Editorial der Ausgabe 2016/2

Ein Beitrag von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2016/2 Hoffnung und Furcht unter der Rubrik Editorial.
Ursula Richard, Chefredakteurin

Liebe Leserin, lieber Leser

Hoffnung und Furcht scheinen die vorherrschenden Geisteszustände unserer Zeit zu sein: Menschen in vielen Teilen der Welt fürchten um ihr Leben und hoffen auf ein besseres in einem anderen Land; Menschen hierzulande haben vielfach Angst um die Sicherheiten ihres bisherigen Lebens. Andere sind voller Hoffnung, dass mit Engagement und gutem Willen alles zu schaffen sei. Schaut man auf die gegenwärtige Weltlage, bietet sie eher Anlass zur Sorge und Angst als zur Freude und Hoffnung. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass Diktaturen zunehmen und brutaler werden, religiöse Fanatiker auf dem Vormarsch sind und die Schere zwischen Reich und Arm immer größer wird.

Die großen Weltreligionen haben diese Welt immer schon als Jammertal, als Samsara, beschrieben und als Ausweg eine jenseitige Welt, den Himmel, das Paradies, Nirvana angeboten. Zumindest in den monotheistischen Religionen ist die Angst vor Hölle und Verdammnis und die Hoffnung auf Paradies und Erlösung für viele Gläubige immer noch eine starke Motivationsquelle, sich den jeweiligen religiösen Geboten entsprechend zu verhalten. In buddhistisch geprägten Ländern ist es oft die Hoffnung auf eine bessere Wiedergeburt und die Angst, in den sogenannten niederen Bereichen wiedergeboren zu werden und so den Aufenthalt in Samsara zu verlängern.

In den buddhistischen Lehren begegnet man aber auch der Auffassung, der Buddhismus sei ein Pfad jenseits von Hoffnung und Furcht. Die bekannte buddhistische Lehrerin Pema Chödron spricht davon, dass Hoffnung und Furcht Manifestationen einer Armutsmentalität seien: Wir können uns nicht so akzeptieren, wie wir sind, können das, was ist, nicht akzeptieren, wie es ist. Der erste Schritt auf dem Pfad ist es, ihr zufolge, jede Hoffnung aufzugeben, dass Unsicherheit und Schmerz jemals beseitigt werden könnten. Vollkommene Hoffnungslosigkeit gibt uns dann den Mut, uns in der Bodenlosigkeit zu entspannen. Und damit verlieren wir auch die Angst vor dem Tod – der tiefsten Bodenlosigkeit –, denn in dieser Angst gründen letztlich all unsere Befürchtungen und alle Gründe für die Hoffnung, dass unsere Erfahrungen anders sein mögen, als sie sind.

Der Buddhismus bietet hier, so meine ich, einen tragfähigen Weg an, mit Hoffnung und Furcht umzugehen. Es geht nicht darum, diese Gefühle zu verdrängen oder zu verleugnen, sondern sie ohne Wenn und Aber, nackt und ungeschminkt zu fühlen und nicht mit weiteren Kommentaren zu füttern. Dann lösen sie sich im konkreten Erleben als feste, monolithische Zustände auf, und wir ahnen zumindest die lebendige, fließende Qualität der Welt jenseits aller Begriffe. Aber es erscheint mir gleichermaßen wichtig, daraus kein neues Dogma zu machen. Letztlich ist auch dies eine Strategie, mit der Leidhaftigkeit und Fragilität unseres Lebens umzugehen. Manchmal erscheint es mir aber auch wichtig, Hoffnung zu haben und sie zu hegen und zu pflegen. Wenn Menschen in ausweglosen Situationen oder sehr schwer krank sind, ist es oft die Hoffnung, die ihnen die Kraft zum Leben gibt. Und würden wir uns wirklich jeden Tag aufs Kissen setzen, ohne die Hoffnung, dass es uns damit besser ginge? Ist nicht angesichts der Situation in der Welt die Hoffnung wichtig, eine bessere Welt sei möglich? Sich nur darauf zu fokussieren, das anzunehmen, was ist, kann ebenso zur Falle werden wie ein nur von Hoffnungen und Ängsten getriebenes Tun. Auf den geschickten Umgang damit kommt es an. Und dazu möchten die vielfältigen Beiträge im neuen Heft anregen und ermutigen. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Ihre Ursula Richard,
Chefredakteurin

Ursula Kogetsu Richard

ist Verlegerin der edition steinrich, Autorin und Übersetzerin. Sie war viele Jahre Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell und wurde im Herbst 2020 von Tanja Palmers zur Zen-Priesterin in der Phönix-Wolken-Sangha ordiniert.

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