Die Liebe zwischen Vater und Sohn

Ein Beitrag von Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck veröffentlicht in der Ausgabe 2018/1 Liebe unter der Rubrik Liebe. (Leseprobe)

Ausgehend von der Liebe zwischen Vater und Sohn beleuchtet Karl-Heinz Brodbeck das kreative, einzigartige Potenzial der Liebe, die überhaupt erst erschafft, was sie verbindet. „Es gibt keine ‚Ideen‘ hinter den Dingen“, schreibt er, „keine Substanzen, die sie tragen, keinen Creator, der alles letztlich im Sein erhält. Liebe bedeutet Vielfalt ohne gemeinsame Substanz. Sie kann sich nur in je besonderen, selbst wiederum wandelbaren Formen zeigen.“

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Zwei Bilder drängten sich mir auf, als ich gebeten wurde, über die Liebe zwischen Vater und Sohn ein paar, zweifellos sehr persönlich gefärbte Gedanken niederzuschreiben: Einmal der tote Leib beim Abschied vom 100-Jährigen, verfallend, doch immer noch vertraut. Zum anderen ein altes Foto, auf dem der Vater seinen neugeborenen Sohn fröhlich lachend in die Luft wirft und mein Säuglingsgesicht verwundert in die Welt blickt. Was verband diese zwei Menschen, den nun selbst gealterten Sohn und den Vater über all die Jahre? Es in der leeren Abstraktion eines Wortes wie „Liebe“ zusammenzufassen scheint unangemessen. Wird doch „Liebe“ als Titel für alle erdenklichen Verhältnisse verwendet, von der geschlechtlichen Liebe bis zur Liebe zu Waffen, zu Briefmarken oder zum Geld. Wäre Platons Philosophie wahr, so müsste durch alle diese Formen von Liebe so etwas wie die Liebe schlechthin, die Idee der Liebe, hindurchstrahlen. Durch die Vertrautheit sowohl mit dem Abendland wie mit dem Buddhismus kann man diesen Gedanken unschwer als Illusion durchschauen: Es gibt keine „Ideen“ hinter den Dingen, keine Substanzen, die sie tragen, keinen Creator, der alles letztlich im Sein erhält. Liebe bedeutet Vielfalt ohne gemeinsame Substanz. Sie kann sich nur in je besonderen, selbst wiederum wandelbaren Formen zeigen.

Die Tugend der beiderseitigen Liebe

Ich möchte das an einem eher selten reflektierten Verhältnis, eben der Liebe zwischen Vater und Sohn, etwas näher betrachten. Dass es sich bei dieser beiderseitigen Liebe um eine Tugend handelt, davon legen auch Dharma-Texte Zeugnis ab. Allerdings wird dort in asiatischer Tradition „Liebe“ zu den Eltern in eine Reihe mit „Ehrfurcht“, „Respekt“, gar der Verehrung von Gottheiten gestellt. Im Sabrahmaka-Sutta heißt es: „Gar viel tun die Eltern für ihre Kinder, sie sind ihre Beschützer und Ernährer, zeigen ihnen diese Welt.“ Deshalb „sind sie der Kinder Ehrfurcht wert“. Es „schenke Achtung ihnen der Weise“. Weiter heißt es sogar: In einem Haus, in dem die Kinder die Eltern lieben, darin lebt „Brahma“. Deshalb bezeichne man auch die Eltern als Gott. Wer die Eltern verehrt, der erlange „hier das Lob der Weisen, dort des Himmels Seligkeit“ (Anguttara Nikaya A III,31).

Hier, in der Wiedergabe brahmanistischer Vorstellungen im frühen Dharma, erscheint die Liebe zu den Eltern fast wie ein Tauschgeschäft. Die Eltern tun etwas für die Kinder, deshalb schulden die Kinder den Eltern später Liebe und Fürsorge. Diese Haltung werde sogar jenseitig noch himmlisch belohnt. Solch eine Überlegung heißt in der abendländischen Tradition Utilitarismus: Liebe ist gut, weil sie allen Beteiligten nützt. Dies auf das Verhältnis zum eigenen Vater bezogen mag für einige Fälle durchaus zutreffen. Auch wird man immer einmal wieder Gabe und Gegengabe vergleichen. Doch wirkliche Liebe ist damit noch nicht einmal erahnt. Eine weitere kleine Überlegung möchte ich einschieben; sie bezieht sich auf alle Formen, die man durch „Liebe“ charakterisiert. Die Liebe scheint als Beziehung zwei getrennte Menschen auf besondere Weise zu verbinden; als Beispiel in der Vorstellung: Es gibt Peter und Petra, und dann gibt es auch noch – gleichsam nebenbei – die Liebe zwischen den beiden. Oder, um ein anderes Beispiel zu wählen, es gibt Petra und den Buddha-Dharma. Eines Tages entdeckt Petra den Dharma und beginnt, ihn zu lieben. Im Pali-Kanon ist auch davon die Rede: Man ist „einander begegnet“, wie Mahapajapati der Lehre, und dann hat sie „ihre Liebe zur Lehre erprobt, ihre Liebe zu den Jüngern erprobt“ (Majjhima Nikaya 142).

Die Liebe ist kreativ

Doch Liebendes und Geliebtes sind nicht trennbar; sie existieren nicht schon vor der Liebe nebeneinander. Vater und Sohn begegnen sich nicht erst nachträglich, um dann zwischen sich eine Neigung, Liebe, zu entdecken. Die Beziehung ist eine viel engere, innigere. Man kann sie am besten verstehen, wenn man einen Gedanken von Nagarjuna aufgreift, der in den 70 Stanzas (Nr. 13) steht: „Nicht nur zeugt der Vater den Sohn, auch der Sohn zeugt den Vater.“ Das, was beide zueinander als Liebe entwickeln, ist keine Beziehung zwischen zwei fertigen Entitäten. Vielmehr ist die Liebe kreativ; sie erschafft überhaupt erst, was sie verbindet. Diesen Gedanken gibt es nicht nur im Buddhismus. Fast wortgleich sagte Heraklit: „Dadurch, dass er den Sohn erzeugt, erzeugt er vielmehr selbst erst sich als Vater.“ Durch Lernen vom Vater, seine Nachahmung, aber auch durch Widerspruch und Reibung zu und an ihm entfaltet sich der Sohn zu dem, was er „ist“. Auch der Vater lernt durch den Sohn, verändert sein Verhalten, seine Gefühle.

ENDE DER LESEPROBE

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Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Karl-Heinz Brodbeck, Prof. Dr., ist Dharma-Praktizierender seit 35 Jahren; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Tibethaus Frankfurt. Bis 2014 war er Professor für Volkswirtschaftslehre, Statistik und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und an der Hochschule für Politik an der Universität München. Er ist Autor zahlreicher Bücher.

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