhismus ist meines Erachtens so populär, weil er bereits vermischt mit psychologischem Denken aus dem Erbe der Romantik zu uns kommt. Selbst die Lehren zeitgenössischer asiatischer Lehrer enthalten mehr Schiller, Schelling und Schleiermacher, als wir ahnen. Wie jede Brille selektiert die romantische Sicht das Vertraute und blendet aus, was nicht zu ihr passt. Der moderne Diskurs, und vieles davon ist pure Romantik, setzt zahlreiche nicht verhandelbare Dogmen und Randbedingungen, die – so meine These – eine ganze Menge „eigentlichen“ Buddhismus verhindern und ausgrenzen. Und weil das romantische Denken in unserer Gesellschaft so allgegenwärtig ist, nehmen wir es nicht als eine Brille wahr, die wir aufhaben. So laufen wir Gefahr, originäre, zentrale Elemente des historischen Buddhismus zu verlieren.

Was ist Romantik? Bei Novalis heißt es: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ (zit. n. Safranski) Safranski erkennt darin eine untergründige Beziehung der Romantik zur Religion. „Sie gehört zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen.“ Vor allem ging es in der Romantik immer um die Grenzen des diskursiven Verstandes, die überschritten werden müssen, es ging um persönliche Erfahrung und Individualität. Das Gegenstück zur erlebten Entfremdung ist die romantische Idee vom befreiten Ich: das Recht auf Persönlichkeit, die Befreiung von den Schranken der Herkunft und der gesellschaftlichen Konventionen.

Eine ins Unendliche gerichtete Sehnsucht nach Heilung der Welt war eine ebenso wichtige romantische Idee. Die hoffnungsvolle Vorstellung einer vollständigen Heilung durch die Kraft des Geistes, der Sieg über die niedere Materie und den daraus geformten Körper ist zutiefst romantisch (und zutiefst dualistisch). In ähnlicher Weise sind die heute verbreiteten Ideen von Ganzheitlichkeit, Ganzwerdung und universeller Verbundenheit eher idealisierende Sehnsüchte und kurative Fantasien als realistische Konzepte funktioneller Zusammenhänge. Bei aller Naturverbundenheit stand schon in der Romantik nicht der Schutz der Natur im heutigen ökologischen Sinne im Mittelpunkt. Das Konkrete der Natur war für die Romantik vergleichsweise uninteressant. Die Natur wurde letztlich in den Bereich der Ästhetik ausgelagert, und die beschworene Ganzheitlichkeit und All-Verbundenheit war eher eine schwärmerische Empfindung als praktische Verantwortlichkeit. Ob das heute so anders ist, will ich hier offen lassen. In der Romantik entstand auch Differenzierung zwischen Religion als persönliche Erfahrung und den religiösen Institutionen. Damit verbunden waren die Abneigung gegenüber Offenbarungsreligionen, bei denen eine Institution die Definitionsmacht hat, und die Bevorzugung der persönlichen Erfahrung im eigenen Geist oder in der Natur. Die Romantiker sind hierin die Vorläufer unserer heute weit verbreiteten Haltung „Spiritualität ja, Religion nein“.

ENDE DER LESEPROBE

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Dr. med. Ulrich Küstner

Ulrich Küstner, Dr. med., Facharzt für Pneumologie und Psychotherapeut für Verhaltenstherapie. Beschäftigung mit dem Buddhismus seit 1973, Schüler von Akong Rinpoche seit 1978. Therapeut und Ausbilder in Tara Rokpa-Therapie. Gründungsmitglied der AG „Buddhismus und Psychotherapie“ der Buddhistischen Akademie und Mitausrichter der jährlichen Tagungen seit 2002.

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