Christine A. Chandler

Enthralled

The Guru Cult of Tibetan Buddhism

Heft: 02 | 2020 Diversity
Verlag:Book Baby
Ort:New Jersey, USA
Jahr:2019
ISBN:978-1-5439-5777-8
Preis:26,50 €
Seiten:530
Paperback

Rezension

Das Buch der amerikanischen Psychologin und Sozialarbeiterin Christine A. Chandler enthält eine Darstellung und Kritik der Machtstrukturen und politischen Ambitionen tibetisch-buddhistischer Gemeinschaften. Im Unterschied zum Wegschauen und zur Beschuldigung der Opfer, die immer noch verbreitet sind, wirft sie einen sehr gründlichen „Blick hinter die Thangkas“. Der Mythos von der Geschlechtergleichheit im Tantra wird schonungslos mit der Wirklichkeit konfrontiert. Chandler selbst gehörte dreißig Jahre lang der von Chögyam Trungpa gegründeten Shambhala-Gemeinschaft an. Die Dimension des Missbrauchs und der Gehirnwäsche, die sie zu Tage fördert, ist erschreckend. Trungpa und sein Sohn Sakyong Jamgon Mipham unterhielten einen regelrechten Harem. Einige der betroffenen Frauen landeten am Ende in Nervenkliniken oder töteten sich. Chandler sieht auch im Guru selbst ein Opfer repressiver Strukturen. So führt sie Trungpas rücksichtsloses Verhalten und seine Bindungsunfähigkeit auf die erzwungene frühkindliche Trennung von seiner Mutter zurück, da Tulkus von Mönchen in einer Mischung aus Verhätschelung und brutaler Strenge erzogen werden.

Trotz seiner großen analytischen Stärken leidet das Werk unter den ständig wiederholten Thesen und Beispielen. Auch löst die Autorin das mehrfach gegebene Versprechen einer Abgrenzung der buddhistischen Originallehren vom „Buddhismus à la Shambhala“ nicht wirklich ein. Dennoch: Wer dieses Buch gelesen hat, sieht den tibetischen Buddhismus hernach mit ganz anderen Augen. Neben June Campbells „Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen“ ist Chandlers Werk ein wichtiger Beitrag zu einer kritischen, westlichen Rezeption des Buddhismus. Mancher Anhängerin oder manchem Anhänger der tibetischen Schulen mag die Lektüre wie bittere Arznei schmecken. Aber wie ein chinesisches Sprichwort sagt, sind es gerade diejenigen Worte, bei deren Anhören das Ohr schmerzt, denen man unbedingt lauschen sollte.

Hans-Günter Wagner

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