Editorial der Ausgabe 2019/2

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2019/2 Freundschaft unter der Rubrik Editorial.

Freundschaft ist der Schwerpunkt der ersten Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell, die von der neuen Chefredakteurin Susanne Billig betreut wird. In ihrem Editorial greift sie die unterschiedlichen Facetten des Begriffs Freundschaft auf: Welche Bedeutung hat Freundschaft in der heutigen Zeit mit ihren Anforderungen an Mobilität und Flexibilität des Einzelnen, und was macht spirituelle Freundschaft für die „spirituellen Geschwister“ und innerhalb der Buddhistische Gemeinschaft aus? Spielt auch das Verhältnis, das man zu sich selbst hat, eine Rolle in dem Verhältnis zu anderen? Kann man sogar mit Tieren befreundet sein? Und was hat die Freundlichkeit mit all dem zu tun? Neben diesen Fragen nimmt Susanne Billig Stellung zu ihrer neuen Rolle als Chefredakteurin, reflektiert das Vergangene, legt ihre Perspektiven für die Zukunft der Zeitschrift dar und kommt zu dem Schluss, dass die Themen nicht ausgehen werden, „weder die zeitlosen noch die aktuellen“.

Liebe Leserinnen und Leser,

wir leben in einer Zeit der Flexibilisierung und Globalisierung. Traditionelle Bezüge – der langjährige Arbeitsplatz, der feste Wohnort, die auf Dauer angelegte Familie – erodieren. In immer kürzeren Zeitabständen soll der einzelne Mensch sich neu erfinden und auf neue Umstände einstellen. Umso wichtiger sind, das zeigt auch die soziologische Forschung, menschliche Beziehungen geworden, die eine dauerhafte Heimat versprechen – ein guter Grund, das Thema „Freundschaft“ zum Schwerpunkt der neuen Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell zu machen.

Eine – sehr lesefreudige – spirituelle Heimat haben die Dharmalehrerin Sylvia Wetzel und ihr Freund Karl Beer als „spirituelle Geschwister“ miteinander gefunden. Im Interview erzählen sie, was ihre mehr als 40-jährige Freundschaft so lebendig hält. Wer Freundschaften mit anderen Menschen unterhalten möchte, muss auch zu sich selbst in einer guten Beziehung stehen – warum das so ist, erklärt die Psychologin und Meditationslehrerin Tara Brach in ihrem Beitrag. Der Zusammenhang zwischen der Liebe zu sich selbst und zu anderen war schon den antiken Griechen bewusst, hat die Philosophin und Zen-Praktizierende Ursula Baatz beim Blick zurück auf europäische Freundschaftsideen herausgefunden. Können Menschen und Tiere auch miteinander befreundet sein? Diese Frage sollte man, trotz massenhafter Haustierhaltung, nicht mit einem vorschnellen Ja beantworten, betont die Philosophin und Muslimin Hilal Sezgin im Gespräch – zu widersprüchlich, zu gewalttätig ist unser Verhältnis zu ihnen. Was macht den Wert spiritueller Freundschaften in buddhistischen Gemeinschaften aus? Darüber gibt der Dharmalehrer Wilfried Reuter Auskunft. Spirituelle Freundinnen und Freunde spenden im Idealfall so etwas wie einen Raum von Geborgenheit, unterstreicht er, in dem Verletzlichkeiten sich zeigen und heilen können. Und die Freundlichkeit? Ist sie nur ein formeller Ableger der Freundschaft? Keineswegs, betont der Wirtschaftswissenschaftler Karl-Heinz Brodbeck: Freundlichkeit führt direkt ins Herz der buddhistischen Lehre.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einige persönliche Worte: Mit der vorliegenden Ausgabe wechsle ich von der Online- in die Print-Redaktion von BUDDHISMUS aktuell. Ursula Richard und ihre Vorgängerinnen und Vorgänger haben Großartiges geleistet. Das wurde mir noch einmal klar, als ich jetzt in die digitalen Archive eingetaucht bin, um mich zu Beginn meiner neuen Tätigkeit zu orientieren: Welche Themen waren schon einmal da? Welche Autorinnen und Autoren konnten bereits gewonnen werden? Welche Schwerpunkte wurden konzipiert, welche Fragen gestellt, beantwortet, bewusst offen gelassen? In den vielen Jahren, die diese Zeitschrift schon erscheint, hat es, so konnte ich noch einmal sehen, schon so viele hervorragende Beiträge und wertvolle Themen gegeben – wie soll ich das neu erfinden?

Doch glücklicherweise geht es ja darum nicht. Der Wert buddhistischer Spiritualität liegt darin, Menschen konzentriert in die Tiefe und nicht wahllos in die Breite zu führen. Eine buddhistische Zeitschrift muss eine gute Balance finden zwischen den zeitlosen Themen einerseits, die im Zentrum des Buddhismus und in der Natur des menschlichen Lebens liegen und immer wieder zu tun haben mit der Suche nach Weisheit, Klarheit, Großzügigkeit, Erkenntnis, mit kritischer Distanz zu den Versprechungen der Welt und engagiertem Eintreten für mitfühlende Verhältnisse – und einer aktuellen Berichterstattung andererseits, weil buddhistisches Leben sich unter realen gesellschaftlichen Umständen abspielt und damit umgehen muss. Soziale Umbrüche, Politik, Kunst, Migration, Klimaveränderung, globale Gerechtigkeit – wie sollte alles das nicht auch Gegenstand buddhistischen Nachdenkens sein?

Insofern werden uns die Themen nicht ausgehen, weder die zeitlosen noch die aktuellen. Darauf freue ich mich – und wünsche Ihnen schöne Frühlingstage mit ausreichend Regen und eine interessante Lektüre.

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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