Vom Bauernkind zum Superstar – Zum 80. Geburtstag S.H. des Dalai Lama

Ein Beitrag von Dr. Ingrid Norbu, Tsewang Norbu übersetzt von Mansoor Ahmad veröffentlicht in der Ausgabe 2015/3 Gender unter der Rubrik Porträt.

Zum 80. Geburtstag S.H. des Dalai Lama

XIV. Dalai Lama | © Olivier Adam

Der heute weltbekannteste Buddhist und Tibeter, der XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso, wurde am fünften Tag des fünften Monats im weiblichen Holz-Schwein-Jahr (entsprechend am 6. Juli 1935) als Sohn einfacher Bauern in Taktser in Amdo (Nordosttibet) geboren. Sein Geburtsname war Lhamo Dhöndup (wunscherfüllende Göttin). Dass Jungen Mädchennamen bekommen, war in jenem Teil Tibets nicht unüblich.

Seine Mutter, Dekyi Tsering (1900–1981), die der Dalai Lama immer als eine der gütigsten Personen in seinem Leben bezeichnet, hat 16 Kinder zur Welt gebracht, von denen neun jung starben. Seinen Vater, Chökyong Tsering (1899–1947), hat der Dalai Lama als jähzornig beschrieben. Über ihn wissen wir sonst wenig. Feststeht, dass er jung starb, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem „Staatsstreich“ vom Frühjahr 1947. Um das Gleichgewicht der Machtverhältnisse unter den Elitenfamilien aufrechtzuerhalten, wurden früher in Tibet die Verwandten eines lebenden Dalai Lama von öffentlichen Ämtern bewusst ausgeschlossen. Mangels geeigneter Führungskräfte im Exil bekleideten Angehörige des XIV. Dalai Lama, so auch die meisten seiner sechs Geschwister, jedoch öffentliche und auch Regierungsämter.

Nach dem Tod des XIII. Dalai Lama kam der Regent Reting Rinpoche nach zahlreichen Visionen und Deutungen zu dem Schluß, dass die Reinkarnation in Nordosttibet zu suchen sei. Eine Suchkommission traf in Taktser den Jungen und war sofort davon überzeugt, dass er später als die gesuchte Reinkarnation anerkannt werden würde. Schon damals, in den 1930er-Jahren, stand die Heimat des gegenwärtigen Dalai Lama unter der Herrschaft eines chinesischen Militärmachthabers, und das Ergebnis der Suche blieb nicht unentdeckt. Erst nach Zahlung von 300 000 Silber-Dollar konnte Lhamo Dhöndup 1939 nach Lhasa ziehen. Nach seiner In thronisierung als XIV. Dalai Lama unter dem Namen Tenzin Gyatso führte er ein Leben nur unter Erwachsenen; abgeschieden und streng erzogen absolvierte er das traditionelle Studium.

1939, im Alter von 4 Jahren in Kumbum, Amdo, Tibet

Angesichts der Drohung seitens der eben ausgerufenen Volksrepublik China, Tibet ins „Mutterland“ zurückzuholen, musste der minderjährige Dalai Lama 1950 frühzeitig die Regierungsgeschäfte übernehmen. Als Erstes setzte er eine Kommission ein, die eine Reihe von Reformen einleitete. Das war den neuen „Herren“ Tibets gar nicht genehm, denn aus ideologischen Gründen beanspruchten sie für sich das alleinige Recht zur Durchführung von Reformen. Im Winter 1949 fiel die Volksbefreiungsarmee in Amdo ein, im Oktober 1950 dann in Kham. Anschließend wurde Tibet 1951 das „17-Punkte-Abkommen zur Friedlichen Befreiung“ aufgezwungen. Vorerst existierten das traditionelle und das kommunistische System parallel nebeneinander. Der junge Dalai Lama schloss seine religiöse Ausbildung ab und verteidigte während des Großen Mönlam-Festes im Frühjahr 1959 erfolgreich öffentlich seine Geshe-Prüfung. Als die chinesische Militärkommandantur ihn ohne seine bewaffnete Leibgarde zu einer chinesischen Theateraufführung einlud, löste diese Nachricht Panik in der Bevölkerung aus. Am 10. März 1959 brach ein Volksaufstand aus. Am 17. März verließ der Dalai Lama dann mit seinem Gefolge das Land in Richtung Indien. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes war das alte Tibet schon Ende März nur noch Geschichte.

So schmerzhaft dies für die Tibeter gewesen sein mag, bot es doch eine Gelegenheit, die tibetische Gesellschaft zu erneuern. Weil dem größeren Teil der konservativen Kräfte entweder die Flucht nach Indien nicht gelang oder sie sich freiwillig für eine Zusammenarbeit mit China entschieden, konnte der aufgeschlossene junge Dalai Lama nun nach dem Zerfall der alten Ordnung seine Vision eines modernen Tibets im indischen Exil verwirklichen. Klug und entschlossen nutzte er die Gunst der Stunde, um die tibetische Gesellschaft zu demokratisieren. 2011 war es dann soweit. Dr. Lobsang Sangay wurde durch allgemeine Wahl zum Sikyong, dem Premierminister der Tibetischen Zentralverwaltung, gewählt und der Dalai Lama übertrug ihm vollständig die politische Verantwortung.

Die Lebensaufgabe des Dalai Lama lässt sich in drei Verpflichtungen zusammenfassen: Als Mensch fördert er eine säkulare Ethik oder menschliche Werte wie Mitgefühl, Vergebung, Toleranz, Zufriedenheit und Selbstdisziplin; als buddhistischer Mönch fördert er Harmonie und Verständnis unter den großen Weltreligionen sowie den Dialog zwischen Wissenschaft und Religion; und als Dalai Lama setzt er sich für das Anliegen Tibets und des tibetischen Volkes sowie für den Erhalt der tibetisch-buddhistischen Kultur ein, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Die Maxime der Gewaltlosigkeit hat der Dalai Lama von Mahatma Gandhi übernommen, in der Politik China gegenüber verfolgt er konsequent den „mittleren Weg“. Er ist nicht für eine Loslösung Tibets von China, sondern fordert echte Autonomie für Tibet innerhalb Chinas. Nicht alle Tibeter wollen ihm darin folgen. 1989 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Keiner prägt das Bild vom friedlichen Buddhismus in der Welt so wie er. Er wurde zum überzeugendsten und deshalb wohl auch beliebtesten religiösen Würdenträger unserer Zeit – sehr zum Leidwesen der chinesischen Regierung, die in ihm einen Separatisten und Feind sieht.

Sein Sinn für Realität, sein ansteckendes Lachen, seine Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, scheinen auch im Alter nicht nachzulassen. Der Bauernsohn aus Osttibet ist mittlerweile sogar unter Naturwissenschaftlern salonfähig geworden. Er bekam über Hundert Ehrendoktortitel, und seit 2007 ist er auch Ehrendoktor des Fachbereiches Chemie und Pharmazie der Uni Münster. Offen und kritisch zu sein ist einer seiner Grundsätze, eine Maxime, die Buddha seinen Anhängern mit auf den Weg gegeben hat. Diese Grundsätze dienen auch als Schutz vor seinen Kritikern, die ihn manchmal auch sehr persönlich angreifen. Es wurde auch schon behauptet, er sei der falsche Dalai Lama, ein Kind muslimischer Eltern. In seiner Heimat Taktser lebten und leben tatsächlich viele tibetische Muslime. Und wenn es so wäre? Während einer Veranstaltung in Hamburg 2014 nimmt er eine Mütze an, die ihm ein muslimischer Uigure gibt. Er setzt sie auf und lacht. Ein Muslim, na und? Seine Botschaft lautet: Es ist völlig egal, woher jemand kommt. Entscheidend ist, was er aus seinem Leben macht.

Noch nie zuvor hat ein Dalai Lama so viel Zuspruch unter den Tibetern erlangt, unabhängig von ihrer regionalen Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit wie der gegenwärtige. Dies gilt unter den Exiltibern, aber erst recht unter den Tibetern, die unter chinesischer Herrschaft in Tibet leben.

Dr. Ingrid Norbu

freiberufliche Journalisti

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Tsewang Norbu

Tsewang Norbu in Tibet geboren, lebt seit 1973 in Deutschland und ist Tibetaktivist.

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